Anthropologie: Wer länger kaut, verbrennt mehr Kalorien
Abnehmen mit Kaugummikauen? Das klingt nach einer Werbestrategie der Kaugummi-Hersteller. Was soll es schon an Energie kosten, wenn man laut schmatzend ein Stückchen Plastik zwischen den Backenzähnen zermalmt und schlimmstenfalls auch noch Blasen pustet. Doch Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sowie der Universitäten in Manchester, Santiago de Chile, Maastricht und Leiden konnten in einer Studie zeigen, dass das Kauen eines geschmack- und geruchlosen Kaugummis den Stoffwechsel antreibt und um 10 bis 15 Prozent über das Grundniveau hebt. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachjournal »Science Advances« veröffentlicht.
Natürlich wollten sie nicht herausfinden, ob man beim Kaugummikauen Kalorien verbrennt. Vielmehr erhoffen die Wissenschaftler sich von den im Experiment gewonnenen Erkenntnissen tiefere Einsichten in die Evolution des Kauprinzips und der Nahrungszubereitung an sich. Ist es energieintensiver, schneller zu kauen oder mit besonders viel Kraft? Wie unterscheidet sich das menschliche Kauen von der Nahrungszerkleinerung anderer Menschenaffen? Und wie könnte das damit zusammenhängen, dass der moderne Mensch irgendwann angefangen hat, Nahrung zu kochen und so die Kauzeit zu verkürzen?
Kochen verkürzt Kauzeit
Die Autoren und Autorinnen untersuchten dazu den Atem ihrer 21 Probanden mit respiratorischen Messungen und machten eine Elektromyografie des Kaumuskels. So konnten sie zeigen, dass die Spannung in der Muskulatur steigt, je steifer der Kaugummi ist, und entsprechend mehr Energie zum Kauen benötigt wird – etwa 0,59 Kilojoule pro Minute für den festeren Kaugummi und 0,53 Kilojoule pro Minute für den weicheren. Bei modernen Menschen mache das Kauen zwar wahrscheinlich nur einen kleinen Teil des täglichen Energiebudgets aus, schreiben sie. »Für unsere Vorfahren jedoch, die vor dem Aufkommen des Kochens und ausgeklügelter Methoden der Nahrungsverarbeitung lebten, müssen die Energiekosten relativ hoch gewesen sein.«
Um das an einem Beispiel zu illustrieren, nehmen die Anthropologen vereinfacht an, dass das Kauen von Fleisch ähnlich viel Energie verbraucht wie das des steifen Kaugummis, nämlich rund 9,2 Kilokalorien pro Stunde. »Dies würde bei Schimpansen zu einem Rückgang der aus Fleisch gewonnenen Energie pro Stunde um 2,3 Prozent und bei Orang-Utans um 5 Prozent führen«, rechnen sie vor. Das sei zwar spekulativ, doch das Gedankenexperiment zeige, dass es bei Hominoiden eine Energiesenke darstellen könne, wenn lange auf etwas herumgekaut wird. Somit hätten sich nicht nur die Kauzeiten verkürzt, als die Menschen begannen, ihre Nahrung zu kochen, sondern es hätte sich auch gleichzeitig der energetische Ertrag der Nahrung erhöht.
Eine der Hauptantriebskräfte dafür, dass Säugetiere kauen, ist die Notwendigkeit, die Nahrungsaufnahme zu optimieren, um ein Maximum an Energie daraus zu gewinnen. Das führte über die Zeit zu erheblichen morphologischen Innovationen bei Zähnen, Kiefer, Rachen und Kaumuskeln. Untersuchungen von Beuteltieren deuten darauf hin, dass es sich nachteilig auf das Überleben des Tiers auswirken kann, wenn sich die individuelle Fähigkeit zum Kauen verschlechtert. »Während sich viele Forscher lange darauf konzentriert haben, wie Technologien zur Nahrungsverarbeitung die frühen Menschen von den zeitlichen und physischen Zwängen der oralen Nahrungsverarbeitung befreit haben könnten, deuten unsere Daten darauf hin, dass diese Dynamik wahrscheinlich auch eine bedeutende energetische Komponente hat«, schreiben die Wissenschaftler. Ob nun mit Kaugummi oder ohne – wer abnehmen möchte, sollte ausgiebig kauen, so viel steht fest.
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