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News: Wer weiß, sieht besser

Wir erkennen optische Muster besser wieder, wenn sie sich im Kurzzeitgedächtnis befinden und schlechter, wenn sie nur im Langzeitgedächtnis abgespeichert sind. Aus diesen Beobachtungen lassen sich vorsichtige Schlüsse über die Mechanismen des visuellen Erinnerungsvermögens ziehen.
Wer Bilder vor seinem geistigen Auge entstehen läßt, sieht die Realität mit besseren Augen. Das haben Wissenschaftler vom Weizmann Institute herausgefunden. Die Phantasie beflügelt jedoch die Wahrnehmung nur dann, wenn die Bilder aus dem Kurzzeitgedächtnis stammen, berichten die Forscher im Journal of Cognitive Neuroscience (Ausgabe vom Dezember 1997). Im Gegensatz dazu kann ein Zurückgreifen auf das Langzeitgedächtnis unsere Fähigkeit zur visuellen Wahrnehmung sogar beeinträchtigen.

Die Arbeiten hat Dr. Alumit Ishai im Rahmen ihrer Promotion unter Anleitung von Prof. Dov Sagi von der Abteilung Neurobiologie des Weizmann Institutes durchgeführt. Die Studie unterstützt auch die These, daß visuelles Kurz- und Langzeitgedächtnis von zwei verschiedenen Mechanismen im Gehirn gesteuert werden.

Vorstellung und Wirklichkeit

Jeder, der einmal in einer Menschenmenge nach einem Freund Ausschau gehalten hat, weiß intuitiv, wie visuelle Vorstellung funktioniert. Wenn man vor seinem geistigen Auge ein Bild entstehen läßt, kann man den Freund, wenn er dann wirklich auftaucht, leichter erkennen. Wie Sagi erklärt, arbeiten Gedächtnis und Wahrnehmung ständig zusammen, denn immer, wenn wir etwas sehen, identifizieren wir es auf der Grundlage von Bildern aus unserem Gedächtnis. „Ohne Gedächtnis wäre unsere wahrgenommene Welt unverständlich”, sagt er. „Wird die Erinnerung jedoch zu stark bewertet, ist das Resultat eine Sinnestäuschung.”

Arbeitet das Gehirn auf dieselbe Weise, wenn wir uns ein Objekt vorstellen und wenn wir es wirklich sehen? Erleichtert oder erschwert ein Rückgriff auf unser Gedächtnis visuelle Vorgänge? Philosophen und Wissenschaftler suchen schon lange nach einer Antwort auf diese Fragen, doch frühere Studien erbrachten widersprüchliche Ergebnisse. Die neue Studie von Ishai und Sagi erklärt warum: Bisherige Untersuchungen machten keinen Unterschied zwischen Bildern aus dem Kurzzeit- oder Langzeitgedächtnis.

Kurzzeit- gegen Langzeitgedächtnis

Die Forscher am Weizmann Institute haben erstmals die Auswirkung visueller Vorstellung auf die Wahrnehmung quantifiziert. Sie schufen eine Versuchsreihe, in der Teilnehmer sogenannte Gabor-Signale, feine Lichtpunkte auf einem Computerbildschirm, sehen. Durch Veränderung der Lichtintensität der Punkte, stellten sie die genaue Helligkeitsschwelle fest, oberhalb derer das Licht für den Teilnehmer sichtbar wurde.

Zunächst betrachteten die Testpersonen ein Computerdisplay mit drei Gabor-Signalen in einer geraden Linie, wobei der Abstand der äußeren Signale vom mittleren Signal variabel war. Je größer der Abstand der äußeren Signale wurde, desto schwerer wurde für die Testpersonen die Erkennung des mittleren Signals, bis sie es schließlich gar nicht mehr sahen. Dann veränderten die Forscher die Helligkeit des zentralen Signals, um eine neue Schwelle zu messen, bis zu welcher der Teilnehmer den Zielpunkt erkennt.
Nun wurde das Gedächtnis auf den Plan gerufen. Sagi und Ishai zeigten einen Bildschirm mit nur einem Gabor-Signal und baten die Teilnehmer, sich die flankierenden Signale, die sie zuvor gesehen hatten, vorzustellen. Die Ergebnisse waren überraschend: Wenn sich die Teilnehmer die seitlichen Signale vorstellten, konnten sie das Ziel leichter sehen als im vorherigen Versuch. Durch die Aktivierung des Kurzzeitgedächtnisses sank die Schwelle der visuellen Wahrnehmung. Die Testpersonen hatten tatsächlich ein verbessertes Sehvermögen.

Weitere Versuche förderten eine eindeutige Verbindung dieses Phänomens mit dem Kurzzeitgedächtnis zutage. Die Wahrnehmungsschwelle sank nur, wenn die Teilnehmer kurz nach dem Seherlebnis der Seitensignale dazu aufgefordert wurden, sich diese Signale vorzustellen. Nach einem längeren Zeitraum, wenn die Seitensignale vermutlich bereits im Langzeitgedächtnis gespeichert waren, erhöhte sich die Wahrnehmungsschwelle bei der Vorstellung des Bildes, das heißt das Zielsignal war schwerer zu erkennen.

Diese Ergebnisse weisen darauf hin, daß die Wiedergabe aus Kurz- und Langzeitgedächtnis im Gehirn unterschiedlich vonstatten geht und von verschiedenen neuronalen Mechanismen gesteuert wird, obwohl noch nicht klar ist, um welche Mechanismen es sich handelt.

Sagi und Ishai hoffen, daß man durch weitere Erforschung dieses Phänomens eines Tages Menschen mit gestörtem Sehvermögen die „Augen öffnen” kann.

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