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Psychische Erkrankungen: Wenn Depression Krebs wäre

Obwohl die Depression zu den weltweit am weitesten verbreiteten Erkrankungen gehört, hinken Wissenschaftler in ihrer Erforschung anderen Feldern wie der Krebsforschung hoffnungslos hinterher. Doch das könnte sich bald ändern.
Heimliche Volkskrankheit

Die Depression stünde ganz vorne an, wenn das Ausmaß des Leids darüber entscheiden würde, wie viel Beachtung eine Erkrankung bekommt. Mit mehr als 350 Millionen Betroffenen gehört sie zu den am weitesten verbreiteten Krankheiten der Welt, ist die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit und findet sich bei zwei Drittel aller Menschen, die Suizid begehen.

Trotzdem wird die Krankheit oft ignoriert. In England bleiben etwa mehr als die Hälfte aller Fälle unerkannt oder unbehandelt – und selbst wenn die Störung diagnostiziert wird, helfen die vorhandenen Therapiemöglichkeiten nur etwa jedem zweiten Betroffenen. "Es ist unglaublich", sagt der Psychiater Tom Foley von der Newcastle University in England. "Bei Krebs wäre das ein absoluter Skandal."

Die Depression wird oft mit Krebserkrankungen verglichen, die zweifelsohne ebenfalls vielen zum Verhängnis werden: Mehr als 32 Millionen Menschen leiden an Krebs und jedes Jahr sterben daran etwa 8 Millionen – viel mehr als an einer Depression. Aber die überwiegende Mehrheit der Krebskranken wird, zumindest in den modernen Industrieländern, umfassend behandelt.

Auch in der Forschung konnte das Thema Depression mit Krebs nie Schritt halten. Die Krebsforschung wuchs stetig, Unmengen beteiligte Mutationen wurden aufgedeckt, zielgerichtete Therapien entwickelt und ausgefeilte Tiermodelle genutzt. Die Forschung an Depressionen strauchelt dagegen, weil anfangs hoffnungsvolle Therapieansätze in klinischen Studien scheiterten und Untersuchungen zu den genetischen Ursachen erfolglos blieben. Wisenschaftler kämpfen noch immer um präzise Definitionen des Störungsbilds und versuchen den Makel, welcher der Erkrankung nach wie vor anhaftet, abzuschütteln.

Heimliche Volkskrankheit | Etwa jeder siebte Mensch weltweit leidet einmal in seinem Leben an einer Depression. Zu dem Symptomen zählen Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten.

Ein großes Problem ist auch die schwächere finanzielle Förderung im Vergleich zur Krebsforschung. Das US-amerikanische National Institutes of Health pumpte im Jahre 2013 über 5,3 Milliarden US-Dollar in die Krebsforschung – für die Depression blieben nur 415 Millionen US-Dollar übrig, von insgesamt 2,2 Milliarden für die Erforschung psychischer Erkrankungen. Auch in der Europäischen Union sieht es nicht anders aus: Die EU investierte bisher jährlich über 54,3 Millionen Euro in die Erforschung psychischer Erkrankungen, acht Millionen Euro davon für das Thema Depression. Die Krebsforschung erhält dagegen rund 205 Millionen Euro pro Jahr. Niemand leugnet, dass sie eine starke Förderung und viel Aufmerksamkeit verdient, und niemand missgönnt ihr die erreichten Fortschritte. Aber im Bezug auf psychischen Erkrankungen würden Forscher gerne dieselben Erfolge vorweisen können, um den Betroffenen letztlich bessere Hilfestellung zu leisten.

Doch warum erhält die Depressionsforschung nicht gleichermaßen Mittel und Aufmerksamkeit wie die Krebsforschung? Und wenn dem so gewesen wäre – wo stünden wir jetzt? Viele Forscher glauben, dass sich mit mehr Geld so manche Herausforderung schneller hätte bewältigen lassen – doch zahlreiche Fragen lassen sich mit den bisherigen Techniken auch noch gar nicht beantworten. So werden Untersuchungen des Gehirns und seiner Regelkreise erst jetzt langsam möglich und die Wissenschaftler erhoffen sich durch das aufkommende Interesse an der Hirnforschung auch einen Aufschwung ihres Bereichs. "Die Krebsforschung ist unser großes Vorbild: Mit massiven Investitionen wurde viel erreicht", sagt Foley. "Warum sollten wir nicht dasselbe bei der Depression schaffen?"

Die Macht der Fürsprecher

Welche Forschungsgebiete in der Wissenschaft gerade besonders gefördert werden, bestimmt selten der Nutzen für die Menschheit allein. Politische, soziale und ökonomische Belange führen oft dazu, dass eine Erkrankung in den Vordergrund tritt – und gerade Patientenvertreter bestimmen dabei oft maßgeblich mit, wie das Geld verteilt wird. Der Ursprung der großen Kluft zwischen Krebs- und Depressionsforschung reicht mehrere Jahrzehnte zurück in das Jahr 1971, als die USA "dem Krebs den Krieg erklärten". Seitdem flossen Unmengen an Geld in diesen Bereich und eine ganze Forschungsindustrie konzentrierte sich darauf, die Ursachen der Tumorbildung zu ergründen und die bestmögliche Behandlung zu entwickeln. Dieser Krieg ist noch lange nicht gewonnen – aber bisher hat auch noch keiner der führenden Politiker der Depression den Krieg erklärt. Und genau das spiegelt sich in den Unterschieden in der Förderung wider. Laut Schätzungen von Garen Staglin, dem Mitbegründer der Non-Profit-Organisation OneMind aus Washington und Initiator des Forschungszweigs Psychische Gesundheit, spendet die Öffentlichkeit in den USA jährlich mehr als eine Milliarde Dollar zur Unterstützung von Krebsforschung und -patienten. Die Forschung im Bereich psychische Gesundheit erhält weniger als ein Fünftel des Betrags.

Für etwas zu kämpfen kostet Kraft und braucht Selbstvertrauen – doch gerade für depressive Menschen ist es extrem schwierig, sich auf ein Podium zu stellen und für mehr Unterstützung zu werben. Ein anderer wichtiger Faktor ist das Stigma, das der Depression seit Langem anhaftet. Viele Menschen akzeptieren sie noch immer nicht als ganz normale Erkrankung, sagt der Psychogenetiker Nelson Freimer von der University of California in Los Angeles: "Sie glauben, dass jeder Mensch sich mal ein wenig depressiv fühlt. Ihrer Meinung nach sollten sich die Betroffenen einfach zusammenreißen und wieder zur Arbeit gehen."

"Auch Spinner können die Existenz von Bauchspeicheldrüsenkrebs und Brustkrebs nicht leugnen. Doch sie können immer irgendwie behaupten, Leute mit psychischen Erkrankungen seien gar nicht richtig krank"Eric Nestler

Krebs trug einst ebenfalls einen Makel. "Auch damals wollten die Betroffenen nicht darüber reden", erinnert sich Staglin. "Für sie war es einfach das K-Wort." Das änderte sich aber, als die Therapien besser wurden, Interessensgruppen das Bewusstsein für die Erkrankung stärkten und als immer mehr Betroffene über ihren Kampf mit der Krankheit sprachen. Dabei half auch, dass Krebs greifbar ist: Tumore können geortet, sichtbar gemacht und entfernt werden.

All das gilt bei einer Depression nicht. Das betroffene Gewebe liegt im Gehirn eingeschlossen, kann nicht einfach angeschaut und vor allem nicht herausgeschnitten werden. Eine ernsthafte Diagnose erfordert eine zweistündige Sitzung beim Psychiater und auch zwei Patienten, die eine schwere depressive Episode bescheinigt bekommen, können völlig unterschiedliche Symptome zeigen. "Sogar ein und derselbe Patient kann zwei depressive Episoden haben, bei der sich die zweite völlig anders manifestiert als die erste", erklärt der klinische Psychologe Tim Dalgleish von der Cognition and Brain Sciences Unit des MRC in Cambridge.

Das macht die Depression als Erkrankung so angreifbar. "Auch Spinner können die Existenz von Buchspeicheldrüsenkrebs und Brustkrebs nicht leugnen", sagt der Psychiater und Neurowissenschaftler Eric Nestler von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. "Doch sie können immer irgendwie behaupten, Leute mit psychischen Erkrankungen seien gar nicht richtig krank. Das ist das wirklich Schreckliche daran."

Inzwischen suchen Wissenschaftler nach neuen Möglichkeiten zur Definition und Diagnose von Depression. 2013 regte Thomas Insel als Leiter des National Institute of Mental Health in Bethesda in Maryland dazu an, neue Wege zu gehen und die klassischen psychiatrischen Diagnosen zu vermeiden, die in der Regel nicht eindeutig und nicht klar voneinander abgegrenzt sind. Stattdessen sollten Studienpatienten mit den gleichen, spezifischen Symptomen in Gruppen gefasst werden, seien es Angst oder Probleme beim Sozialverhalten, die allesamt mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen im Zusammenhang stehen. Mit dieser Fokussierung, so die Hoffnung des Forschers, lassen sich vielleicht neue Diagnoseverfahren entwickeln, die Störfaktoren ausschalten und auf biologischen Grundlagen fußen. "Letztlich hat jede Depression genauso einen biologischen Hintergrund wie Krebs- oder Herzerkrankungen. Hier müssen die molekularen Grundlagen nur erst noch entschlüsselt werden", meint Nestler. "Das hat sich allerdings als wesentlich schwieriger herausgestellt, als wir alle noch vor ein paar Jahrzehnten dachten."

Hoffnung Genetik

Einige Wissenschaftler hoffen auf die Genetik, um Untergruppen der Depression bestimmen zu können, wie es bereits bei Krebs gelungen ist. Hier hatten viele Länder in den vergangenen Jahren Unsummen an Geld investiert; die Ergebnisse haben das ganze Forschungsfeld revolutioniert, und inzwischen gibt es eine lange Liste assoziierter Mutationen, mit deren Hilfe man nun dem einzelnen Krebspatienten eine möglichst wirksame Therapie zuweisen kann. Die Forschung daran wird weitergehen, sie hat die Erkrankung aber jetzt schon zum Vorreiter der so genannten personalisierten Medizin gemacht.

Studien zur Depression waren da nicht so erfolgreich. Die bisher größte Genomanalyse an mehr als 16 000 Patienten mit schweren depressiven Episoden und 60 000 Kontrollpersonen hat bisher nur eine einzige, nach wie vor unbestätigte, genetische Assoziation ergeben. Der Psychiater Flint von der University of Oxford in England beschäftigt sich seit fast 20 Jahren mit den genetischen Ursachen der Depression. Manche Kollegen hätten in bereits gefragt, warum er immer noch daran arbeite, erklärt Flint. "Das ganze Forschungsgebiet kommt deshalb nicht voran, weil jeder immer nur unlösbare Probleme sieht. Und wieso sollte man an etwas arbeiten, was einem erfolglos erscheint?"

Knackpunkt Gehirn | Die neuronalen und genetischen Ursachen von Depressionen zu finden, gestaltete sich schwieriger, als Wissenschaftler erwartet hatten.

Teil des Problems ist wieder einmal die ungenaue Definition der Störung. Würde man alle Patienten, die schon einmal eine schwere depressive Episode durchlebt haben, in eine Gruppe stecken und nach genetischen Faktoren suchen, wäre das so, als würde man nach genetischen Risikofaktoren für Fieber suchen, sagt Flint. "Dabei würde man Autoimmunerkrankungen, Infektionen, Krebs und alle möglichen anderen Leiden in einen Topf werfen." Er fragt sich auch, ob eine stärkere Förderung vor ein paar Jahrzehnten das Feld wirklich weiter vorangebracht hätte. Die technischen Grundlagen für wichtige Untersuchungen gebe es schließlich erst seit etwa zehn Jahren. Doch auch seitdem war die Krebsforschung stets einige Schritte voraus. "Natürlich können wir es besser machen", sagt Flint. "Wir müssen es besser machen!"

Vielversprechender sieht es bereits bei der Suche nach den genetischen Ursachen anderer psychischer Erkrankungen aus, wie beispielsweise bei Schizophrenie. Auch hier ist die genaue Diagnose oft schwierig und erste Untersuchungen zu genetischen Risikofaktoren lieferten nur wenige Hinweise. Das internationale Psychiatric Genomics Consortium hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Fallzahlen der Studien deutlich zu erhöhen, um ihre Aussagekraft zu verbessern und nicht nur im Graubereich der Statistik zu arbeiten. Im September 2014 veröffentlichten die Wissenschaftler eine Analyse, die auf den Daten von fast 40 000 Schizophreniepatienten fußte und 108 unterschiedliche genetische Regionen mit der Erkrankung in Verbindung bringen konnte. Die Forscher wollen das gleiche nun bei der Depression versuchen, mit einer angepeilten Stichprobengröße von 60 000 Patienten.

Tiermodelle

Die Ergebnisse von Genanalysen könnten auch zur Entwicklung besserer Tiermodelle beitragen. Den Krebsforschern stehen bereits etliche Modelle für experimentelle Untersuchungen zur Verfügung. Dazu gehören genetisch veränderte Mäuse, die aus dem Menschen bekannte tumorassoziierte Gene tragen. Außerdem werden bereits so genannte personalisierte Tiermodelle genutzt, in denen ein kleines Tumorstück aus einem Patienten in eine Maus transplantiert wird, um es dann dort zu beobachten.

In der Depressionsforschung ist es dagegen sehr schwierig, das Verhalten der Patienten am Beispiel von Mäusen oder anderen Tieren nachzustellen. Bei den meisten der bisherigen Modelle wird depressives Verhalten durch körperlichen Stress erzeugt. Am häufigsten wird hierzu der so genannte forcierte Schwimmtest eingesetzt. Dabei werden Mäuse ins Wasser geschubst und beobachtet, wie lange sie versuchen wieder herauszukommen: Den Mäusen, die schneller aufgeben als andere, wird ein depressionsähnliches Verhalten zugeschrieben. Mit diesem Verfahren suchten Forscher schließlich nach geeigneten Medikamenten gegen depressive Verstimmungen – und tatsächlich stärken die meisten Antidepressiva auf dem Markt das Durchhaltevermögen der Tiere beim Test.

"Das Forschungsfeld kommt deshalb nicht voran, weil jeder immer nur unlösbare Probleme sieht"Jonathan Flint

Dieses Modell ist aber alles andere als ideal, weil depressive Episoden beim Menschen meist nicht durch körperlichen Stress ausgelöst werden und die meisten Präparate am Menschen daher vermutlich anders wirken. So stellte sich die Wirkung bei Mäusen beispielsweise augenblicklich ein, während bei einem echten Patienten Woche oder Monate vergehen können, bis etwas passiert.

Nestler uns seine Kollegen wollten sich den Bedingungen am Menschen annähern und setzten ihre Mäuse daher chronischem sozialem statt körperlichem Stress aus. Bei diesem "Social-defeat-Stress-Modell" wird eine Maus in einem Käfig mit einer "größeren und gemeineren Maus" platziert, erklärt er. Die größere Maus verprügelt regelrecht die kleinere, solange bis die Forscher die Tiere durch eine Wand trennen. Nach dem zehnten Mal hat die kleinere Maus keine Lust mehr auf die angenehmen Dinge des Lebens wie Sex oder Zuckerwasser und sie meidet sogar den Kontakt zu ihren Geschwistern. Dieses Verhalten reflektiert genau einige der Symptome von Patienten mit Depressionen. Somit scheint das Social-defeat-Stress-Modell auch besser geeignet, die Wirkung von Antidepressiva zu testen, sagt der Neurowissenschaftler Ming-Hu von der Icahn School of Medicine in Mount Sinai. Medikamente, die schnell bei Menschen wirken, helfen auch den zurückgezogenen Mäusen.

Die Forscher geben aber natürlich zu, dass selbst das beste Tiermodell immer nur ein grobes Bild der sehr komplexen menschlichen Erkrankung wiedergeben kann. "Um zu verstehen, was im menschlichen Gehirn vor sich geht, muss man mehr untersuchen, als nur die Lust auf Zuckerwasser", sagt Helen Mayberg, die als Neurologin an der Emory University in Atlanta in Georgia arbeitet. "Da geht es um Schuldgefühle oder Selbstmord." Auch der Placeboeffekt, der bei einer Depression sehr prominent wirkt und die Auswertung von Studien zu potenziellen Antidepressiva verkompliziert, kann nur schlecht bei Tieren untersucht werden.

Einige Wissenschaftler bezweifeln ohnehin, dass es jemals ein Tiermodell geben wird, das die Bedingungen beim Menschen tatsächlich nachahmen kann. "Ich sage ungern, dass ich zur Depression forsche, weil ich nicht glaube, dass man sie überhaupt an Tieren untersuchen kann", erklärt Olivier Berton von der University of Pennsylvania in Philadelphia. "Die Hoffnung auf ein geeignetes Tiermodell schadet dem Feld eigentlich nur und wir sollten uns rasch davon verabschieden." Seiner Meinung nach arbeitet er an der Stressantwort von Mäusen.

In einem Punkt sind sich die Forschungsgebiete Krebs und Depression aber ganz ähnlich, nämlich in dem wachsenden Verständnis für die Komplexität der Erkrankung. Nach Untersuchungen zur Genetik von Tumoren lassen sich diese auch nicht einfach in Krebserkrankungen von Lunge, Leber und anderem Gewebe einteilen. Stattdessen ist jeder Tumor ein kompliziertes Mosaik aus Zellen mit unterschiedlichen Mutationen und Eigenschaften, das sich auch noch von Mensch zu Mensch unterscheidet.

Bei der Depression zeigt sich langsam ein ähnlich kompliziertes Bild. Den Forschern war schon immer klar, wie schwierig es zu erfassen und zu verstehen sein würde – es handelt sich schließlich um das Gehirn. Aber als sie sich mit den Tausenden von verschiedenen Neuronen im Hirn beschäftigten, wurde immer deutlicher, dass sie nicht nur die einzelnen Zellen, sondern auch ihre zahlreichen Verbindungen untereinander untersuchen müssen. Und selbst wenn die Depressionsforschung bisher dieselbe Förderung wie die Krebsforschung erhalten hätte, wären die Wissenschaftler laut Nestler nicht schneller zu dieser Erkenntnis gelangt, denn die heutigen Analysemöglichkeiten neuronaler Schaltkreise gab es früher noch gar nicht. So lassen sich erst seit wenigen Jahren einzelne Nervenzellen untersuchen, neuronale Verknüpfungen kartieren und gezielt spezifische Regelkreise aktivieren.

Neuronale Schaltungen

Jetzt, wo sie die entsprechenden Verfahren zur Hand haben, können Forscher genauer durchleuchten, welche Schaltkreise bei der Entstehung von Depressionen beteiligt sind und wie man diese am besten mit Magnetfeldern oder Elektroströmen manipulieren kann. Die Arbeiten könnten den Weg zu Behandlungen weisen, die weit über traditionelle Antidepressiva hinausgehen, meint der Psychiater Noah Philip von der Brown University in Providence in Rhode Island. "Bei der Behandlung von Depressionen reicht es nicht, einfach den Tank mit Neurotransmittern aufzufüllen", erklärt er. "Man muss Störungen in verschiedenen neuronalen Netzwerken korrigieren, die allesamt nicht richtig funktionieren." Maybergs Team beschäftigt sich beispielsweise mit der tiefen Hirnstimulation zur Therapie von Depressionen. Ihre ersten Studien zeigen eine Ansprechrate von etwa 75 Prozent und sie hofft, diese Quote mit dem Einsatz neuer Imaging-Techniken in Zukunft noch steigern zu können.

Laut Nestler und anderen Forschern wäre es in den 1970ern Jahren ohnehin noch zu früh gewesen, der Depression den Kampf anzusagen. Aber jetzt, mit den neuen Methoden der Hirnforschung, könnte der passende Zeitpunkt gekommen sein. "Es wird noch einige Jahrzehnte dauern, bis wir entsprechende Erfolge vorweisen können", fügt er hinzu, "aber ich bin zuversichtlich, dass es funktionieren wird."

Eine der größten Herausforderungen wird sein, mehr brillante Wissenschaftler für das Forschungsfeld zu begeistern, egal wie steinig der Weg auch sein mag. Der Neurowissenschaftler Kelsey Martin von der University of California in Los Angeles bringt es auf den Punkt: "Keiner findet es toll, wenn eine Frage unlösbar scheint. Aber man muss sich einfach daran machen und den besten Weg zur Lösung suchen."

Dieser Text erschien unter dem Titel "If depression were cancer" in Nature 515, S.182–184, 2014.

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