Wissenschaftspolitik: Wer wird Forschungspapst?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) beherrscht in diesen Wochen die Schlagzeilen: zuerst mit der Kür der Gewinner der Exzellenzinitiative – und am 4. Juli wird der künftige Präsident der Forschungsorganisation gewählt. Um die wichtige Personalentscheidung wird bislang wenig Wirbel gemacht. Am liebsten wäre es der DFG wahrscheinlich, wenn das Ganze möglichst geräuschlos über die Bühne ginge. Doch als größter Drittmittelgeber des deutschen Wissenschaftssystems steht sie selbst zunehmend im Fokus der Aufmerksamkeit. Und so interessiert es die Forschergemeinde ebenso wie die wissenschaftsaffine Öffentlichkeit sehr wohl, wer in der Schaltzentrale der mächtigen Förderorganisation ab 2013 die Fäden in der Hand halten könnte.
Außerdem ist in diesem Jahr alles ein bisschen anders als sonst. Denn erstmals in der DFG-Geschichte gibt eine "echte" Wahlmöglichkeit bei der Spitzenpersonalie. Die 96 Mitgliedsinstitutionen können sich zwischen drei Kandidaten entscheiden, konkret: zwischen einer Frau und zwei Männern. Das ist ein Novum, denn in der Vergangenheit stand immer nur ein Kandidat zu Wahl. Zwar betont die DFG-Pressestelle, dass es auch in den 1970er Jahren schon mal eine Situation gegeben habe, dass zwei Forscher für die Wahl um den DFG-Chefsessel gegeneinander antraten. Doch das war eine Ausnahme, bislang zumindest. Warum es in diesem Jahr nun weitaus demokratischer zugeht, dazu gibt es nur eine schmallippige Erklärung. "Es hat sich so ergeben, dass mehrere Wissenschaftler mit dem nötigen Potenzial zur Verfügung standen", erklärt DFG-Sprecher Marco Finetti. Und mit Verweis darauf, dass es sich ja um eine "streng vertrauliche Personalentscheidung" handelt, wurden die drei nominierten Kandidaten von der DFG auch nicht öffentlich bekannt gegeben. Nur die wahlberechtigten Mitglieder bekamen die Liste unter dem Siegel der Verschwiegenheit zugeschickt.
Doch unter der Hand kursieren die Namen in der Wissenschaftsszene mittlerweile. Nach Spektrum.de-Informationen handelt es sich um die Bielefelder Chemikerin Katharina Kohse-Höinghaus, den Würzburger Pharmakologen Martin Lohse sowie den Münchner Germanisten Peter Strohschneider. Wer von den dreien das Rennen machen könnte, ist derzeit völlig unklar. Unter den Wahlberechtigten – zu denen neben den Präsidenten und Rektoren von 69 Hochschulen die Chefs oder Leiter von 18 außeruniversitären Forschungsinstituten, 8 Akademien und 3 Verbänden gehören – ein valides Stimmungsbild auszumachen, ist nicht möglich. Auch hier will sich niemand vorzeitig äußern.
Gesucht: Maximales Durchhaltevermögen und Durchsetzungsfähigkeit
Eines ist allerdings sicher: Der nächste DFG-Präsident (oder Präsidentin) braucht Durchsetzungsfähigkeit und Durchhaltevermögen. Die leitende Person muss für noch mehr Geld sorgen, das in die Forschung in Deutschland und vielleicht auch zu europäischen Partnern fließen soll. Sie muss sicherstellen, dass die Öffentlichkeit wahrnimmt, welche gesamtgesellschaftliche Rolle der Wissenschaft zukommt. Und der oder die Neue muss die Kritik aushalten und mit ihr umgehen können, unter der die DFG wegen ihrer Förderpraxis mitunter steht.
Mit der Chemikerin Katharina Kohse-Höinghaus könnte in jedem Fall zum ersten Mal eine Frau die Großorganisation frühen: Die 60-Jährige ist Lehrstuhlinhaberin für Physikalische Chemie an der Universität Bielefeld, ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Physikalischen Diagnostik reagierender Systeme. Insbesondere Fragen der Verbrennung gehören zu ihren Forschungsschwerpunkten. An der Universität Stuttgart hatte sie sich 1992 habilitiert mit der Schrift "Laseroptische Verfahren für die quantitative Bestimmung der Konzentrationen reaktiver Teilchen sowie der Temperatur in Verbrennungssystemen". Zuvor hatte sie 14 Jahre am Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt in Stuttgart gearbeitet und später an der renommierten Stanford University geforscht.
Seit einigen Jahren ist Kohse-Höinghaus auch ins Blickfeld der Politik gerückt. So bekam sie für ihr Engagement beim Mitmach- und Experimentierlabor "teutolab" für Kinder und Jugendliche schon im Jahr 2007 vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Seit damals gehört sie auch dem Senat und Hauptausschuss der DFG an, also den wichtigsten Entscheidungsgremien der Forschungsorganisation. Neben zahlreichen anderen Mitgliedschaften ist die Chemikerin seit 2008 Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Und Anfang dieses Jahres landete sie einen weiteren Coup, als sie in den Wissenschaftsrat berufen wurde, das einflussreichste wissenschaftspolitische Beratungsgremium zu Hochschul- und Forschungsstrukturthemen in Deutschland. Kohse-Höinghaus wurde deshalb schon frühzeitig als mögliche DFG-Chefin gehandelt. Ihr Name kursiert bereits seit Herbst letzten Jahres.
Chemie, Pharmazie oder Germanistik?
Der zweite Kandidat, der Pharmakologe Martin Lohse, ist Vizepräsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Vizepräsident der Universität Würzburg. Entsprechend lang ist die Liste seiner wissenschaftlichen Leistungen, Auszeichnungen und Mitgliedschaften. Vor allem aber ist der 55-Jährige ein erfahrener DFG-Netzwerker: Seit 1996 gehörte er verschiedenen Entscheidungsgremien der Forschungsförderorganisation an. Unter anderem war er im Senat, dem Hauptausschuss und dem Bewilligungsausschuss der Exzellenzinitiative tätig. Lohse wird nicht zum ersten Mal das Zeug zum DFG-Präsidenten zugesprochen, denn vor sechs Jahren stand er schon einmal auf der Kandidatenliste. Doch als klar war, gegen wen er antreten sollte – den jetzigen Amtsinhaber und Ingenieurwissenschaftler Matthias Kleiner –, zog Lohse seine Kandidatur zurück. Diesmal stellt er sich zur Wahl.
Lohse ist ein hochdekorierter Forscher und erfahrener Wissenschaftspolitiker. Um nur zwei Beispiele zu nennen: 1999 erhielt er die wichtigste wissenschaftliche Auszeichnung in Deutschland, den Leibniz-Preis der DFG. Und von 2001 bis 2008 war er Mitglied des Nationalen Ethikrats. Ursprünglich hatte Lohse Humanmedizin und Philosophie in Göttingen, London und Paris studiert. 1988 habilitierte er in Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Heidelberg. Danach ging er in die USA an die Duke University in Durham, bevor er 1993 den Ruf nach Würzburg annahm. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Erforschung von Neuronen und Neurotransmittern. Aktuell ist Lohse zudem Leiter des DFG-Forschungszentrums für Biomedizin und geschäftsführender Direktor der Würzburger Graduiertenschulen.
Mit Peter Strohschneider steigt als dritter Kandidat ein richtiger wissenschaftspolitischer Promi in den Ring: Der Münchner Germanist war von 2006 bis 2011 Vorsitzender des Wissenschaftsrats. In dieser Funktion hatte er unter anderem die Exzellenzinitiative vorangetrieben und mit entschieden, welche Hochschule in Deutschland zur Elite geadelt wurde. Damit ist der 56-Jährige zweifellos derzeit einer der profiliertesten Forschungspolitiker in Deutschland. Überdies ist Strohschneider seit 2002 Professor für Germanistische Mediävistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München (LMU). Davor war er zehn Jahre lang Ordinarius an der Technischen Universität Dresden und dort maßgeblich am Aufbau der Geisteswissenschaften beteiligt. Als Gastprofessor hat er ein Jahr lang auch der Forschungs- und Bildungsinstitution École Pratique des Hautes Études in Paris gelehrt. 2010 wurde ihm das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Ursprünglich hatte Strohschneider an der LMU Germanistik und Geschichte sowie Rechtswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft studiert und 1991 hier auch im Fach Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters habilitiert. Sein wissenschaftliches Interesse gilt insbesondere der mediävistischen Literaturwissenschaft, die er unter medien- und kulturanthropologischen Problemstellungen untersucht.
"Kein Kommentar"
Keiner der drei Nominierten wollte sich auf Spektrum.de-Anfrage zu seiner Kandidatur öffentlich äußern. Erst nach der Wahl auf der DFG-Mitgliederversammlung am 4. Juli 2012 soll das geschehen. Und dann hat er oder sie noch ein halbes Jahr Zeit, sich auf den neuen Chefposten vorzubereiten. Denn die Amtszeit des jetzigen DFG-Chefs Matthias Kleiner läuft erst Ende des Jahres 2012 aus. Kleiner ist übrigens seit 2006 DFG-Präsident und wollte nach zwei Amtszeiten nicht nochmal antreten.
Die meisten Stimmberechtigten begrüßen es jedenfalls, dass in diesem Jahr drei Kandidaten zur Verfügung stehen. "Es ist schön, dass man eine Wahl hat. Wünschenswert wäre, dass dieses Beispiel Schule macht", kommentiert etwa Klaus Dicke, der Rektor der Universität Jena. Dass sich vom Forschungsprofil des neuen DFG-Präsidenten auch Rückschlüsse auf die künftige DFG-Förderpolitik ziehen lassen, will Dicke allerdings nicht bestätigen: "Natürlich wird ein Geisteswissenschaftler mit anderen Augen auf Forschungsanträge aus seiner Wissenschaftskultur schauen als ein Naturwissenschaftler. Aber wenn man auf die vergangenen DFG-Präsidenten und die Präsidien insgesamt blickt, so waren diese doch immer um Ausgewogenheit bemüht", sagt Dicke.
Sein Kollege Rolf Dieter Postlep, Präsident der Universität Kassel, kann sich dagegen durchaus vorstellen, dass der künftige DFG-Präsident "immer mal Schwerpunkte setzt, die von der eigenen Forscherkultur geprägt sind". Deshalb sei es gut, dass "es die Tradition gibt, den Posten des DFG-Präsidenten abwechselnd aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen zu besetzen". Der jetzige Amtsinhaber kam aus den Technikwissenschaften. Nun stehen eine Naturwissenschaftlerin, ein Lebenswissenschaftler und ein Geisteswissenschaftler zur Wahl. Der oder die Neue müsse jedenfalls dafür sorgen, dass die in den letzten Jahren in Gang gekommene DFG-Förderung von Großprojekten "nicht zu Lasten der Normalverfahren geht, also der Förderung für einzelne Wissenschaftler. Besonders in der Grundlagenforschung ist das ein wichtiges Instrument, um Innovation und Dynamik sicherzustellen", betont Postlep und fügt hinzu: "In der Förderkulisse der DFG muss jeder Forscher eine Chance bekommen, vor allem auch Newcomer."
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