Starkregen-Schutz: Wer sagt mir, wann die Flut kommt?
Nicht nur mehrere Tote und Milliardenschäden, sondern auch eine verunsicherte Bevölkerung und Behörden, deren Warnungen sich als ineffektiv erwiesen haben. Das ist die Bilanz jener Unwetter, die 2016 für die Verwüstungen in diversen Landkreisen Bayerns, Baden-Württembergs, Nordrhein-Westfalens und anderer Bundesländer verantwortlich waren. Die Sturzfluten, die zum Teil ohne Vorwarnung durch Ortschaften rasten, werfen Fragen auf – welche Vorsorge man für solche Ereignisse treffen kann, aber auch, ob während der akuten Notlagen ausreichend Informationen zur Verfügung standen.
Unbestritten ist, dass Vorsorge viele Katastrophen verhindern oder abmildern kann. Bei der Stadt- und Landschaftsplanung müssen Starkregenfälle und Sturzfluten berücksichtigt werden, mahnt der Städtetag die Gemeinden. Auch wer ein Haus besitzt, sollte einen prüfenden Blick auf das umliegende Gelände werfen. Ein Bootsanleger im Garten zum Beispiel könnte auf ein Überschwemmungsrisiko hindeuten – aber weniger offensichtliche Gegebenheiten begünstigen schwere Überschwemmungen ebenso. "Überprüfen Sie die Lage des Gebäudes. Bereits leichte Hanglagen, die auf das Haus zuführen, können zu massivem Wassereinfall führen", schreibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
Zu wenig und zu langsam
Doch Vorsorge ist nur ein Teil des Katastrophenschutzes. Wenn Gefahr droht, müssen Betroffene das erfahren, und zwar bevor ein treibender Baumstamm ans Schlafzimmerfenster klopft. Das Zeitfenster hierfür ist im Vergleich zu anderen Notlagen wie Flusshochwässern sehr kurz – maximal etwa eine Stunde im Voraus sind hinreichend genaue Angaben darüber möglich, wo durch ein Gewitter extreme Regenmengen drohen. Der Alarm muss nahezu in Echtzeit erfolgen, um noch rechtzeitig zu kommen.
Das kann die heutige Infrastruktur schlicht nicht leisten, konstatieren Fachleute einhellig. Das ganze System, mit dem die Behörden im Katastrophenfall die Öffentlichkeit informieren, sei undurchsichtig, erklärt der Logistiker Andreas Kling, Fachmann für Infrastruktur in Katastrophengebieten. Das mache kurzfristige Warnungen höchst kompliziert, auch weil die lokalen Warnsysteme seit den 1990er Jahren in vielen Orten verschwanden. "Es war meiner Meinung nach ein Fehler, nach dem Ende des Kalten Krieges die Warnsirenen abzubauen, ohne einen geeigneten Ersatz zu schaffen."
Auch der Meteorologe Jörg Kachelmann von Kachelmannwetter.com plädiert für solche Alarmsysteme auf lokaler Ebene: "Jeder Landrat müsste auf seinem Tisch einen roten Knopf haben, der die Sirene loslässt. Und er muss selbst entscheiden dürfen, ob er drücken will, nicht eine ferne Behörde." Damit das funktioniert, muss die Warnung allerdings erst einmal rechtzeitig bis zum Landrat durchkommen, und bei so plötzlichen und regional begrenzten Ereignissen wie Sturzfluten ist das nur schwer durchführbar – zu unvermittelt kommt das Wasser. In der Entwicklung sind zum Beispiel Computermodelle, die kleinräumige Regenmengen zusammen mit den Gegebenheiten vor Ort wie Bachläufen, Hanglagen und Bodeneigenschaften simulieren, um in Echtzeit zu warnen.
Müssen Medien besser warnen?
Doch auch das hilft, wenn die Informationsweitergabe rasch läuft. Seit Jahrzehnten allerdings arbeiten Behörden an solchen Systemen, ohne wirklich voranzukommen. Das liegt unter anderem an den komplizierten Verwaltungsstrukturen, so Kling. "Katastrophenschutz ist ja Ländersache, und die Länder und Landkreise haben ihre eigenen Systeme. Zudem gibt es unterschiedliche Verantwortlichkeiten bei unterschiedlichen Ereignissen." Zusätzlich behindern in einigen Fällen auch Kompetenzstreitigkeiten zwischen verschiedenen Ämtern, dass die Öffentlichkeit angemessen informiert wird.
Kachelmann moniert denn auch die Fixierung auf den Staat: "Es ist eine Krankheit in einem beamtenseligen Land, immer auf eine noch tollere Behörde zu warten, die das alles tut." Hier seien die Medien, insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender in der Pflicht. Er kritisiert die Anstalten für ihre Berichterstattung: "In anderen Ländern wie den USA sorgen Medien mit Storm Chasern, Hubschraubern und Redaktionspersonal dafür, dass bei Unwettern möglichst wenige Menschen sterben." Deutsche Medien, so der Meteorologe, hätten dagegen lediglich allgemeine Warnungen weitergegeben und sich auf Meldungen der Nachrichtenagenturen verlassen.
Allerdings hapert es beim Informieren nicht nur auf der Seite der Sender – auch die vorgesehenen Empfänger sind nicht automatisch optimal vorbereitet, gibt Katastrophenexperte Kling zu bedenken: "Warnungen sind eine Sache. Man muss der Bevölkerung jedoch auch Handlungsanweisungen geben, was in einem spezifischen Katastrophenfall zu tun ist." Hier sieht der Krisenexperte einiges im Argen, denn große Teile der Bevölkerung wissen mit Warnungen und Lageinformationen schlicht nicht mehr umzugehen.
Vor allem aber müsse man beim kachelmannschen Verweis auf die USA einen entscheidenden Unterschied im Blick behalten: Die Bevölkerung dort ist wesentlich mehr an Naturkatastrophen gewöhnt als in Deutschland. Das hat zum Teil kulturelle Gründe, zum Teil liegt es auch an dem eigentlich erfreulichen Umstand, dass Deutschland sehr lange keine wirklich großen Katastrophen erlebt hat.
Trügerische Sicherheit
"Das ist das, was man in der Fachwelt als 'Verletzlichkeitsparadox' bezeichnet", so Kling, "Bei uns ist – zum Glück! – seit 70 Jahren nichts Großes mehr passiert. Dadurch sind wir aber wesentlich schlechter auf Naturkatastrophen vorbereitet als Länder, in denen so etwas regelmäßig geschieht." Solche Ereignisse haben deshalb hier zu Lande tendenziell wesentlich schwerere Folgen. Das fängt schon bei eigentlich banaler Unwissenheit an: "Wenn jemand bei einer drohenden Sturzflut trotzdem noch schnell sein Auto in die Tiefgarage fährt, nützen natürlich die besten Warnungen nichts."
Man müsse alle zur Verfügung stehenden Informationskanäle einbeziehen und viel gründlicher informieren, ist der Schluss des Krisenexperten. Einen Königsweg zum Katastrophenschutz gibt es nicht, darin stimmen die Fachleute überein. Handy-Apps seien ein guter Ansatz, lobt der eine, während der andere warnt, dass Mobilfunknetze oft als Erstes ausfallen. Sirenen sind schön und gut, doch mit Dreifachverglasung und lauter Musik im Wohnzimmer bekommt man davon ebenso wenig mit wie der Gehörlose, der sein Hörgerät auf dem Nachttisch liegen hat. Und wie gut die ARD informiert, spielt auch nur dann eine Rolle, wenn der Fernseher läuft.
Deswegen plädiert Kling dafür, Naturgefahren stärker im Blick zu haben und diese Vorbereitung nicht auf Behörden, Bauträger oder die Feuerwehr abzuwälzen. Starkregen kann überall auftreten, und absoluten Schutz, da sind sich Fachleute einig, gibt es nicht. "Wer in Deutschland macht sich Gedanken, was es bedeutet, wenn es stundenlang an Ort und Stelle regnet?", fragt der Meteorologe Jörg Kachelmann. Die Antwort scheint zu sein, dass wir das alle tun müssen.
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