News: Wenn die Erde dahinschmilzt
Der Zerfall des Perowskits macht es nicht nur erforderlich, daß die neugebildete Mineralienanhäufung dichter als das Perowskit ist. Er würde zudem auch beachtliche Änderungen der chemischen und rheologischen Eigenschaften des Unteren Mantels hervorrufen. Ein partielles Schmelzen dagegen würde ein Schmelzverhalten erfordern, das sich in drastischem Widerspruch zu früheren Experimenten mit den Hauptbestandteilen des tieferen Mantels sowie auch zu unserem Wissen über das beobachtete eutektische Verhalten bei geringen Drücken befindet.
R. Boehler, G. Sergiou und A. Zerr, Wissenschaftler der High Pressure Group vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, haben die Stabilität des Perowskits untersucht, indem sie stöchiometrische Mischungen von (Mg,Fe)O und SiO2 in einer Diamantstempel-Hochdruckzelle bei Drücken von bis zu 100 Gigapascal (106 Atmosphären) mit einem Hochleistungs-CO2-Laser bis auf etwa 3000 Kelvin in einem hydrostatischen Medium erhitzten. Diese Technik vermeidet große Druck- und Temperaturgefälle, was eine essentielle Voraussetzung für eine verläßliche Stabilitätsmessung von Festkörpern unter Extrembedingungen darstellt. Bei allen Experimenten wurde (Mg,Fe)SiO3-Perowskit gebildet, was zeigt, daß diese Phase unter den Bedingungen des Unteren Mantels stabil ist. Mehr noch, sowohl MgSiO3-Kristalle wie auch -Gläser, die ähnlichen Druck- und Temperaturbedingungen ausgesetzt waren, bildeten gleichfalls Perowskit als eine einzelne Phase, wie aus dem Raman-Spektrum ersichtlich war. Es wurde kein SiO2 entdeckt. Ferner wurde das Fluoreszenzspektrum von mit Chrom(III) versetztem Perowskit bei analogen Bedingungen aufgezeichnet, was im Falle des Zerfalls eine starke Fluoreszenzlinie des MgO:Cr3+ produzieren würde. MgO wurde jedoch nicht nachgewiesen. All diese Resultate sind ein starkes Indiz dafür, daß der Zerfall von Perowskit im Unteren Mantel höchst unwahrscheinlich und nicht die Ursache für ungewöhnliche seismische Muster ist (Science vom 26. Juni 1998).
In einer weiteren Studie (Science vom 10. Juli 1998) erforschten dieselben Autoren die Festigkeit des für den Mantel relevanten Materials bis zu etwa 60 Gigapascal (das entspricht einer Tiefe von 1500 km in der Erde). In früheren Untersuchungen war die Festigkeit auf ungefähr 25 Gigapascal beschränkt, was annähernd 700 km Tiefe entspricht. Die kleinen Proben (70 µm x 70 µm x 15 µm), die in einem Argon-Druckmedium eingebettet waren, wurden mittels einer CO2-Laserbestrahlung in einer Diamantstempel-Hochdruckzelle erhitzt. Die Wissenschaftler nutzten Veränderungen in der Struktur der gewonnenen Probenoberfläche, um ein partielles Schmelzen des Probenmaterials nachzuweisen. Diese neue Herangehensweise, die Schmelztemperatur bei hohen Drücken in einer Diamantstempel-Hochdruckzelle zu bestimmen, läßt sich für jedes Material anwenden (auch wenn es aus mehreren Bestandteilen besteht) und besonders in Fällen, in denen keine anderen Anzeichen für ein Schmelzen (zum Beispiel die veränderte Absorption der Laserstrahlung) verwandt werden können. Die Ergebnisse zeigen, daß die Schmelztemperatur des untersuchten Materials aus mehreren Komponenten erheblich niedriger ist als die Schmelztemperaturen seiner Produkte. Obgleich die Soliduskurve im Unteren Mantel mehr als 1500 Kelvin über der durchschnittlichen Geotherme liegt, erreicht ihr Wert an der Grenze zwischen Kern und Mantel die Temperatur des äußeren Kerns. Somit kann ein partielles Schmelzen in der Nähe des äußeren Kerns die in dieser Region beobachteten seismischen Anomalien durchaus erklären.
Die Soliduslinie ist für Mantelmaterialien, die aus mehreren Komponenten bestehen, der Schlüsselparameter bei der Modellerstellung der frühen Erde. Möglicherweise war nach der Bildung unseres Planeten ein wichtiger Teil der Erde zumindest teilweise geschmolzen. Selbst ein nur geringer Schmelzvorgang führt zu einer bedeutenden Schwächung des Mantelmaterials. Außerdem stellt die Temperatur, bei der Mantelmaterial erstarrt, einen kritischen Parameter für die Konvektionseigenschaften während der Erdevolution.
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