Temperaturrekorde: Wenn die Hitze tödlich wird
Wer sich hier draußen aufhält, geht schon heute ein Risiko ein: im Hof der großen Moschee in Mekka etwa, den jeden Sommer Millionen Pilger besuchen, aber auch auf den Baustellen der Boomstädte Abu Dhabi und Dubai oder in den halb fertigen Stadien für die Fußballweltmeisterschaft in Katars Hauptstadt Doha. In den letzten 20 Jahren häuften sich auf der Arabischen Halbinsel extreme sommerliche Hitzewellen. Dabei hält sich die Temperatur wochenlang bei weit über 40 Grad Celsius und steigt gelegentlich auf 50 Grad Celsius. Außenarbeiten in den Mittagsstunden sind in manchen der arabischen Staaten bereits verboten. Dabei ist das Ende dieser Entwicklung wohl noch nicht erreicht: Eine Studie zweier US-Klimaforscher in "Nature Climate Change" kommt zu dem Schluss, die arabische Golfküste könnte binnen 50 Jahren während sommerlicher Hitzewellen unbewohnbar werden, selbst wenn der globale Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius begrenzt wird.
Was das Wetter an der Golfküste schon heute oft unerträglich heiß macht, ist nicht allein die Temperatur, die in Zukunft gelegentlich auf mehr als 60 Grad Celsius steigen könnte. Denn am Golf herrscht ein Dampfbadklima: Absinkende Luftmassen sorgen für meist klaren Himmel; die intensive Sonnenstrahlung erwärmt das Meer aber so stark, dass die Luft gleichzeitig tropisch feucht ist. In den nächsten 50 Jahren dürften diese Faktoren für dort lebende Menschen unangenehm zusammenspielen: Durch den hohen Wasserdampfgehalt nähert sich der Taupunkt der Körpertemperatur an oder übersteigt sie. Das bedeutet, dass der menschliche Körper nicht mehr in der Lage wäre, sich durch Schwitzen zu kühlen. Selbst ein gesunder Erwachsener, der ausreichend trinkt, würde nach spätestens sechs Stunden Aufenthalt im Schatten gesundheitliche Folgen spüren, von Schwindel und Erbrechen bis zu einem schweren Hitzeschlag, der ohne medizinische Behandlung zum Tod führen kann. Das jedenfalls könnte passieren, wenn die arabischen Staaten nicht etwas dagegen unternehmen.
Regen machen
In Berlin am Rand des Tiergartens steht eingepfercht zwischen riesigen Botschaftsbauten und Vertretungen verschiedener Bundesländer ein schmales, aber prächtiges Gebäude im arabischen Baustil, wie aus Tausendundeiner Nacht. Botschafter Ali Abdulla Al Ahmed ist jung und der Vertreter eines aufstrebenden Landes. Er redet über die Hitze in seinem Land, die schon heute extrem sei. Es sei schon einmal 45 Grad Celsius heiß, teilweise wochenlang. Am liebsten aber spricht Al Ahmed über Technologien, die zeigen sollen, dass man bereits heute handelt: 15 Milliarden Dollar haben die Emirate in erneuerbare Energien investiert, viel mehr ist geplant. Vor Abu Dhabi wird an der Ökostadt Masdar gebaut. Die Wirtschaft soll weniger abhängig vom Öl werden. Gegen die Hitze und Trockenheit hilft all das kaum – aber gegen sie sollen Technologien helfen, die gerade in Europa, den USA oder Japan entwickelt werden.
An der Universität Hohenheim erzählt Andreas Behrendt von seiner abenteuerlichen Reise in die Emirate: Im Sommer 2016 begann er mit seinen Kollegen mit dem Aufbau mehrerer Messinstrumente, die in die 900 Meter hohen Hajar-Berge im Osten der Emirate transportiert werden mussten. Direkt an die Stadtgrenzen von Abu Dhabi schließt sich eine ungastliche Sand- und Steinwüste an; die Pisten in den wenige Fahrtstunden entfernten Bergen waren nur mit geländegängigen Fahrzeugen zu meistern. Mittlerweile sammeln die Geräte dort seit über einem Jahr ihre Daten: ein Regenradar, das schon wenige hundert Meter große Luftverwirbelungen auflösen kann – und ein Lidar, ein Lasermessgerät, das die Windgeschwindigkeit über viele Kilometer weit genauer vermisst, als dies Meteorologen bisher können.
Es ist die nächste Generation der Wetterüberwachung. Damit will Andreas Behrendt dabei helfen, eines der weltweit ambitioniertesten Programme zur Manipulation des Wetters zu verbessern. Die Idee klingt einfach: Wenn sich feuchte Luftströmungen oder erste Wolken am Himmel zeigen, starten bis zu sechs Regenflieger des Emirs und zünden dort an ihren Tragflächen montierte Fackeln, die feine Salzpartikel freisetzen. Diese Partikel wirken als Kondensationskeime, lassen den bereits meist weit unter dem Gefrierpunkt kalten Wasserdampf also zu Eispartikeln gefrieren. Die beginnen zu fallen – und werden vielleicht zu einem kühlenden Regenschauer, der aufgefangen und als Trinkwasser genutzt werden kann.
Derart in den Wasserkreislauf einzugreifen, ist eine viele Jahrzehnte alte Idee, deren Erfolgschancen bislang gering sind und die unter Forschern daher umstritten ist. Denn ob die Wolken sich wegen des Einsatzes der Flugzeuge ergossen haben oder ob es auch ohne sie geregnet hätte, ist nur schwer zu unterscheiden. Dafür verhält sich die Atmosphäre viel zu chaotisch; nie stellen sich zweimal identische Bedingungen ein, die man statistisch sauber vergleichen könnte. Dennoch ist Behrendt davon überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein: Denn am Golf heizt sich das Meer durch die intensive Sonnenstrahlung so stark auf, dass die Luft fast immer extrem feucht ist – eine wichtige Voraussetzung für neue Wolken. Die Daten aus Hohenheim sollen den Regenfliegern den nötigen zeitlichen Vorsprung verschaffen. Die Flugzeuge des Emirs könnten dank ihrer Messungen vielleicht schon bald früher aufsteigen und ihre Regen auslösenden Partikel rechtzeitig versprühen.
Jos Lelieveld ist dagegen skeptisch: "Es ist unmöglich, im Sommer Regen zu erzeugen", sagt der Forscher vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. "Es ist einfach meteorologisch bedingt nicht möglich." Lelieveld entwickelt regionale Klimamodelle für den arabischen Raum, die für die Zukunft extreme Hitze voraussagen. Doch das Versprühen von Partikeln kann nur dort Wolken erzeugen, wo es einen Mangel an Kondensationskeimen gibt: "Das ist in diesem Gebiet nie der Fall", sagt Lelieveld. "Es gibt immer Staub; es gibt immer Verschmutzungs- und Feinstaubteilchen." Darauf angesprochen reagiert Andreas Behrendt ausweichend: Noch sei nicht klar, ob in den kritischen Höhen wirklich schon genügend Staubpartikel vorkämen. Dazu sei eine japanische Gruppe von Atmosphärenphysikern derzeit dabei, dies mit Geld aus den Emiraten zu erforschen.
Viele kühlende Bäume
Für Klaus Becker dagegen sind Pflanzen die Lösung: Der pensionierte Professor für Aquakultursysteme beschäftigt sich seit Jahrzehnten damit, wie heiße und trockene Regionen gegen steigende Temperaturen und Wasserarmut ankommen könnten: Vor 20 Jahren stieß er in Nicaragua auf Jatropha curcas, die Purgiernuss oder Schwarze Brechnuss. Wird ihr Samen in die Wüste gesetzt, wird aus dem scharf brennend schmeckenden und giftigen Sämling schon nach wenigen Jahren ein Baum mit einem wulstigen Stamm, ein Zeichen für den Feuchtevorrat, von dem die Pflanze zehrt. "Jatropha ist an jede Temperatur adaptiert, sei sie noch so hoch", sagt Becker. Und Jatropha wachse fast überall, "man kann fast sagen, in Silizium im Wüstensand".
In Luxor am Nil ließ Klaus Becker auf einer 1000 mal 1000 Meter großen Fläche fast 100 000 dieser Bäume anpflanzen. Das Öl ihrer Nüsse ließe sich sogar als Dieseltreibstoff verkaufen. Gewaltige Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre könnten zudem als fester Kohlenstoff der Pflanzen gebunden werden. Deshalb erwähnt schon ein Bericht des Weltklimarats von 2007 den Jatropha-Anbau. Für von Hitze betroffene Regionen gäbe es einen weiteren Effekt. "Wir konnten mit Simulationen feststellen, dass in der Sonora-Wüste in Mexiko oder auch im Oman eine Plantage von einer Million Hektar die Temperatur regional und kleinregional um mehr als ein Grad Celsius absenken würde." Und das sei gegenüber eines mittleren Temperaturanstiegs von zwei Grad Celsius eine ganze Menge. Darüber hinaus würde eine solche Fläche mit Jatropha bepflanzt, Niederschläge induzieren oder erhöhen
Klaus Becker sieht Jatropha heute nach einer intensiven Zuchtphase am Ziel: Aus der Wildpflanze mit mäßigem Ertrag wurde binnen weniger Jahre eine Nutzpflanze, die schnell wächst und das Zehnfache an Nüssen trägt. Jetzt muss Becker noch die Regierungen überzeugen. Gerne würde er die Küstenregionen zwischen Nordafrika und den Küsten Arabiens bewalden. Die Wasserarmut der Region sei ebenso kein Problem: Im Fall der Plantage in Luxor bewässerten die Forscher die vielen Jatropha-Bäume mit geklärtem Abwasser der nahen Großstadt – ein Modell, das auch am Arabischen Golf denkbar ist. In den boomenden Vereinigten Arabischen Emiraten etwa soll die Mengen an anfallendem Abwasser bis 2030 von 6000 auf 9000 Millionen Kubikmeter steigen. Ein grüner Gürtel könnte von den Städten aus wachsen – im Niemandsland mit Meerwasser versorgt, das in gigantischen solarbetriebenen Meerwasserentsalzungsanlagen von Salz befreit werden müsste.
Unbekannte Risiken
All diese Technologien haben eines gemeinsam: Sie erfordern massive Investitionen und dazu Eingriffe in die Umwelt, während längst noch nicht klar ist, ob sie im anvisierten Maß überhaupt realisierbar sind. Die Manipulation des Wetters dürfte, wenn sie denn gelingt, wohl nur ausgewählten und begüterten Staaten helfen, die sich die ständigen Flüge in feuchte Luftmassen leisten können. Der Regen würde möglicherweise anderswo fehlen, vielleicht sogar in ärmeren Nachbarländern, die ebenso unter Hitze und Trockenheit leiden. Auf der anderen Seite zählt auch die Aufforstung riesiger Wüstenregionen zum Geoengineering – eine ganze Region wird durch den Menschen umgestaltet. Ob dadurch aber nicht neue und ungewollte Effekte entstehen, ist längst nicht abzusehen. Denn werden die Plantagen als Monokulturen geplant, wären sie allzu anfällig gegen Schädlinge. Stark salzhaltige Wüstenböden könnten das Wachstum von Jatropha bremsen. Findige Investoren könnten hochwertiges Ackerland für den Jatropha-Anbau nutzen, was die lokalen Nahrungspreise ansteigen ließe. Und auch um verfügbares Wasser würde Jatropha letztlich mit Nahrungspflanzen konkurrieren.
Bis eine Lösung gegen die Hitze gefunden ist, dürften sich die futuristischen Städte am Golf noch stärker hin zu Raumschiffen entwickeln: innen behaglich klimatisiert – und im Sommer draußen bisweilen unerträglich heiß. Somit wird die zunehmende Hitze wohl auch die gut betuchten Schichten der Golfstaaten kaum beeindrucken, wohl aber das Heer der Gastarbeiter. Denn noch haben Letztere einen entscheidenden Anteil am Wohlstand der boomenden Städte am Golf.
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