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Kommunikation: Wer anders denkt, hat nur nicht richtig zugehört

Niemand möchte gern als schlechter Zuhörer dastehen. Aber egal, wie aufmerksam man den Argumenten lauscht: Am Ende zählt vor allem, ob man zustimmt oder widerspricht.
Ein Mann im Publikum ist aufgestanden und spricht gestikulierend in ein Mikrofon
Wer gute Argumente vorbringt, erwartet Zustimmung. Das kann zu einem Trugschluss führen. (Symbolbild)

Angenommen, jemand erklärt Ihnen seine Sichtweise auf ein Thema. Auch wenn Sie aufmerksam und interessiert lauschen: Wenn Sie am Ende eine andere Meinung vertreten, wird Ihr Gegenüber das als Indiz dafür werten, dass Sie nicht gut zugehört haben. Zu diesem Schluss kommen zwei Psychologinnen von der University of Pennsylvania, nachdem sie das Phänomen in elf Experimenten und an mehr als 3000 Versuchspersonen untersucht haben.

Für ihr erstes Experiment baten Bella Ren und Rebecca Schaumberg Studierende, in einem virtuellen Meeting zu einem von vier Themen Position zu beziehen. Das Gegenüber war eine (eingeweihte) fremde Person, die sich immer gleich verhielt: Sie blickte in die Kamera, nickte gelegentlich und brummte hin und wieder etwas Zustimmendes wie »okay«. Die übrigen Experimente waren ähnlich aufgebaut, aber mit kleinen Unterschieden: Mal wurde das Gespräch zum Beispiel per Chat geführt, mal standen mehr Themen zur Wahl oder die Aufgabe bestand darin, unter mehreren Bewerbungen eine geeignete Person auszuwählen.

Danach bekamen die Probandinnen und Probanden – vermeintlich von der adressierten Person – schriftlich Rückmeldung. Darin stand stets, dass sie das Gesagte verstanden habe und für durchdacht halte. Sie war in der Sache aber trotzdem nicht immer derselben Meinung: Per Zufall erntete die Hälfte der Versuchspersonen Zustimmung, die andere Hälfte Widerspruch. Daraufhin sollten sie beurteilen, ob das Gegenüber ihnen aufmerksam zugehört hatte.

Wie die Forscherinnen berichten, fielen die Urteile in allen Experimenten nach dem gleichen Muster aus. Die Versuchspersonen attestierten denen, die widersprochen hatten, schlechtere Zuhörerqualitäten – bis zu 1,5 Punkte weniger auf einer Skala von 1 bis 5. Hatten die Zuhörer besondere Aufmerksamkeit signalisiert, besserte sich zwar das Urteil. Allerdings brachten diese Anstrengungen weniger, als wenn sie am Ende einfach nur zugestimmt hätten.

Ren und Schaumberg machen dafür eine Art naive Selbstüberschätzung verantwortlich: Demnach halten Menschen ihre eigene Meinung für so objektiv und unvoreingenommen, dass sie glauben, andere müssten ihnen zwangsläufig zustimmen, sofern sie die Argumente gehört und verstanden haben. Deshalb sei es schwierig, eine andere Meinung zu vertreten, ohne als schlechter Zuhörer dazustehen, schreiben die Autorinnen. Wer schlechte Zuhörerqualitäten bescheinigt bekommt, hat vielleicht nur einen einzigen Fehler gemacht: Widerspruch zu äußern.

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  • Quellen
Psychological Science 10.1177/09567976241239935, 2024

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