Wetter: War’s das schon wieder mit dem Winter?
Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern – der Februar 2024 hat sich schon wieder in der Jahreszeit geirrt. Frühlingshafte Temperaturen kündigen die Wetterdienste zu Wochenbeginn in großen Teilen der Republik an, von Südbaden über den Bodensee bis Oberbayern könnten verbreitet 13 bis 15 Grad Celsius oder mehr erreicht werden; jedenfalls keine Temperaturen, die dem Hochwinter gerecht würde, der dem Kalender nach immer noch herrscht.
War’s das jetzt mit dem Winter? Und ist das schon der Frühlingsdurchbruch? Berechtigt sind diese Fragen angesichts der ungewöhnlichen Wärme über großen Teilen Europas auf jeden Fall. Um mehr als vier Grad Celsius ist der Kontinent derzeit zu warm, seit zwei Wochen sind die Höchsttemperaturen verbreitet zweistellig. In Spanien wurden sogar sommerliche Werte gemessen. Doch man muss kein Meteorologe sein, um der Sache mit dem frühen Frühling zu misstrauen: Der Februar ist noch lang und der März immer für weiße Überraschungen gut. So sonnig und warm wird es vorerst auch nicht bleiben: Schon die weiteren Aussichten zeigen verbreitet heftige Regenfälle bei weiterhin hohem Temperaturniveau. Zum Wochenende ab dem 9. Februar könnte es im Norden entlang einer Luftmassengrenze wieder schneien. Um mehr als einen kurzen Winterspuk handelt es sich dabei aber wohl nicht.
Ein nachhaltiger Winterrückschlag ist im seriösen Vorhersagezeitraum von zehn Tagen in Mitteleuropa nicht in Sicht. Bis zum zweiten Februarwochenende dominieren warme Luftmassen vom Mittelmeer bis Deutschland, nur in Skandinavien sickert nach dem heftigen Orkan »Ingunn« wieder die arktische Eisluft ein, die in diesem Winter dort fast durchgehend lag. Damit werden die Karten neu gemischt über Europa – und der Winter könnte in der zweiten Februarhälfte in Deutschland eiskalt zurückschlagen. Und das hat vor allem mit der Entwicklung in höheren Luftschichten zu tun.
Plötzliche Stratosphärenerwärmung als Winter-Joker
Für die Meteorologen wäre eine solche Entwicklung keine Überraschung. Seit Wochen diskutieren sie über die in diesem Winter außergewöhnlichen Vorgänge in der Stratosphäre, dem zweiten Stockwerk der irdischen Atmosphäre, die einen heftigen Kälteeinbruch wahrscheinlich machen. »Bereits an Weihnachten schien etwas Großes in der Stratosphäre zu passieren«, sagt Daniela Domeisen, Atmosphärenforscherin an der ETH Zürich. Und mancher Wetteransager war schon aus dem Häuschen, bevor überhaupt Kaltluft einsickern konnte: »Da ist was im Busch«, heiß es. Doch auch wenn es im Januar für ein paar kalte Tage reichte, fiel der große Wintereinbruch zunächst aus.
Verantwortlich für die Hochspannung in der höheren Atmosphäre ist das Wetterphänomen El Niño. Die Anomalie im Pazifik bringt nicht nur das Wetter in vielen Erdteilen durcheinander, sondern wirkt sich ebenso auf die Stratosphäre aus, jene Luftschicht, die über unserer Wetterschicht, der Troposphäre, liegt und sich von 10 bis 50 Kilometer Höhe erstreckt. »Deshalb hatten wir erwartet, dass es ein turbulenter Winter wird«, sagt Daniela Domeisen, die sich auf die Stratosphäre spezialisiert hat. Direkt wirkt sich El Niño zwar nicht auf das Wetter in Europa aus, über den Umweg über die Stratosphäre nimmt er allerdings indirekt Einfluss.
Von vergangenen El-Niño-Wintern und aus diversen Studien wissen die Forscher, dass die Anomalie im Pazifik vermehrt Wellen auslöst, die von den Tropen in die Stratosphäre aufsteigen und dort den Polarwirbel schwächen, der das Winterwetter in der Nordhemisphäre prägt.
Der Polarwirbel (englisch: polar vortex) ist die Wettermaschine des Winterhalbjahrs; jedes Jahr im Herbst bildet er sich neu. Je höher der Temperaturunterschied zwischen Nordpol und Tropen ausfällt, desto eher kommt er in Fahrt. Gesteuert wird der Wirbel vom Polartief über der Arktis, das um den Nordpol kreist. Er dreht sich gegen den Uhrzeigersinn, schaufelt die Luft also mit der Erddrehung von West nach Ost. Bis in eine Höhe von mehr als 50 Kilometern rotiert der imposante Wirbel; Troposphäre und Stratosphäre sind eng verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. In der Troposphäre, der Luftschicht, die vom Boden bis in etwa zehn Kilometer Höhe reicht, wird dabei der Jetstream beeinflusst, der am oberen Ende unserer Wetterschicht weht. Dieser Höhenwind entscheidet, seine Lage bestimmt unser Wetter: Je schneller er weht, desto stürmischer wird es und damit wenig winterlich. Die große Kälte bleibt dann im hohen Norden hängen. So war es auch im Spätherbst, als wochenlang stürmisches, vom Atlantik geprägtes Wetter Mittel- und Westeuropa viel Regen und Sturm brachte, während es in Skandinavien allmählich einwinterte.
Ein erster Ansatz im Dezember endete mau
Damit sich der Polarwirbel im Winter abschwächt, muss sich die Stratosphäre schlagartig erwärmen. Plötzliche Stratosphärenerwärmung nennen Meteorologen dieses natürliche Phänomen, weil sich die Luft in kurzer Zeit um 50 oder mehr Grad erwärmen kann. Seinen Anfang nimmt das Phänomen häufig in der Nähe der Aleuten im Nordpazifik. Diese Inselgruppe vor der Küste Alaskas spielt eine wichtige Rolle in der Entstehung der plötzlichen Stratosphärenerwärmung, weil sich hier gerne ein blockierendes Hochdruckgebiet festsetzt, das dreidimensional betrachtet gleichbedeutend ist mit einer Welle, die in die Stratosphäre schießt. Erwärmt sich die Stratosphäre schließlich, beginnt der Polarwirbel zu trudeln und wird deformiert, manchmal auch in zwei Teile zerschlagen. Dann reißen die Westwinde ab, die Strömung dreht auf Ost und kalte Polarluft strömt auf die Kontinente. Damit der Höhenwind aber wirklich seine Richtung ändert, sind meist mehrere Wellen nötig.
An Weihnachten sah es nun danach aus, als stünde eine ausgeprägte Stratosphärenerwärmung für Anfang Januar an; doch die wollte sich nicht so recht einstellen. Das Event wurde in den Wettermodellen – wie häufig in den vergangenen Jahren – verschoben und schließlich abgeschwächt. Am 16. Januar 2024 dann registrierte Daniela Domeisen tatsächlich die vorhergesagte Stratosphärenerwärmung mit einer kurzzeitigen Drehung der Winde von West nach Ost, allerdings war das Phänomen nur schwach ausgeprägt und ziemlich speziell, wie die Forscherin sagt. Der Wirbel löste sich von unten nach oben auf anstatt von oben nach unten. Deshalb kam die Kältewelle in Europa und Amerika in der ersten Januarhälfte mit Verzögerung nicht nach, sondern kurz vor dem eigentlich Event. In 3-D-Visualisierungen ähnelte der stratosphärische Polarwirbel Mitte Januar einer Hose: unten geteilt und oben zusammen. Anschließend erholte sich der Polarwirbel schnell wieder, die Westwinde beschleunigten sich und der Winter zog sich weit nach Nordeuropa zurück.
Damit im Winter kalte Luft von Norden oder Osten auf die Kontinente strömt, braucht es nicht notwendigerweise eine plötzliche Erwärmung der Stratosphäre. Die Troposphäre löst Kaltlufteinbrüche mehrheitlich selbst aus. Plötzliche Stratosphärenerwärmungen, auch Major Warming genannt, können die Zirkulation aber nachhaltig stören. Deshalb sind diese Events mit besonders heftigen und lang anhaltenden Kälteperioden verbunden.
Vom Februar in den Märzwinter?
Und genau das könnte nun in der zweiten Februarhälfte bevorstehen, lautet das Fazit von Atmosphärenwissenschaftlern. »Die Umstellung ist unterwegs«, schrieb Amy Butler von der US-amerikanischen Wetterbehörde NOAA am 01. Februar auf X und postete dabei die Prognose der Windgeschwindigkeit in der Stratosphäre, die sich ab dem 14. Februar wohl deutlich abschwächen wird. Davon geht auch Daniela Domeisen aus, womöglich ereigne sich sogar eine zweite Stratosphärenerwärmung mit einer Windumkehr. Zwei Phänomene dieser Art pro Winter seien zwar ungewöhnlich, aber möglich. Doch ob es am Ende wirklich so weit kommt und ob das Phänomen heftiger ausfällt als im Januar und starke Auswirkungen auf unser Wetter zu erwarten sind, ist Domeisen zufolge noch unklar.
Schaut man sich die langfristigen Prognosen an, dann scheint eine Winterrückkehr in der zweiten Februarhälfte allerdings sehr wahrscheinlich. Das Wettermodell des europäischen Wetterdienstes ECMWF berechnet deutlich kältere Temperaturen für große Teile Europas. In diesem Fall flösse am Rand eines blockierenden Hochdruckgebiets auf dem Nordatlantik arktische Kaltluft bis nach Südeuropa. Andere Modelle favorisieren sogar eine bitterkalte Ostlage mit Dauerfrost. Solche Kaltlufteinbrüche waren in den vergangenen Jahren selten, sind für Februar aber völlig normal. Zuletzt führte eine Stratosphärenerwärmung vor sechs Jahren zu einem eisigen Winterrückschlag im Februar, als »Beast from the East« ging die Kälteperiode in die Wettergeschichtsbücher ein. Und auch der Februar 2013 brachte nach einem insgesamt milden Winter einen herben Rückschlag. Unerfreulicher Nebeneffekt für alle Frühlingsfreunde: Späte Wintereinbrüche nach einem Major Warming stören die Zirkulation oft nachhaltig und wirken sich bis weit in das Frühjahr aus. März und April bleiben unterkühlt, Schnee fällt, obwohl ihn keiner mehr möchte.
Wie viel der Winter in diesem Jahr noch von seiner biestigen Seite zeigen wird, entscheidet sich in den kommenden Tagen. Nur eines ist ziemlich sicher: Das milde, fast frühlingshafte Wetter wird bald zu Ende gehen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.