Prognoseforschung: Werden Wahlprognosen immer ungenauer?
Unter dem Strich werden Wahlprognosen seit einigen Jahrzehnten tatsächlich eher besser als schlechter, rechnen Will Jennings von der University of Southampton und Christopher Wlezien von der University of Texas im Magazin "Nature Human Behaviour" vor. Dazu hatten die Forscher die Daten aus 30 000 Umfragen ausgewertet, die jeweils einige Tage vor einer von 351 größeren Wahlen in 45 Ländern zwischen 1942 und 2017 durchgeführt worden sind. Im Wesentlichen hatten die Umfragen demnach das Endergebnis recht genau vorhergesehen. Zudem sei der Trend positiv: Statistisch gesehen wurden die Prognosen vorhersagestärker.
Für ihre Bewertung haben die Wissenschaftler sich auf größere Wahlen von Präsidenten, Staatsoberhäuptern oder nationalen Parlamenten konzentriert – Umfragen zu regionalen Wahlen oder Volksbefragungen, etwa der über den Brexit, gingen nicht in die Auswertung ein. Zudem werteten Jennings und Wlezien keine Umfragen von einzelnen Prognoseinstituten aus, sondern einen Mittelwert, was etwaige methodische Unterschiede der Institute nivellierte. Ausgewertet wurde auch der Zeitpunkt der Wahlumfragen – wobei sich der Erwartung entsprechend herausstellte, dass besonders die letzten Umfragen vor einer Wahl im Mittel genauer und verlässlicher ausfallen als früher erstellte Prognosen.
Im Ergebnis zeigte sich über die Jahrzehnte ein leichter Trend zu genaueren Vorhersagen – gleichzeitig aber auch eine etwas erhöhte Varianz der Vorhersagebandbreiten: Einzelne Ausreißer kommen häufiger vor, was womöglich dadurch zu erklären ist, dass manche Länder zunehmend unterschiedliche Methoden bei ihren Erhebungen vor der Wahl einsetzen. Ohnehin bedeute die im Mittel zunehmende Genauigkeit natürlich keineswegs, dass die Prognosen insgesamt fehlerfrei sind und gelegentlich auch deutlich danebenliegen können, so die Politologen. Sehr häufig lassen sich aber gerade bei auffällig falschen Vorhersagen gute, für den Einzelfall spezifische Gründe für die statistischen Ausreißer finden.
Dass Prognosen heute einen eher schlechten Ruf bekommen haben, dürfte ein Wahrnehmungsfehler sein: Gerade bei Wahlen, bei denen aus wenigen größeren Blöcken nur ein Sieger hervorgeht, können auch minimale Abweichungen ein knappes Ergebnis in die eine oder andere Richtung kippen lassen – was dann, auch bei eigentlich recht guter Prognose der Gesamtstimmenzahl, die Vorhersage völlig falsch aussehen lässt. Dies war etwa bei der US-Präsidentenwahl 2016 der Fall: Die Fehler bei der Vorhersage der Gesamtstimmen für die Kandidaten fiel hier durchaus nicht völlig aus dem Rahmen. Insgesamt habe die Zunft der Meinungsforscher kollektiv gut auf die zunehmend komplexeren Herausforderungen reagiert, mit denen sie konfrontiert ist. Ein großes Problem, das die Forscher hervorheben, ist dabei unter anderem die in den letzten 20 Jahren immer stärker nachlassende Bereitschaft, an Umfragen teilzunehmen und Fragebögen ausgefüllt zurückzusenden.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.