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Unwetterlage über Deutschland: Alles nass macht der Mai

Deutschland steht eine Unwetterwoche bevor. Dem Südwesten des Landes droht intensiver Dauerregen mit bis zu 60 Litern pro Quadratmeter in wenigen Stunden. Und es wird so schnell nicht besser.
Ein Mann mit gelbem Mantel steht im Regen
Es wird ungemütlich in Deutschland. Für manche Teile des Landes hat der Deutsche Wetterdienst Warnungen vor Starkregen herausgegeben. Verantwortlich dafür ist die Großwetterlage »Trog Mitteleuropa«.

Kaum ist das Wasser in den Flutgebieten im Saarland und in der Pfalz abgelaufen, kündigt sich schon die nächste Unwetterlage an. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt vor intensivem Starkregen in vielen Teilen Deutschlands, und erneut trifft es den bereits hochwassergeplagten Südwesten. Teilweise droht intensiver Dauerregen über mehrere Stunden, glücklicherweise aber nicht so hohe Mengen wie am vergangenen Freitag. Kritisch könnte die Lage hingegen in Nordrhein-Westfalen, Hessen, dem nördlichen Baden-Württemberg sowie großen Teilen Bayerns werden; hier entwickeln sich im Tagesverlauf schwere Gewitter mit hohem Unwetterpotenzial.

Deutschland steht damit eine veritable Unwetterwoche bevor. Bis zum Wochenende drohen immer wieder Überschwemmungen und Sturzfluten durch großflächigen Starkregen in vielen Landesteilen, einzig im Norden bleibt es wettertechnisch etwas ruhiger. Welche Region es besonders hart trifft, ist schwierig zu prognostizieren, die Meteorologen haben es mit einer kniffligen Wetterlage zu tun. Verbreitet dürften am Dienstag 20 bis 40 Liter pro Quadratmeter in wenigen Stunden vom Himmel kommen, teilte der DWD in einer Vorabinformation mit, örtlich sogar 60 Liter in zwölf Stunden, vereinzelt sogar noch mehr. Und ein Ende ist auch über das Wochenende hinaus nicht in Sicht.

»Das Potenzial einer neuen Starkregenlage ist nicht zu unterschätzen«, sagt Marcus Beyer, Meteorologe beim Europäischen Unwetter-Vorhersagedienst Estofex. Genauere Informationen können selbst Experten wie er aktuell nicht liefern. Die große Unsicherheit hängt mit einem Tiefdruckgebiet zusammen, das sich am heutigen Dienstag direkt über Mitteleuropa bildet. Seine exakte Lage und Intensität bestimmen, wo es besonders heftig wird. Beyer erwartet eine ähnliche Wetterlage wie am vergangenen Freitag, als im Saarland und der Westpfalz an einem Tag mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter fielen. Der Flüssigkeitsgehalt der Atmosphäre sei diesmal sogar noch höher, sagt er. Der Schwerpunkt wird aber nicht das Saarland sein. Die Wettermodelle prognostizieren, dass ein Streifen weiter nördlich, von Nordrhein-Westfalen bis Bayern, von den schwersten Regenfällen betroffen sein wird. Dennoch ist das Potenzial für erneute Überschwemmungen in den bereits getroffenen Flutgebieten hoch, zumal die Böden aufgeweicht sind und kaum noch Wasser aufnehmen können.

Verantwortlich ist tiefer Luftdruck mitten über dem Kontinent. »Ein Klassiker für Starkregenereignisse in den Sommermonaten«, sagt Beyer. Meteorologen nennen die Großwetterlage auch »Trog Mitteleuropa«. Dabei löst ein Höhentief, das sich von Frankreich bis Österreich erstreckt, ein Bodentief aus, das sich intensiviert und von Bayern nach Holland zieht. Entlang dieser Tiefdruckrinne strömen die Luftmassen zusammen und werden angehoben. Es bildet sich eine Linie. Nördlich dieser Linie strömen warme Luftmassen aus Osten heran, südlich davon kühlere aus Südwesten. Die Konvektion sorgt für die schauerartig verstärkten, teils mit Gewittern durchsetzten Starkregenfälle, erklärt Beyer. Wie stark sie am Ende ausfallen, hänge auch davon ab, wie sich das Bodentief intensiviere und ob die Luft an Mittelgebirgen zusätzlich gehoben werde. All das sind Details, die selbst wenige Stunden vor Beginn der Unwetterlage nur abgeschätzt werden können.

Die Folgen können aber fatal sein. Dort, wo die größten Regenmengen herunterprasseln, könnten – ähnlich wie im Saarland vergangene Woche – bis zu 100 Liter in wenigen Stunden zusammenkommen; darauf zumindest deuten manche hoch aufgelösten Regionalmodelle hin. Dort drohen Überschwemmungen und Erdrutsche sowie vollgelaufene Keller und durchspülte Unterführungen. Vor allem der Keller ist ein Ort, den man während eines Unwetters immer meiden sollte. Wer schnell noch nach unten läuft, um Wertvolles zu retten, riskiert zu ertrinken oder sein Leben durch einen Stromschlag zu verlieren. Im Freien sind Blitze eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Das zeigt ein aktueller Unglücksfall am Dresdner Elbufer, der sich am Pfingstmontag ereignet hat. Zehn Menschen wurden verletzt, als ein Blitz in die Elbwiesen einschlug. Vier Menschen schweben noch in Lebensgefahr.

Festgefahrene Großwetterlage über Europa

Dass Deutschland innerhalb weniger Tage erneut schwere Unwetter bevorstehen, ist die Folge einer festgefahrenen Großwetterlage über Europa. Deutschland liegt am westlichen Rand eines stabilen Omegablocks mit hohem Luftdruck über Nordeuropa, der den Ostseeanrainern und insbesondere Skandinavien frühsommerliches Wetter beschert, während labile Luftmassen das Wetter in West-, Mittel- und Südosteuropa dominieren. Immer wieder kommt es zu intensiven Starkregenereignissen, auch weil die Höhenströmung nur schwach ausgeprägt ist. Eine stabile Phase ist vorerst nicht in Sicht, zum Leidwesen von Millionen Pfingsturlaubern.

Prinzipiell ungewöhnlich ist eine solche Wetterlage im Mai nicht, sagt Marcus Beyer – zumal in den vergangenen Monaten und im gesamten Winter meistens tiefer Druck über Nordeuropa herrschte und Skandinavien einen harten Winter erlebt hat. Jetzt dominieren Hochdruckgebiete über dem Norden Europas, die Zirkulation steht kopf.

Dass diese Zirkulationsstörung eine Folge von gleich zwei plötzlich aufgetretenen Stratosphärenerwärmungen im Winter ist, ist denkbar. Starke Temperatursprünge im zweithöchsten Stockwerk der Atmosphäre führen häufig zu blockierenden Hochdruckgebieten in der Troposphäre, unserer Wetterschicht, und damit zu einer gestörten Zirkulation. Außerdem ereignete sich Ende April ein so genanntes Final Warming in der Stratosphäre, das den im Winterhalbjahr vorherrschenden Polarwirbel endgültig zerschoss. Da die Auswirkungen der Stratosphäre auf das Wetter am Boden aber komplex sind, lässt sich daraus keine direkte Folge ableiten.

Rolle des Klimawandels messbar

Klarer ist hingegen, wie der Klimawandel auf Starkregenereignisse wirkt. Wegen der in Europa rund zwei Grad wärmeren Atmosphäre im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter verstärkt er sie grundsätzlich. Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Rund sieben Prozent pro Grad macht dieser thermodynamische Effekt aus. Daher lässt sich bei einer Erwärmung von zwei Grad in Mitteleuropa von einer Zunahme der Starkregenfälle um insgesamt rund 14 Prozent ausgehen. Diese Zunahme ist aber nur ein grober Richtwert. Bei dynamischen Prozessen wie Schauern und Gewittern spielen noch andere Faktoren eine Rolle, die nicht pauschal bemessen werden können.

Zudem sind Überschwemmungen nicht selten eine Folge mangelhafter Anpassung und eines unzureichenden Wassermanagements in Siedlungen. Das betrifft die Errichtung von Gebäuden in den natürlichen Auen von Bächen und Flüssen, die zunehmende Verdichtung von Siedlungsräumen, aber auch die unzureichende Entwässerung über die Kanalisation. Viele Kommunen in Deutschland sind auf die sich erwartbar verstärkenden und zunehmenden Starkregenereignisse infolge des Klimawandels nur unzureichend vorbereitet, zeigt eine Studie im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel. Einige Kommunen in Deutschland haben bislang nicht einmal Gefahrenkarten erstellt.

Der Klimawandel wird unsere Infrastruktur immer stärker auf die Probe stellen

Der Klimawandel wird unsere Infrastruktur, unsere Straßen, Häuser, Leitungsnetze und Kanäle also immer stärker auf die Probe stellen. Schon am Freitag könnte die nächste Unwetterlage in Deutschland bevorstehen, die dritte in einer Woche. Für Details ist es noch zu früh, aber wieder könnte die große Mitte des Landes mit Stark- und Sturzregen konfrontiert werden; wieder drohen verbreitet Überschwemmungen.

Und wann kommt das Wetter endlich zur Ruhe? Bis Monatsende ist keine wesentliche Änderung der Großwetterlage in Sicht; der Mai bleibt nass. Weitere Unwetter sind auch in der kommenden Woche möglich, denn die Luftmasse bleibt labil. Nur an der Ostsee könnte es weiterhin frühsommerlich warm und trocken sein. Auch zum Juniauftakt ist kein stabiles Hochdruckgebiet in Sicht, allerdings deuten die Wettermodelle darauf hin, dass der Wind allmählich auf Süd drehen könnte. Auf der Vorderseite eines Tiefdruckgebiets über Spanien könnte dann erstmals richtig heiße Luft nach Mitteleuropa strömen. Von Dauer wäre aber auch diese Lage nicht. Nach wenigen Tagen dürften erneut Schauer und Gewitter den Westen erreichen, Unwetter inklusive. Der Frühsommer bleibt turbulent.

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