News: Wenn die Apokalypse keine Katastrophe ist
"Man muß jedoch beachten, daß in Spanien, wo gleich sieben oder acht der Beatus-Handschriften in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts entstanden, eine andere Zeitrechnung galt. Dem Jahr 1000 entsprach dort das Jahr 962 unserer Zeitrechnung", erklärt der Kunsthistoriker. Die große Zahl der Kopien müßte daher auf die Zeit nach der Jahrtausendwende der spanischen Zeitrechnung datiert werden. Hinzu komme, daß der biblische Begriff der Apokalypse einem Wandel unterlag. Während wir heute das Wort Apokalypse im Sinne von Katastrophe, Weltuntergang oder auch Endzeit verwenden, wurde die Apokalypse von den Christen vom vierten bis 12. Jahrhundert ganz anders interpretiert. Sie stand als Metapher für die Heilsgeschichte von der Menschwerdung Christi bis zum Ende der Zeiten. "Die Endzeit war also in der damaligen Auslegung nur ein kleiner Ausschnitt der Apokalypse", sagt Klein, der sich schon lange wissenschaftlich mit Apokalypse-Darstellungen befaßt. Die Johannes-Apokalypse galt vielmehr in der mittelalterlichen Kunst als zentrale Quelle für Gottes- und Himmelsdarstellungen.
Neben dem ans Kreuz geschlagenen Christus war die sogenannte "Maiestas domini" das häufigste künstlerische Motiv. "Zahlreiche Darstellungen aus dem Mittelalter zeigen Christus auf einem Thron, umgeben von den vier Wesen, die als Symbole für die vier Evangelisten stehen", erklärt der Wissenschaftler. Die "Wesen" gleichen einem Mensch, Löwe, Stier und Adler. "In der spanischen Kunst von der Westgotenzeit bis zur Romanik besaßen die vier Wesen häufig eine anthropomorphe Gestalt, mit tierischen Köpfen und menschlichen Körpern", so Klein. Die Darstellung der "Maiestas domini" war das Standardbild etwa für die erste Seite von Bibeln und für die Apsiden im Chorbereich von Kirchen. "In der Monumentalkunst zeigte sich die Kirche mit den Gottesvisionen so, wie sie sich darstellen wollte, also keine Bilder des Satans und des Antichristen. Man würde ja heute auch nicht die Bildnisse von Gegnern der Demokratie in den Bundestag hängen", erklärt der Kunsthistoriker. Im frühen Mittelalter wurden zwar auch die negativen Teile der Apokalypse wie Satan und Antichrist dargestellt. Sie finden sich allerdings nicht im Altarbereich der Kirchen, sondern im westlichen Teil der Gebäude.
Direkte Hinweise auf Endzeiterwartungen vor dem Jahr 1000 sind selten. Sie sind zum Beispiel von dem burgundischen Mönch Radulfus Glaber überliefert. In seiner Chronik findet sich eine längere Aufzählung von Hungersnöten, Bränden und Naturkatastrophen, die er so interpretiert: "Diese Zeichen stimmen mit der Weissagung des Johannes überein, nach welcher der Satan entfesselt werden wird, wenn 1000 (nach der Geburt Christi) erfüllt sind." Als dann das Jahr 1000 doch nicht das Ende der Welt erbrachte, so Klein, wurde 1033, das tausendste Jahr nach Christi Tod, als Datum für den Weltuntergang gefürchtet. Als Vorzeichen sah Glaber wiederum Hungersnöte und Naturkatastrophen: "Man glaube, daß die Ordnung der Elemente und der Jahreszeiten, die von Anbeginn in den vergangenen Jahrhunderten herrschte, für immer ins Chaos zurückgefallen und daß dies das Ende des Menschengeschlechtes sei." Unter seinen Zeitgenossen haben diese düsteren Prophezeiungen keine große Verbreitung gefunden. "Darüber hat sich höchstens das gebildetes Volk, vor allem in den Klöstern Gedanken gemacht. Die Bauern lebten mit den Jahreszeiten und Kirchenfesten, die aktuellen Jahreszahlen haben sie sicherlich nicht gekannt. Kollektive Ängste und Endzeiterwartungen gab es nicht", stellt Klein die Bedeutung dieser historischen Quelle klar.
Dennoch zeigten die Weissagungen einen – wenn auch späten – Effekt. Um 1830 entstanden, noch im Zusammenhang mit der französischen Revolution, historische Interpretationen, die den Übergang vom 10. zum 11. Jahrhundert dramatisierten. "Aus der angeblichen Krisenzeit sollte eine neue kulturelle Epoche, die französische Kultur überhaupt entstanden sein", erklärt Klein. Auch die Entstehung der romanischen Baukunst fiel in die ersten Jahrzehnte des neuen Jahrtausends. Doch hatten schon Ende des 19. Jahrhunderts Historiker nachgewiesen, daß offenbar die angsterfüllten Erfahrungen bei der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert im Nachhinein auf das Jahr 1000 projiziert wurden. Als Schlagwort für dieses eigenartige Phänomen stehen die "Terreurs de l'an mille" – die Schrecken der Jahrtausendwende.
"Für die Wissenschaft war das Thema Endzeiterwartungen um das Jahr 1000 eigentlich erledigt, nur in der populären Literatur wurde es gern aufgegriffen", sagt der Kunsthistoriker. Er findet es um so erstaunlicher, daß nun im 20. Jahrhundert das Jahrtausendfieber mit angeblichen Endzeiterwartungen wieder kursiert. Obwohl Klein als Kunsthistoriker selbst in die Millenniums-Diskussion eingegriffen hat, glaubt er nicht, daß der Datumswechsel großen Eindruck auf die Menschen machen wird. "Die diesjährige totale Sonnenfinsternis war wahrnehmbar, man mußte sich sogar mit Brillen vor ihr schützen. Was wird dagegen schon am 31. Dezember um Mitternacht passieren?"
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