Wetterfühligkeit: Walking on sunshine
Wenn die Meteorologen für den 9. Mai Regen vorhersagen, schickt die Regierung in Moskau ein Spezialkommando in die Wolken. Denn an diesem Tag feiert Russland jedes Jahr mit einer Militärparade den Sieg über Nazideutschland. Und dabei will der Kreml nichts dem Zufall überlassen – nicht einmal das Wetter. Mit Militärflugzeugen werden die Regenwolken unter anderem mit Trockeneis und flüssigem Stickstoff behandelt, so dass sie rechtzeitig vorher abregnen. Nichts soll die Feiertagslaune trüben.
Manch einer wünscht sich hier zu Lande vielleicht auch ein Schönwetterkommando, wenn mal wieder ein verregnetes Wochenende droht. Denn an feuchtkalten Tagen, so scheint es, geht die Lebensfreude bei vielen Menschen in den Keller; verspricht der Wetterbericht hingegen sommerliche Temperaturen, steigt die Laune. Mit dem Einfluss des Wetters auf Gesundheit und Wohlbefinden beschäftigte sich der griechische Arzt Hippokrates schon um 400 v. Chr. Heiße Luft, so meinte er, sei verantwortlich für Entzündungen, kalte Luft für Krämpfe und Koliken, und auch die Laune ändere sich mit dem Sonnenstand.
Noch heute bezeichnen sich viele Menschen als wetterfühlig, schreiben etwa die Schmerzen im Knie dem Wetterumschwung und die Tristesse am Jahresende einer Winterdepression zu. Tatsächlich meinen mehr als die Hälfte der Deutschen, dass ihnen Sturm und Kälte auf die Gesundheit schlagen, berichtete ein Meteorologenteam um Peter Höppe von der Universität München nach einer Umfrage unter mehr als 1000 Menschen. Die meisten dieser Wetterempfindlichen klagten über Kopfschmerzen und Schlafstörungen, sie fühlten sich oft müde, gereizt und niedergeschlagen. Den sommerlichen Sonnenschein machten nur etwa fünf Prozent der Befragten für ihre Beschwerden verantwortlich.
Dass unser Organismus auf das Wetter reagiert, liegt auf der Hand. Wird uns kalt, fangen wir an zu zittern; bei zu großer Hitze läuft der Schweiß – unser Körper kennt viele solcher Anpassungsmechanismen. Studien legen nahe, dass das Wetter zudem auch Stimmung und Verhalten beeinflusst. Flirtversuche etwa versprechen an sonnigen Tagen mehr Erfolg als an trüben, berichtete 2013 der Sozialpsychologe Nicolas Guéguen von der Université Bretagne-Sud in Vannes. Verschiedene junge, attraktive Männer schwärmten in seinem Auftrag in die Fußgängerzone aus, um Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren anzusprechen und nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Bei wolkenlosem Himmel lag ihre Erfolgsquote mit 22 Prozent höher als unter einem bedeckten Himmel – hier wollten nur 14 Prozent der jungen Frauen ihre Nummer verraten. Sonnenschein hebt die Stimmung, vermutete Guéguen, und deshalb sind wir aufgeschlossener für Kontaktversuche.
Neben der Flirtbereitschaft könnte das Wetter auch das Kaufverhalten beeinflussen. 2010 bat ein Team um den Marketingpsychologen Kyle Murray von der University of Alberta in Kanada 78 Studenten anzugeben, wie viel sie für verschiedene Produkte zahlen würden, etwa für eine Packung grünen Tee, ein Flugticket oder eine einmonatige Mitgliedschaft im Fitnessstudio. Dabei saßen die Probanden entweder in einem Raum mit oder ohne eine so genannte Tageslichtlampe, die ein sehr helles, dem Tageslicht ähnliches Kunstlicht abgibt.
Unter künstlichem Sonnenlicht gaben sie im Schnitt beträchtlich höhere Preise an als ihre Mitstreiter im Nebenraum. So waren sie zum Beispiel bereit, rund einen Dollar mehr für den grünen Tee hinzulegen, knapp zehn Dollar mehr für das Fitnessstudio und gut 100 Dollar mehr für den Flug! Aus den Fragebögen konnten die Forscher schließen, dass das Extra an Tageslicht auch negative Gefühle wie Traurigkeit reduzierte – was offenbar ihre Bereitschaft steigerte, mehr Geld auszugeben.
Allein schon die Aussicht auf gutes Wetter macht spendabel, wie ein weiteres Experiment bereits 2001 zeigte. Vermerkte eine Kellnerin handschriftlich auf der Rechnung, dass der kommende Tag sonnig werde, bekam sie im Schnitt ein paar Prozent mehr Trinkgeld als ohne diesen Zusatz. Kündigte sie hingegen schlechtes Wetter an, erhielt sie weder mehr noch weniger Trinkgeld als ohne Wettervorhersage.
Auch Psychologen um Matthew Keller vom Virginia Institute for Psychiatric and Behavioral Genetics in Richmond stellten 2005 fest, dass sich ihre Probanden bei gutem Wetter fröhlicher fühlen und sogar ihr Gedächtnis besser funktioniert. Doch das galt nur, wenn die Personen im Frühling untersucht wurden und zuvor mehr als 30 Minuten an der frischen Luft verbracht hatten. Lockte die Frühlingssonne die Personen aus dem Haus, legten sie den Winterblues ab und wurden vergnügter – anders als jene, die solche Tage im dunklen Kämmerlein zubrachten.
Wenn der triste Winter hinter uns liegt, erreichen wir wieder unser normales Glückslevel, mit dem wir gewöhnlich durchs Leben gehen, so die Psychologen. Ähnlich verhält es sich bei einer saisonal-affektiven Störung: Die Betroffenen fühlen sich, sobald der Herbst naht, depressiv verstimmt, sind aber in der hellen Jahreszeit beschwerdefrei. Seinen Namen erhielt dieses Phänomen in den 1980er Jahren durch die Forschergruppe um den Psychiater Norman Rosenthal vom National Institute of Mental Health in Bethesda (USA). Ihr Vorschlag, wie man die "Winterdepression" am besten behandelt: mit Licht! Inzwischen ist die so genannte Lichttherapie ein bewährtes Mittel, um Patienten durch das Wintertief zu helfen.
Wie beeinflusst Licht unsere Stimmung? Drei Faktoren spielen eine Rolle
Doch auf welchem Weg beeinflusst Licht unsere Stimmung? Drei biologische Komponenten spielen dabei eine Rolle. Erstens das Hormon Melatonin, das von der Zirbeldrüse ausgeschüttet wird. Über Nacht produzieren wir große Mengen des so genannten "Schlafhormons", bis die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen unsere innere Uhr zum Klingeln bringen und die weitere Bildung hemmen. So weiß der Körper, dass die Nachtruhe vorüber ist. Wenn es im Winter früher dunkel wird, bleibt der Melatoninspiegel auch am Tag erhöht, und wir fühlen uns mitunter schlapp.
Das Hormon entsteht aus Serotonin, der zweiten wichtigen Quelle unseres Wohlbefindens. Dieser Botenstoff erfüllt verschiedene Aufgaben im menschlichen Organismus, vor allem reguliert er unsere Gemütsverfassung. Abhängig von der Menge an natürlichem Sonnenlicht schwankt auch das Serotoninlevel, so dass uns im Sommer eine Extraportion des Neurotransmitters zur Verfügung steht.
Den dritten bedeutenden Faktor bildet das Vitamin D3, das unser Körper produziert, wenn Sonnenlicht auf die Haut fällt. Demnach fühlen wir uns in erster Linie deshalb niedergeschlagen und müde, weil es uns infolge der winterlichen Dunkelheit an diesem Stoff mangelt.
Um zu testen, ob zusätzliches Vitamin D3 der guten Laune auf die Sprünge hilft, verordneten die Psychologen Allen Lansdowne und Stephen Provost von der University of Newcastle in Australien ihren 44 gesunden Studenten über eine Winterwoche hinweg einen Vitamincocktail. Der Trick dabei: Nur ein Teil der Probanden erhielt Tabletten mit Vitamin D3; die Kapseln der anderen Gruppe waren wirkstofffrei. Jeweils morgens und abends an fünf aufeinander folgenden Tagen nahm jeder eine Tablette. Am Ende der Woche fühlten sich tatsächlich die Personen, die das "echte" Mittel bekommen hatten, erheblich besser als die Kontrollgruppe. Lansdowne und Provost vermuten, dass das Vitamin D3 bestimmt, wie viel Serotonin und Melatonin der Körper bildet.
Diagnose: Wettermimose. Warum Menschen unterschiedlich auf Wetter reagieren
Das Auf und Ab von Botenstoffen betrifft jeden Menschen, genauso wie das Wettergeschehen. Wieso aber packt dann nicht einen jeden die winterliche Melancholie? Auf der einen Seite gibt es Menschen, die mit den ersten verhangenen Oktobertagen prompt Trübsal blasen. Andere tangiert der Wetterumschwung erst dann, wenn sie vor lauter Schneemassen ihr Auto nicht mehr bewegen können.
Was unterscheidet sie? Im Jahr 2011 berichtete die Klimatologin Zornitsa Spasova vom National Center of Public Health and Analysis in Sofia (Bulgarien), dass Personen, die emotional eher labil sind, stärker auf schlechtes Wetter reagieren als jene, die von Natur aus in sich ruhen.
Zu einem anderen Ergebnis kam ein Team um den Psychologen Jaap Denissen von der Humboldt-Universität zu Berlin. Knapp 1250 Personen schätzten im Auftrag der Forscher über einen Monat hinweg alle zwei Tage in einem Onlinefragebogen, wie "stark", "nervös" oder "traurig" sie sich fühlten. Verbunden mit den Angaben des Deutschen Wetterdienstes zeigte sich, dass sonnenreiche Tage gegen Müdigkeit und Melancholie halfen; warm und windstill müsse es ebenfalls sein. Was ihre Gemütsverfassung anging, unterschieden sich die Teilnehmer stark voneinander, allerdings konnten weder Persönlichkeitsmerkmale noch Alter oder Geschlecht irgendetwas zur Erklärung beitragen. Die Forscher vermuten, dass ihre Probanden einfach verschieden empfindlich gegenüber Wind und Wetter waren, unabhängig von ihrer Persönlichkeit.
Diese Sensitivität hängt von vielen Faktoren ab – möglicherweise auch davon, was wir in der Kindheit erlebt und von den Eltern gelernt haben, zum Beispiel wenn sie über einen verregneten Frühling klagten. Interessant sind daher die Überlegungen von Entwicklungspsychologen der katholischen Universität Löwen in Belgien: Wird die Wetterfühligkeit vielleicht von Generation zu Generation weitergegeben?
Theo Klimstra und seine Kollegen luden knapp 500 erwachsene Männer und Frauen zusammen mit ihren Müttern ein, in einem Onlinefragebogen über mehrere Monate hinweg Angaben zu ihrer Gemütsverfassung zu machen. Verbunden mit den dazugehörigen Wetterdaten identifizierten die Wissenschaftler verschiedene "Wettertypen". Während sich etwa 50 Prozent als vollkommen unbeeindruckt von jeglichen Witterungsverhältnissen zeigten, ließ sich die andere Hälfte in drei Gruppen einteilen: Die "Sommerliebhaber" blühten bei Sonne und warmen Temperaturen auf, die "Sommerhasser" verfielen bei ebendiesem Wetter in Missmut, und eine die Probanden der dritten Gruppe verabscheute Regen, weil er ihnen auf die Laune schlug.
Interessanterweise zeigten sich diese drei Typen sowohl bei den Müttern als auch beim erwachsenen Nachwuchs, noch dazu teilten die Sommerliebhaber und die Regenhasser unter den Müttern diese Vorlieben sehr häufig mit ihren Kindern. Die Studie offenbarte nebenbei: Schlechtes oder gutes Wetter ist auch Ansichtssache – ganz nach dem Motto "Es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung". Ist die düstere Stimmung bei wolkenverhangenem Himmel also ein selbst gemachtes Problem?
Hinweise darauf entdeckten Forscher um den Neuropsychologen Kristofer Hagglund von der University of Missouri in Columbia (USA) bereits vor etlichen Jahren. Den objektiven Daten zufolge verstärkte allein starker Wind die Schmerzen von Fibromyalgie-Patienten. Temperatur und Sonnenstunden hatten weder einen positiven noch einen negativen Effekt. Wer aber glaubte, dass eine feuchtkalte Witterung die Schmerzen förderte, der fühlte sich auch stärker davon beeinträchtigt als ein Patient, der keinen Zusammenhang vermutete.
Das Wetter beeinflusst also durchaus, wie wir denken, fühlen und handeln. Doch objektiv betrachtet sind diese Effekte schwach. Welche Auswirkungen das Wetter auf uns hat, ist vielmehr Einstellungssache.
Offenbar behält also der französische Philosoph Blaise Pascal Recht. Seine Laune habe mit dem Wetter wenig zu tun, meinte er: "Ich trage meinen Nebel und Sonnenschein in meinem Inneren."
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