Ökologie: Wenn die Ameise den Löwen bedroht
Ökosysteme sind Lebensgemeinschaften aus verschiedenen Arten, in denen oft komplizierte Abhängigkeitsverhältnisse bestehen. Wird ein Ökosystem gestört, kann das überraschende Folgen nach sich ziehen. So hat eine Ameiseninvasion in einem kenianischen Naturschutzgebiet dazu geführt, dass die Löwen dort weniger Zebras erbeuten. Dies berichtet ein Team um den Wildtierexperten Douglas Kamaru von der University of Wyoming. Erschienen ist die Studie in der Fachzeitschrift »Science«.
Die Forscherinnen und Forscher haben im Naturschutzgebiet Ol Pejeta Conservancy gearbeitet, das inmitten Kenias und nah am Äquator liegt. Über Jahre hinweg haben sie das dortige Ökosystem untersucht – unter anderem mit Messungen im Gelände, versteckten Kamerafallen, satellitengestützter Beobachtung von besenderten Tieren und statistischer Auswertung der gewonnenen Daten. Insgesamt schließt ihre Studie die Forschungsdaten aus drei Jahrzehnten ein.
Laut den Ergebnissen sind in dem Naturschutzgebiet unerwartete Veränderungen eingetreten, nachdem eine fremde Ameisenspezies eingewandert ist. Normalerweise wachsen in den dortigen Savannengebieten massenhaft Flötenakazien (Vachellia drepanolobium) – strauchähnliche Pflanzen, die mehrere Meter hoch werden. Sie haben eine Symbiose mit Ameisen der Gattung Crematogaster ausgebildet. Die Akaziengewächse stellen den Insekten nahrhaften Nektar und Unterkünfte in Form knollig angeschwollener, hohler Dornen bereit. Im Gegenzug wehren die Ameisen zahlreiche Pflanzenfresser ab, beispielsweise Elefanten und Giraffen, und schützen die Flötenakazien so.
Einmarsch der Sechsbeiner
In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten sind in das Naturschutzgebiet aber großköpfige Ameisen der Spezies Pheidole megacephala eingedrungen und verbreiten sich dort. Sie stammen vermutlich von Inseln im Indischen Ozean und dürften von Menschen eingeschleppt worden sein. Wenn sie auf einheimische Ameisen der Gattung Crematogaster treffen, rotten sie diese aus. Da sie selbst die Akaziengewächse nicht beschützen, werden die Pflanzen anschließend zur leichten Beute von Elefanten. Wo die invasiven Ameisen auf dem Vormarsch sind, zerstören Elefanten fünf- bis siebenmal so viele Flötenakazien wie in ungestörten Gebieten, haben frühere Untersuchungen ergeben.
Die Vernichtung der strauchähnlichen Pflanzen macht die Landschaft offener, wie Kamaru & Co. belegt haben: Die Sichtweite in den betroffenen Savannengebieten verdreifacht sich. Dadurch wiederum haben Löwen (Panthera leo) es schwerer, sich unbemerkt an ihre Opfer anzuschleichen. Tatsächlich erbeuten die Großkatzen dort, wo die invasiven Ameisen vordringen, deutlich weniger Zebras: Deren Anteil am Jagdertrag ist von 67 auf 42 Prozent gesunken. »Wir zeigen in unserer Arbeit, dass die Ausbreitung von Pheidole megacephala eine ökologische Kettenreaktion ausgelöst hat, wodurch die Löwen nun weniger erfolgreich darin sind, ihre wichtigsten Beutetiere zu jagen«, schreibt das Team in dem Fachartikel.
Bislang habe das allerdings nicht dazu geführt, dass die Löwenpopulation schrumpfe, betonen die Forscher und Forscherinnen. Vermutlich liege das daran, dass die Großkatzen auf Kaffernbüffel (Syncerus caffer) als alternative Nahrungsquelle ausweichen, wie die Daten enthüllen. Kaffernbüffel sind größer und schwerer zu überwältigen als Zebras, was eine intensivere Zusammenarbeit der Raubtiere erfordert. Die Ameiseninvasion im Naturschutzgebiet Ol Pejeta Conservancy könnte deshalb dazu führen, dass dort künftig größere Löwenrudel auftreten.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.