Neurologie: Wenn eine Hirnhälfte für zwei arbeitet
Für Menschen, die unter besonders schweren Formen von Epilepsie leiden, gibt es manchmal keine andere Behandlungsmöglichkeit: Man muss ihnen einen Teil des Gehirns entfernen. Bei den sechs Menschen, die das Team um Dorit Kliemann vom California Institute of Technology untersuchte, genügte das nicht; ihnen musste sogar eine komplette Großhirnhälfte entnommen werden. Dennoch würden sich diese Menschen heute, Jahre nach dem Eingriff, völlig normal verhalten, erklären die Forscher. Wie das möglich ist, sollten Aufnahmen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) klären. Doch der einzige Unterschied in der inneren Organisation der verbliebenen Hirnhälfte bestehe darin, dass die Netzwerke, die etwa für die visuelle Wahrnehmung oder für Fühlen und Bewegung zuständig sind, stärker miteinander verknüpft seien, schreibt das Team im Fachjournal »Cell Reports«.
Um die Organisation eines Gehirns im Ruhezustand zu untersuchen, schlugen andere Forschergruppen eine Unterteilung in insgesamt sieben funktionelle Netzwerke vor. Diese Schaltkreise sind häufig über beide Hirnhälften verteilt. Kliemann und ihre Kollegen erwarteten deshalb, dass sich die Netzwerke in der verbliebenen Hälfte massiv verändert haben würden, um den Verlust auszugleichen. Zu ihrer Überraschung fanden sie bei den operierten Personen aber die gleichen Netzwerke wie bei Menschen mit zwei Hirnhälften.
Zum Zeitpunkt der Studie waren alle Probandinnen und Probanden zwischen 20 und 30 Jahre alt. Sie waren im Alter zwischen drei Monaten und elf Jahren operiert worden. Zwischen jenen, die besonders früh, und jenen, die vergleichsweise spät operiert worden waren, habe es keinen nennenswerten Unterschied gegeben, so die Forscher. Das Entfernen einer Großhirnhälfte, Hemisphärektomie genannt, birgt jedoch immer die Gefahr schwerster bleibender Funktionsausfälle und wird darum nur in äußerst seltenen Fällen durchgeführt. Um Patienten vor epileptischen Anfällen zu bewahren, entfernt man häufiger bloß einzelne Lappen des Großhirns oder durchtrennt das Corpus callosum, den Balken, der die beiden Hirnhälften miteinander verbindet.
Weil sich die Netzwerke in ihrer verbliebenen Hirnhälfte umstrukturiert und stärker miteinander verknüpft hätten, seien die geistigen Fähigkeiten erhalten geblieben, erläutert das Team um Dorit Kliemann. Die Neurowissenschaftlerin berichtet in einer Pressemitteilung: »Wenn ich vor dem Computer sitze und mir die MRT-Bilder anschaue, die nur ein halbes Gehirn zeigen, wundere ich mich jedes Mal, dass sie von derselben Person stammen, mit der ich eben geredet habe.«
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