Nasser Sommer in Deutschland: Die Hundstage versinken dieses Jahr im Schlamm
Statistisch betrachtet ist gerade die heißeste Zeit des Jahres. Hundstage werden die Wochen von Ende Juli bis Ende August umgangssprachlich genannt, weil die Erde dann in der Nähe von Sirius steht, dem Hundsstern. Doch statt Hitze herrscht in Deutschland seit drei Wochen veritables Hundewetter, niemand würde zwischen Wacken und Waldshut freiwillig seinen Hund aus dem Haus führen, solange es nicht unbedingt sein muss. Anders ausgedrückt: Der Sommer ist in Deutschland nach heißem Start völlig abgestürzt. Und der August fühlt sich schon nach Herbst an.
Als Sinnbild für diesen nassen, unterkühlten, gar garstigen Hochsommer taugt nichts besser als das in knietiefen Matsch verwandelte Festivalgelände in Wacken in Schleswig-Holstein. Nur im Sommer 2002 fiel dort noch mehr Regen, meldet der Deutsche Wetterdienst. Und auch jenseits von Wacken lässt die unterkühlte Phase niemanden kalt: Verzweifelte Gärtner sehen ihren Gewächsen beim Vergammeln zu, die Bauern warten auf trockene Tage, um das Korn zu dreschen, während manch ein Klimawandelleugner Fotos davon postet, welch kühle Temperaturen die Temperaturanzeige seines Autos anzeigt. Vor allem die Menschen im Westen und Norden des Landes erleben erstmals nach Jahrzehnten mal wieder einen typisch deutschen Sommer: kühl, nass, stürmisch. Doch wie ungewöhnlich ist die Wetterlage wirklich?
Der Luftdruck ist auf jeden Fall außergewöhnlich. Seit zwei Wochen dominiert ein starkes Tiefdruckgebiet das Wetter in Mitteleuropa, eine intensive Westwetterlage hat sich eingependelt. Dadurch verläuft der Höhenwind, der so genannte Jetstream, in dieser Woche direkt über Mitteleuropa und lässt es mächtig stürmen. Auf dem Brocken im Harz blies der Wind sogar kurzzeitig in voller Orkanstärke. Ein Ende der Sturmzeit im August ist vorerst nicht abzusehen, schreibt Nico Bauer vom Deutschen Wetterdienst im Wetterblog. »Die Westwetterlage, die uns schon seit einiger Zeit beschäftigt, hält auch in den kommenden Tagen vorerst noch an.« Und 20 Grad sind fast eine unerreichbare Grenzmarke. Tagsüber wohlgemerkt.
Zumindest die Gletscher freuen sich
Zum Sonntag deutet sich sogar ein weiterer Tiefpunkt des frühherbstlichen Wetters an: Auf Grund einer strammen Nordströmung sickert kühle Polarluft an die Alpen und löst Niederschläge aus. Deshalb dürfte es verbreitet stark gießen, im Süden sogar durchregnen bei kaum 15 Grad. In den Alpen sinkt die Schneefallgrenze auf unter 2000 Meter, viele Pässe dürften tief verschneit sein. Freuen werden sich nur die Gletscher, weil eine dicke Schneedecke das Eis vor direkter Sonneneinstrahlung und damit vor dem weiteren Schmelzen schützt. Im äußersten Südosten droht sogar unwetterartiger Dauerregen, denn vom Mittelmeer weht feuchtwarme Luft heran, die schon am Donnerstag in Österreich und Slowenien heftigen Dauerregen mit mehr als 100 Litern pro Quadratmeter in 24 Stunden auslöste und zu Überflutungen und Muren führte. Am Loiblpass in Kärnten kamen im selben Zeitraum sogar 184,6 Liter herunter.
Eine möglicherweise katastrophale Hochwasserlage entwickelt sich deshalb gerade in Slowenien. Einige Flüsse sind bereits über die Ufer getreten, zahlreiche Gebiete sind überschwemmt. Und da es weiter regnet, kommen bis zum Wochenende zusätzlich große Mengen hinzu. Das verantwortliche Tief zieht nun nach Skandinavien ab und könnte dem Nordosten Deutschlands und Teilen Skandinaviens Sturm und Starkregen bescheren. Noch sind sich die Modelle aber uneins, wie heftig das Ereignis ausfällt.
Das Hundewetter zum Ferienhöhepunkt hat in der Tat wenig mit Sommer zu tun. Ein möglicher, in sozialen Medien kolportierter Wintereinbruch ist allerdings völliger Unsinn. Schnee in den Hochlagen der Alpen kommt normalerweise jeden Sommer vor, war in den vergangenen Jahren aber eher die Ausnahme. Ohnehin dürften sich die meisten an die spürbar über dem langjährigen Durchschnitt liegenden warmen und sonnigen Sommermonate mittlerweile gewöhnt haben. Deshalb fällt der kurze, merklich unterkühlte Wetterabschnitt in diesem Sommer so unangenehm auf.
Es geht immer noch schlimmer
Doch so kühl, wie viele meinen, ist der Hochsommer keineswegs. Es geht immer noch schlimmer, und zwar deutlich: Mit 17,2 Grad in Schleswig-Holstein und 17,9 Grad in Niedersachsen war der Juli sogar wärmer als im langjährigen Schnitt und weit entfernt von den völlig unterkühlten Sommern von 1960 bis 1990. Zum Vergleich: Im unterirdischen Juli 1979 erreichte die Durchschnittstemperatur in Schleswig-Holstein nur 14,2 Grad. 17 Jahre zuvor war der gesamte Sommer von Juni bis August mit 14,1 Grad sogar noch frischer. Und auch die Regenmengen sind in diesem Sommer im Norden keineswegs rekordverdächtig, sondern ziemlich durchschnittlich. Auch wenn der Juni deutlich trockener ausfiel als der Juli.
Was ein wirklich grausiger Sommer ist, haben die meisten Menschen längst verdrängt. Der Sommer 1987 beispielsweise war so kalt und düster, dass ein Hauptkommissar der Kriminalpolizei Bonn gegen den Sommer wegen Betrug, Untreue und falscher Namensführung ermittelte. Kokolores natürlich. Aber immerhin gab es damals noch triftige Gründe, sich zu beschweren.
Wahrscheinlich war die Welt in diesem Sommer sogar heißer als während der letzten Warmzeit vor 120 000 Jahren
Global betrachtet gibt es hingegen wenig Anlass zum Nörgeln. Die Welt hat gerade den wärmsten Juli seit Aufzeichnungsbeginn erlebt, zeigt die Datenreihe von Copernicus, dem Erdbeobachtungsprogramm der Europäischen Union. Die Erde war um 1,5 bis 1,6 Grad wärmer als vor Beginn der Industrialisierung und gleich um 0,33 Grad wärmer als im Jahr 2019, dem bisher wärmsten Juli. Zuvor war schon der Juni der wärmste seit Aufzeichnungsbeginn. Wahrscheinlich war die Welt in diesem Sommer sogar heißer als während der letzten Warmzeit vor 120 000 Jahren.
Gleich drei große Hitzeglocken hingen im Juli über den Kontinenten der Nordhemisphäre; im Südwesten der USA, am Mittelmeer und in China kletterten die Temperaturen auf fast 50 Grad, in China sogar darüber. »Die Rekordtemperaturen sind ein Zeichen des drastischen Anstiegs der globalen Temperatur«, sagte Copernicus-Leiter Carlo Buantempo laut einer Pressemitteilung der Weltmeteorologie-Organisation WMO. Ein Hotspot der Welt war Phoenix, Arizona. Dort stieg das Thermometer an 31 aufeinanderfolgenden Tagen immer über die berühmte 110-Grad-Fahrenheit-Marke, umgerechnet 43,3 Grad Celsius. Und die Hitze verschärft sich dort weiter. Zudem brannte es in Griechenland, Italien und auch in Kanada. Und es brennt dort noch immer, es berichtet hier zu Lande nur niemand mehr darüber.
Insofern ist der viele Regen vor Ort ein Segen, vor allem in den dürregeplagten Regionen im Südwesten und Osten. Besonders in Rheinland-Pfalz ist die zuletzt Besorgnis erregende Trockenheit vorerst beendet, heißt es im Bodenfeuchtebericht des Deutschen Wetterdienstes. Hier nahm die Bodenfeuchte deutlich zu und liegt nun bei 50 Prozent nutzbarer Feldkapazität. So bezeichnet man die Wassermenge, die den Pflanzen zur Verfügung steht. Mit Wasser vollständig gesättigt sind die Böden im Nordwesten, in vielen Mittelgebirgen und direkt am Alpenrand, wo es seit Tagen schüttet. Noch immer ziemlich trocken ist die Krume hingegen im Osten und auch im Süden, dort haben die Regenfälle nicht ausgereicht, um das Defizit auszugleichen. Wenig überraschend ist die Dürre im unteren Boden allerdings noch nicht beendet, wie der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig ausweist. Es dauert einfach einige Wochen bis Monate, bis das Wasser in tiefere Schichten sickert.
Der Sommer kommt zurück
Mehr Regen wird in der nächsten Woche auch nicht mehr dazukommen, denn die Wetterlage stellt sich von Sonntag an markant um. Das Hundewetter-Tiefdruckgebiet zieht über die Ostsee nach Skandinavien ab, von Südwesten her baut sich ein stabiles Hochdruckgebiet auf – der Sommer kehrt zurück. Bis zur Wochenmitte kann es am Oberrhein schon wieder 30 Grad heiß werden, zum Wochenende dann dürfte sich das ganze Land auf sommerliche Werte erwärmen. Im Süden könnte es sogar richtig heiß werden, einige Wettermodelle berechnen Werte bis 35 Grad. Ob die heiße Luft den Norden erreicht, ist allerdings unwahrscheinlich. Dort dürfte es um 25 Grad warm werden, an den Küsten auch kühler. Zudem wird es trocken und in weiten Teilen des Landes sonnig.
Wie lange die stabile und sonnige Wetterphase anhält, ist unklar. Die Zeichen stehen gut, dass sich die Hochdrucklage länger hält. So deuten die Langfristmodelle des europäischen Wetterdiensts ECMWF in der erweiterten Mittelfrist durchweg positive Temperaturabweichungen für weite Teile Mitteleuropas bis Mitte September an. Vor allem dem Süden könnte ein längerer wärmerer Abschnitt bevorstehen. Nach dem Herbst kommt jetzt der Sommer zurück.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.