News: Wer weiß, sieht besser
Die Arbeiten hat Dr. Alumit Ishai im Rahmen ihrer Promotion unter Anleitung von Prof. Dov Sagi von der Abteilung Neurobiologie des Weizmann Institutes durchgeführt. Die Studie unterstützt auch die These, daß visuelles Kurz- und Langzeitgedächtnis von zwei verschiedenen Mechanismen im Gehirn gesteuert werden.
Jeder, der einmal in einer Menschenmenge nach einem Freund Ausschau gehalten hat, weiß intuitiv, wie visuelle Vorstellung funktioniert. Wenn man vor seinem geistigen Auge ein Bild entstehen läßt, kann man den Freund, wenn er dann wirklich auftaucht, leichter erkennen. Wie Sagi erklärt, arbeiten Gedächtnis und Wahrnehmung ständig zusammen, denn immer, wenn wir etwas sehen, identifizieren wir es auf der Grundlage von Bildern aus unserem Gedächtnis. Ohne Gedächtnis wäre unsere wahrgenommene Welt unverständlich, sagt er. Wird die Erinnerung jedoch zu stark bewertet, ist das Resultat eine Sinnestäuschung.
Arbeitet das Gehirn auf dieselbe Weise, wenn wir uns ein Objekt vorstellen und wenn wir es wirklich sehen? Erleichtert oder erschwert ein Rückgriff auf unser Gedächtnis visuelle Vorgänge? Philosophen und Wissenschaftler suchen schon lange nach einer Antwort auf diese Fragen, doch frühere Studien erbrachten widersprüchliche Ergebnisse. Die neue Studie von Ishai und Sagi erklärt warum: Bisherige Untersuchungen machten keinen Unterschied zwischen Bildern aus dem Kurzzeit- oder Langzeitgedächtnis.
Die Forscher am Weizmann Institute haben erstmals die Auswirkung visueller Vorstellung auf die Wahrnehmung quantifiziert. Sie schufen eine Versuchsreihe, in der Teilnehmer sogenannte Gabor-Signale, feine Lichtpunkte auf einem Computerbildschirm, sehen. Durch Veränderung der Lichtintensität der Punkte, stellten sie die genaue Helligkeitsschwelle fest, oberhalb derer das Licht für den Teilnehmer sichtbar wurde.
Zunächst betrachteten die Testpersonen ein Computerdisplay mit drei Gabor-Signalen in einer geraden Linie, wobei der Abstand der äußeren Signale vom mittleren Signal variabel war. Je größer der Abstand der äußeren Signale wurde, desto schwerer wurde für die Testpersonen die Erkennung des mittleren Signals, bis sie es schließlich gar nicht mehr sahen. Dann veränderten die Forscher die Helligkeit des zentralen Signals, um eine neue Schwelle zu messen, bis zu welcher der Teilnehmer den Zielpunkt erkennt.
Nun wurde das Gedächtnis auf den Plan gerufen. Sagi und Ishai zeigten einen Bildschirm mit nur einem Gabor-Signal und baten die Teilnehmer, sich die flankierenden Signale, die sie zuvor gesehen hatten, vorzustellen. Die Ergebnisse waren überraschend: Wenn sich die Teilnehmer die seitlichen Signale vorstellten, konnten sie das Ziel leichter sehen als im vorherigen Versuch. Durch die Aktivierung des Kurzzeitgedächtnisses sank die Schwelle der visuellen Wahrnehmung. Die Testpersonen hatten tatsächlich ein verbessertes Sehvermögen.
Weitere Versuche förderten eine eindeutige Verbindung dieses Phänomens mit dem Kurzzeitgedächtnis zutage. Die Wahrnehmungsschwelle sank nur, wenn die Teilnehmer kurz nach dem Seherlebnis der Seitensignale dazu aufgefordert wurden, sich diese Signale vorzustellen. Nach einem längeren Zeitraum, wenn die Seitensignale vermutlich bereits im Langzeitgedächtnis gespeichert waren, erhöhte sich die Wahrnehmungsschwelle bei der Vorstellung des Bildes, das heißt das Zielsignal war schwerer zu erkennen.
Diese Ergebnisse weisen darauf hin, daß die Wiedergabe aus Kurz- und Langzeitgedächtnis im Gehirn unterschiedlich vonstatten geht und von verschiedenen neuronalen Mechanismen gesteuert wird, obwohl noch nicht klar ist, um welche Mechanismen es sich handelt.
Sagi und Ishai hoffen, daß man durch weitere Erforschung dieses Phänomens eines Tages Menschen mit gestörtem Sehvermögen die Augen öffnen kann.
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