Wildbienen: Wertvolle Dienstleister
"Wenn die Honigbiene morgen verschwindet, schadet das zwar der Landwirtschaft, der Natur ist es aber ziemlich egal. Die Schreckensszenarien sind völlig übertrieben", sagt Mike Herrmann, Biologe aus Konstanz. Er berät Obstbauern am Bodensee, wie sie ihre Erträge durch die Bestäubungsleistung von Insekten optimieren können. Herrmann ist sicher kein Gegner des Bienenschutzes, aber er weiß, dass die Honigbiene, obschon wichtig für den Menschen, in der Natur nur eine Biene unter Tausenden ist. Weltweit zählen Insektenforscher in der Familie der Echten Bienen 17 000 Arten. Davon leben etwa 1900 Arten in Europa und 561 in Deutschland. Nur eine Art, nämlich die Honigbiene, wurde von den Imkern domestiziert, alle anderen bezeichnet man in Abgrenzung dazu umgangssprachlich als Wildbienen.
"Die Schreckensszenarien sind völlig übertrieben"
Im Gegensatz zur Staaten bildenden Honigbiene sind die meisten Wildbienen Einzelkämpfer. Weil sie ihre Nachkommen mit Pollen versorgen, fühlen sie sich überall dort wohl, wo es eine Fülle von Wildblumen gibt und die Pollenvorräte nicht durch zu hohe Feuchtigkeit gefährdet sind. Ihre Vielfalt ist verblüffend: In einem naturnahen Garten in Süddeutschland hat man schon 115 Arten gezählt. Da tummeln sich Pelzbienen, Mauerbienen, Maskenbienen, Sandbienen, Blattschneiderbienen, Langhornbienen und Trauerbienen. Auch die knapp 50 Hummelarten, die durch Mitteleuropa brummen, zählen zu den Wildbienen. Die Honigbiene ist prominent – aber kaum einzigartig.
Bienenvielfalt ist der beste Bestäuber
Wissenschaftler beziffern den Wert der Bestäubung landwirtschaftlicher Nutzpflanzen durch Insekten weltweit auf dreistellige Milliardensummen. Allein in Europa sind es jährlich 22 Milliarden Euro. Ob Kirschen, Äpfel, Mandeln, Tomaten, Kürbisse oder Erdbeeren: Ohne Bienen, Wespen, Fliegen, Käfer und Schmetterlinge fallen die Ernten deutlich schlechter aus, sowohl in der Menge als auch in der Qualität der Früchte. Auch wenn der Pollen von Grundnahrungsmitteln wie Mais, Getreide, Reis und Hirse hauptsächlich vom Wind verbreitet wird, beeinflusst die tierische Bestäubung doch ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion. Bienen sind die wichtigste Bestäubergruppe. Aber welche Rolle spielen die Wildbienen?
Teja Tscharntke, Agrarökologe an der Universität Göttingen, hat in einer groß angelegten Studie mit zahlreichen Kollegen aus aller Welt die Bedeutung wildlebender Bestäuber untersucht: "Früher ging man davon aus, dass Honigbienen für die Landwirtschaft ausreichend seien. Das ist aber ein Trugschluss. Wildbienen sind deutlich effektiver in ihrer Bestäubung, und bei den Honigbienenvölkern gibt es eine hohe Sterberate", sagt Tscharntke. Die Studie untersuchte die Relevanz wildlebender Bestäuber im Zusammenspiel mit Honigbienen in 41 landwirtschaftlichen Anbausystemen auf der ganzen Welt. Darunter kalifornische Mandeln, südafrikanische Sonnenblumen, brasilianische Mangos, australische Macadamia-Nüsse, nordamerikanische Heidelbeeren, Kaffee aus Mittelamerika und Wassermelonen aus Israel. Überall zeigte sich überraschend deutlich, dass Honigbienen die Bestäubungsleistung einer vielfältigen Wildbienenfauna nicht ersetzen können. Während alle Kulturen deutlich von der Bestäubung durch wilde Insekten profitierten, war dieser Effekt für Honigbienen nur bei 14 Prozent der Kulturen nachweisbar.
Es gibt also gute Gründe dafür, dass die wilden Verwandten der Honigbiene in den letzten Jahren verstärkt Einzug in die landwirtschaftliche Praxis halten. In Japan wird ein großer Teil der Kirschbäume durch Wildbienen bestäubt, in Holland und Belgien wird die Dunkle Erdhummel in großem Stil für den Bestäubungseinsatz in Gewächshäusern gezüchtet, und in den Vereinigten Staaten wird die Luzerne-Blattschneiderbiene seit Jahrzehnten gezielt bei der Produktion von Luzernesaatgut eingesetzt.
Wildbienen: Faszinierende kleine Geschöpfe
Wer die Faszination der Wildbienen erleben will, muss geduldig beobachten und ganz nah rangehen. Die Weibchen vieler Arten kümmern sich aufopferungsvoll um ihre Nachkommen. Jedes Weibchen legt seine Eier in ganz bestimmte Nistplätze. Sie graben Tunnel und Gänge, sie höhlen Pflanzenstängel aus und mauern Löcher zu. Manche suchen sich für jedes Ei ein leeres Schneckenhaus, wie die Zweifarbige Schneckenhaus-Mauerbiene. Hat das Weibchen ein passendes Schnirkelschneckenhaus gefunden, legt sie darin zuerst einen Pollenvorrat für ihren Nachwuchs an, legt dann ein Ei dazu, verbarrikadiert den Eingang mit kleinen Steinchen und mauert ihn nach außen hin mit einem Zement aus zerkauten Blattstückchen und Speichel zu. Dann nimmt die Biene ihre ganze Kraft zusammen und dreht das Haus mit der Mündung nach unten auf den Boden, rückt es zurecht, bis es stabil liegt und lässt die Kinderstube schließlich unter einzeln herangetragenen Kiefernnadeln und anderen Pflanzenteilen verschwinden. Derart geschützt und mit Pollen versorgt, entwickelt sich aus dem Ei bis zum nächsten Frühjahr eine neue Biene. Bei diesem beeindruckenden Aufwand verwundert es nicht, dass jedes Weibchen in seinem wenige Wochen kurzen Leben nur fünf bis acht Eier legt.
Mike Herrmann aus Konstanz war vor acht Jahren der Erste in Europa, der Obstbauern mit der Roten und der Gehörnten Mauerbiene zwei Wildbienenarten in gebündelten Pappröhrchen zum Verkauf anbot. Herrmann erklärt, warum sich Obstbauern Wildbienen halten sollten: "In einer modernen Obstplantage finden die Mauerbienen keinerlei Nistmöglichkeit. Die Bäume sind relativ dünn und niedrig und enthalten kein altes Holz, das von Insekten besiedelt werden könnte. Selbst die Pfähle zur Stabilisierung junger Bäume oder als Träger der Hagelschutznetze sind meist aus Beton, Metall oder druckimprägniertem Holz. Kein Durchkommen für Käfer und Co, die mit ihren Fraßgängen natürlicherweise für wildbienentaugliche Nistplätze sorgen."
Den Obstbauern fehlen die Wildbienen aber, denn gerade in Jahren, in denen es etwa bei der Kirschblüte noch zu kalt für die Honigbiene ist, sind die Mauerbienen besonders wertvoll. Sie fliegen schon bei deutlich niedrigeren Temperaturen als die Honigbienen und sind dann der Garant für gute Bestäubung. Mit der zunehmenden Spezialisierung der Bauern gehe eben nicht nur die Vielfalt in der Natur, sondern auch die Vielfalt innerhalb der Betriebe verloren, weiß Herrmann: "Viele Obstbauern haben heute gar nicht mehr das Equipment oder das Knowhow, um artenreiche Wiesen zu pflegen, die dann durch die Insektenvielfalt zur Bestäubung von Obst und Beeren beitragen könnten." Das große Geschäft macht Herrmann mit seinen Mauerbienen aber nicht: "Mein Geschäftsmodell ist nicht so überzeugend, denn ich verkaufe den Bauern nur einen Grundstock an Bienen samt Anleitung, wie man sie vermehrt. Meistens höre ich dann nie wieder etwas von ihnen – ein gutes Zeichen", sagt Herrmann und lacht.
Wildbienen lassen Erdbeeren erröten
"Die Bedeutung der Wildbienen für die Bestäubung landwirtschaftlicher Kulturen wurde bislang unterschätzt. In der Landwirtschaft wurde sehr viel Augenmerk auf das Management mit Agrochemikalien gelegt. Und wenn es in der Ökologie um Pflanze-Insekt-Interaktionen ging, dann meist um Pflanzenfresser und ihre Feinde, aber nicht um die Bestäuber. Das hat sich erst in den letzten fünf bis zehn Jahren deutlich geändert", erläutert Teja Tscharntke. Am Beispiel von Erdbeerkulturen konnte er mit seinem Forschungsteam zeigen, dass die tierisch bestäubten Pflanzen nicht nur mehr Fruchtmasse produzierten, sondern auch Früchte deutlich besserer Qualität: "Die Erdbeeren haben ein kräftigeres Rot, ein balancierteres Zucker-Säure-Verhältnis – und vor allem sind sie besser lagerungsfähig. Zudem geht die Zahl deformierter Früchte zurück", fasst Tscharntke zusammen.
Dabei waren Wildbienen wie die Gehörnte Mauerbiene für zwei Drittel des Mehrwerts verantwortlich, die Honigbiene für ein Drittel. Tscharntke warnt aber davor, Wildbienen gegen Honigbienen auszuspielen: "Wir brauchen beide Gruppen, denn die besten Ergebnisse erzielen wir da, wo Honigbienen und eine große Vielfalt an Wildbienen leben." Die Forscher empfehlen, verstärkt natürliche oder renaturierte Flächen in die Agrarlandschaft zu integrieren. Denn das würde nicht nur die Bestäubungsleistung für die Bauern optimieren, sondern auch gegen Bodenerosion wirken sowie Vorteile für den Erhalt von Nährstoffen, die effiziente Wassernutzung und die Kontrolle von Schädlingen bringen.
EU-Agrarreform: Chance vertan
Wild- und Honigbienen leiden beide unter der Intensivierung der Landwirtschaft. Allerdings ist die Honigbiene im Gegensatz zu vielen Wildbienenarten bislang nicht existenziell bedroht. Paul Westrich, Biologe aus Tübingen und führender Experte für Wildbienen in Deutschland ist seit Jahren alarmiert: "Mit 293 Arten stehen inzwischen mehr als die Hälfte unserer Bienenarten auf der Roten Liste. 39 Arten sind bereits ausgestorben, und 31 weitere Arten werden wir in den nächsten Jahren verlieren, wenn wir nicht schleunigst mehr für unsere Bienen tun", warnt er und fügt hinzu: "Selbst früher allgegenwärtige, vergleichsweise anspruchslose Arten finden in der intensiv bewirtschafteten Landschaft heute kaum noch ausreichend Nistplätze und Blüten."
"Selbst früher allgegenwärtige Arten finden heute kaum noch ausreichend Nistplätze und Blüten"
Die Vielfalt der Bestäuber schrumpft weltweit. Kein Wunder, denn die Liste der negativen menschlichen Einflüsse auf die Bienen ist fast so lang wie die Zahl der Bienenarten. Die Bienen kämpfen mit einem ganzen Cocktail aus Insektiziden, Herbiziden und Fungiziden. Täglich geht in Deutschland eine Bodenfläche von über 100 Fußballfeldern durch neue Siedlungen und Infrastruktur verloren. Krankheiten werden von Honigbienen auf Wildbienen übertragen, und manche Arten leiden unter dem Klimawandel.
Insektenhotels und mehr: Wie kann man Wildbienen helfen?
Die Spezialisierung auf ganz bestimmte Futterpflanzen und Nistplätze macht die Wilbienenvielfalt fragil. Experte Paul Westrich relativiert deswegen auch die Bedeutung der in den letzten Jahren in Mode gekommenen so genannten Insektenhotels: "Richtig gebaut sind sie eine gute Sache, um die Menschen für die Bienen zu interessieren. Aber in ihnen siedeln sich nur die ohnehin häufigen Arten an, während den bedrohten Arten zunehmend der Raum zum Leben fehlt." Viele Arten sind auf offene Bodenstellen und die natürliche Ansiedlung so genannter Pionierpflanzen angewiesen, die natürlicherweise etwa nach einem Hochwasser in Flussauen auftreten. "Da wir aber keine natürlichen Flussläufe mehr haben, müssen wir aushelfen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn hier und da mal eine Straßenböschung unbepflanzt bliebe. Manchmal ist weniger also mehr, meint Westrich: Wenn Sie etwas für Wildbienen tun wollen, lassen Sie etwas Unordnung und offene Stellen im eigenen Garten zu. Pflanzen Sie bienenfreundliche, einheimische Arten wie Glockenblumen und Natternkopf oder lassen Sie einfach einen Gartenteil verwildern – Pionierpflanzen wie Disteln oder Königskerzen kommen dann ganz von selbst. Vielleicht wird es Ihnen die Natur bei der nächsten Erdbeerernte danken.
Vor allem aber sind die Bienen von den Veränderungen durch die industrielle Landwirtschaft betroffen. An die Stelle vielfältiger, kleinflächiger Nutzungen sind großflächige Kulturen mit wenigen Nutzpflanzen getreten. "Seit die Biogasanlagen wie Pilze aus dem Boden schießen, ist die Situation noch schlimmer geworden", beklagt Westrich. Wiesen und Weiden werden zu früh und zu häufig gemäht oder gleich zu Ackerland umgebrochen, und es gibt wohl kaum eine bienenfeindlichere Landschaft als die großflächigen Monokulturen aus Mais oder Getreide, die keinerlei Unkräuter mehr dulden.
Doch wer meint, dass die Politik jetzt reagieren würde, sieht sich getäuscht. Aus Sicht des Agrarökologen Tscharntke ist die Agrarreform der EU ein Debakel für die Artenvielfalt: "Selbst auf den so genannten ökologischen Vorrangflächen können nun Pestizide ausgebracht werden. Damit wird der Anspruch der Agrarreform, die Subventionierung der Landwirtschaft an effektive grüne Reformen zu koppeln, zur Farce. Die ursprünglich vom Agrarkommissar vorgeschlagene, verbindliche Ausweisung von 7 Prozent ökologischer Vorrangflächen, die diesen Namen verdienen, wie z. B. mageres Grünland, Hecken und Brachen, hätte große ökologische Bedeutung gehabt. Aber diese Chance wurde vertan." Leidtragende ist zum Beispiel die 12 Millimeter kleine Grauschuppige Sandbiene, die den Pollen der früher weit verbreiteten Wiesenglockenblume sammelt. Glockenblumen können aber auf massiv gedüngten und regelmäßig kurzgemähten Futterwiesen nicht überleben und so findet sich inzwischen auch diese Wildbiene auf der Roten Liste.
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