Onkologie: Wichtige Winzlinge
Orientiert man sich an der Trefferanzahl in Google, ist DNA gut sechsmal bedeutender als RNA. Dabei dürfte RNA in den vergangenen Jahren erheblich aufgeholt haben. Und wird es wohl weiter tun. Denn nun scheinen winzige RNA-Moleküle am Entstehen von Krebs beteiligt.
RNAi, mRNA, rRNA, tRNA, RNA-Enzyme, siRNA, shRNA, snRNA, snoRNA, dsRNA, hpRNA, miRNA ... Der bizarre RNA-Dschungel treibt immer neue Blüten. Eigentlich blühen all diese oft kuriosen Ribonukleinsäure-Varianten nicht erst jetzt auf, die Forscher entdecken sie eben nur nach und nach im molekularen Dickicht unserer Zellen. Ihr neuestes exotisches Mibringsel heißt microRNA – kurz miRNA.
MicroRNAs sind viel kleiner als die prominente Boten- oder mRNA. Während die mRNAs – die Zwischenstufen auf dem Weg vom Gen zum Protein – aus einer Kette mal einiger hundert, mal einiger tausend Nukleotidglieder bestehen, sind die miRNAs meist 21 bis 25 Nukleotide kurz. Deshalb haben Genetiker sie auch erst so spät entdeckt. Bevor die Forscher auf die Moleküle selbst stießen, sichteten sie aber ein Phänomen, das mit deren Wirken zusammenhängt.
Denn Anfang der 1990er Jahre häuften sich die Hinweise, dass die Injektion kurzer RNA-Stränge in eine Zelle dort Gene stilllegen kann. Und zwar diejenigen Gene, deren Sequenz zu jener der eingespritzten RNAs passt. Obwohl der dahinter steckende Mechanismus noch völlig im Dunkeln lag, machten Molekularbiologen diese Methode – die so genannte RNA-Interferenz (RNAi) – rasch zu einer der wichtigsten routinemäßig verwendeten Techniken in genetischen Labors. Mit ihr lässt sich ein Gen gezielt und ohne großen Aufwand ausschalten, oder präziser formuliert, die Konstruktion des Proteins unterbinden.
Derweil ist das Wissen über die Ursachen von RNAi gewachsen. So nehmen sich in den Zellen vorwiegend zwei Enzymapparate der eingebrachten RNA an. Einer trimmt sie auf die richtige Kürze, der nächste verwendet die RNA-Schnipsel (siRNA), um die dazu per Basenpaarung passende mRNA zu finden und diese dann abzubauen. Fragt sich, welche Rolle diese Gen-Knockouts – wie sie Genetiker nennen – außerhalb des Labors in der Natur spielen.
Zunächst hielt man die RNAi-Maschinerie ausschließlich für ein Abwehrgerät gegen Viren, weil viele von diesen Zellpiraten ihren Wirt bei einer Infektion mit großen RNA-Mengen überschwemmen. Als sich dann aber zeigte, dass die kurzen Hemm-RNAs nicht nur von außen kommen, sondern die Zelle auch im eigenen Genom Bauanleitungen für solche siRNAs – eben die microRNAs – trägt, begannen die Spekulationen von vorne.
Während die miRNAs derzeit den unverbrauchten Charme des Brandneuen ausstrahlen, ermitteln die Genetiker, dass es sich bei den selbstgemachten Mini-Hemmmolekülen um eine ziemlich urtümliche Erscheinung handelt. So tauchen sie schon in Pflanzen und Würmern auf, und Thomas Tuschl von der Rockefeller-Universität beschrieb jüngst [1] die gut 150 verschiedenen miRNAs des Zebrafischs, eines recht primitiven Wirbeltiers. Er teilte sie in 87 Familien ein und stellte durch Genomvergleiche fest, dass 81 davon auch bei allen Säugetieren zu finden sind.
Erste Hinweise, wofür all diese Organismen die mysteriösen kleinen Moleküle brauchen, kamen vom Nematoden C. elegans. Bei dem Fadenwurm scheinen viele von ihnen Entwicklungsvorgänge zu beeinflussen. Das schlossen Forscher, als sie Wurmmutanten, bei denen bestimmte miRNAs fehlten, unter die Lupe nahmen. Einige Zellen teilten sich dann viel häufiger, als es der normalerweise mit hoher Disziplin umgesetzte Bauplan des Wurms vorsieht. Und wenn Molekularbiologen ungehemmtes Wachsen und Teilen im Mikroskop erspähen, drängt sich ihnen rasch der Verdacht auf, das könne etwas mit Krebs zu tun haben.
Weil das miRNA-Profil einer Tumorzelle immer noch dem des Gewebes ähnelt, aus dem sie hervorgegangen ist, versprechen sich die Bostoner Wissenschaftler mit ihrer Methode, eine schnelle und elegante Tumordiagnostik etablieren zu können. Sie müssten, etwa um das Herkunftsgewebe von Metastasen zu entlarven, lediglich 200 miRNAs scannen – und nicht die gut hundertfache Anzahl der für Proteine kodierenden mRNAs.
In der dritten Studie dann berichtet ein Team um Joshua Mendell von der John Hopkins Universität in Baltimore [4] von sechs miRNA-Genen, die unter der Fuchtel des Gens myc stehen, das schon häufig mit Krebsentwicklung in Verbindung gebracht wurde – ein so genanntes Onkogen. Ist dieses Onkogen defekt, werden auch die miRNAs nicht mehr richtig abgelesen. Mit verheerenden Folgen, denn mindestens zwei davon verhüten die Fertigung des Proteins E2F1, das den Zellteilungszyklus beschleunigt: E2F1 wird quasi hyperaktiv, woraufhin die Zelle ihre Teilungshemmung verliert.
Auch Paul Meltzer vom Humangenom-Forschungs-Institut der USA zeigt sich verblüfft ob der gegensätzlichen Funktionen der miRNAs [5]: Es scheine, als wirkten sie einmal wie eine Bremse, dann aber wie ein Gaspedal im Krebsnetzwerk. Bezüglich ihrer Rolle im normalen Zellgeschehen fragt er sich, ob die miRNAs andere Gene mehr wie ein Feinregler abstimmen, oder ob sie regelrechte An-/Aus-Schalter sind.
Für die microRNAs, die potenziell Tumorentwicklung fördern, schlagen benennungsfreudige Wissenschaftler übrigens – analog zu den Onkogenen – den Namen oncomiRs vor. Womit die exklusive Sammlung aus der RNA-Wildnis um eine weitere Spezies reicher wäre.
MicroRNAs sind viel kleiner als die prominente Boten- oder mRNA. Während die mRNAs – die Zwischenstufen auf dem Weg vom Gen zum Protein – aus einer Kette mal einiger hundert, mal einiger tausend Nukleotidglieder bestehen, sind die miRNAs meist 21 bis 25 Nukleotide kurz. Deshalb haben Genetiker sie auch erst so spät entdeckt. Bevor die Forscher auf die Moleküle selbst stießen, sichteten sie aber ein Phänomen, das mit deren Wirken zusammenhängt.
Denn Anfang der 1990er Jahre häuften sich die Hinweise, dass die Injektion kurzer RNA-Stränge in eine Zelle dort Gene stilllegen kann. Und zwar diejenigen Gene, deren Sequenz zu jener der eingespritzten RNAs passt. Obwohl der dahinter steckende Mechanismus noch völlig im Dunkeln lag, machten Molekularbiologen diese Methode – die so genannte RNA-Interferenz (RNAi) – rasch zu einer der wichtigsten routinemäßig verwendeten Techniken in genetischen Labors. Mit ihr lässt sich ein Gen gezielt und ohne großen Aufwand ausschalten, oder präziser formuliert, die Konstruktion des Proteins unterbinden.
Derweil ist das Wissen über die Ursachen von RNAi gewachsen. So nehmen sich in den Zellen vorwiegend zwei Enzymapparate der eingebrachten RNA an. Einer trimmt sie auf die richtige Kürze, der nächste verwendet die RNA-Schnipsel (siRNA), um die dazu per Basenpaarung passende mRNA zu finden und diese dann abzubauen. Fragt sich, welche Rolle diese Gen-Knockouts – wie sie Genetiker nennen – außerhalb des Labors in der Natur spielen.
Zunächst hielt man die RNAi-Maschinerie ausschließlich für ein Abwehrgerät gegen Viren, weil viele von diesen Zellpiraten ihren Wirt bei einer Infektion mit großen RNA-Mengen überschwemmen. Als sich dann aber zeigte, dass die kurzen Hemm-RNAs nicht nur von außen kommen, sondern die Zelle auch im eigenen Genom Bauanleitungen für solche siRNAs – eben die microRNAs – trägt, begannen die Spekulationen von vorne.
Während die miRNAs derzeit den unverbrauchten Charme des Brandneuen ausstrahlen, ermitteln die Genetiker, dass es sich bei den selbstgemachten Mini-Hemmmolekülen um eine ziemlich urtümliche Erscheinung handelt. So tauchen sie schon in Pflanzen und Würmern auf, und Thomas Tuschl von der Rockefeller-Universität beschrieb jüngst [1] die gut 150 verschiedenen miRNAs des Zebrafischs, eines recht primitiven Wirbeltiers. Er teilte sie in 87 Familien ein und stellte durch Genomvergleiche fest, dass 81 davon auch bei allen Säugetieren zu finden sind.
Erste Hinweise, wofür all diese Organismen die mysteriösen kleinen Moleküle brauchen, kamen vom Nematoden C. elegans. Bei dem Fadenwurm scheinen viele von ihnen Entwicklungsvorgänge zu beeinflussen. Das schlossen Forscher, als sie Wurmmutanten, bei denen bestimmte miRNAs fehlten, unter die Lupe nahmen. Einige Zellen teilten sich dann viel häufiger, als es der normalerweise mit hoher Disziplin umgesetzte Bauplan des Wurms vorsieht. Und wenn Molekularbiologen ungehemmtes Wachsen und Teilen im Mikroskop erspähen, drängt sich ihnen rasch der Verdacht auf, das könne etwas mit Krebs zu tun haben.
Die eher vage Ahnung über den Zusammenhang zwischen miRNAs und Tumorbildung untermauern nun drei Studien unabhängig voneinander. Die erste kommt vom Massachusetts Institut für Technologie (MIT) in Boston [2]. Unter der Federführung von Todd Golub klassifizierten die Forscher 217 verschiedene miRNAs aus humanen Krebszellen und normalem Gewebe. Die unterschiedlichen Krebsarten und Zelltypen zeigten ein jeweils eigentümliches miRNA-Profil. Dabei ist die Produktion von miRNAs in Krebszellen gegenüber der in normalem Gewebe gedrosselt. Hierzu passt die frühere Beobachtung, dass die wie Krebszellen besonders teilungswilligen Zellen eines frühen Embryos ihr miRNA-Erbgut fast gar nicht ablesen, je näher sie sich dann aber hin zu ihrem endgültigen Differenzierungszustand entwickeln, sie immer mehr dieser Gene anschalten.
Weil das miRNA-Profil einer Tumorzelle immer noch dem des Gewebes ähnelt, aus dem sie hervorgegangen ist, versprechen sich die Bostoner Wissenschaftler mit ihrer Methode, eine schnelle und elegante Tumordiagnostik etablieren zu können. Sie müssten, etwa um das Herkunftsgewebe von Metastasen zu entlarven, lediglich 200 miRNAs scannen – und nicht die gut hundertfache Anzahl der für Proteine kodierenden mRNAs.
Dass bestimmte miRNAs dagegen krebsfördernd wirken können, belegt die Arbeitsgruppe von Gregory Hannon vom Cold Spring Harbor Labor [3]. Die Forscher interessierten sich für Chromosomen-Bruchstücke, wie sie sich bei einigen besonders rasch teilenden Krebsarten anhäufen. Auf den Erbgutfragmenten liegen meist Gene, welche die Entartung der Zellen noch weiter voran treiben. So auch bei einer bestimmten Sorte Blutkrebs, bei der sich auf Grund eines gestörten Ablaufs der Zellteilung, Bruchstücke von Chromosom 13 ansammeln. Das schuldige Gen auf diesem Fragment 13q31 entpuppt sich nun als ein Cluster von sieben zusammenhängenden miRNAs. Der Effekt dieser bösartig agierenden miRNAs ist, dass sie das Einleiten des programmierten Zelltodes verhindern, den die Zellen normalerweise initiieren, wenn bestimmte alarmierende Moleküle überhand nehmen. Zum Beweis der Hypothese injizierten die Forscher die 13q31-Bruchstücke in Mäuse und lösten bei diesen mit hoher Rate Leukämie aus.
In der dritten Studie dann berichtet ein Team um Joshua Mendell von der John Hopkins Universität in Baltimore [4] von sechs miRNA-Genen, die unter der Fuchtel des Gens myc stehen, das schon häufig mit Krebsentwicklung in Verbindung gebracht wurde – ein so genanntes Onkogen. Ist dieses Onkogen defekt, werden auch die miRNAs nicht mehr richtig abgelesen. Mit verheerenden Folgen, denn mindestens zwei davon verhüten die Fertigung des Proteins E2F1, das den Zellteilungszyklus beschleunigt: E2F1 wird quasi hyperaktiv, woraufhin die Zelle ihre Teilungshemmung verliert.
Auch Paul Meltzer vom Humangenom-Forschungs-Institut der USA zeigt sich verblüfft ob der gegensätzlichen Funktionen der miRNAs [5]: Es scheine, als wirkten sie einmal wie eine Bremse, dann aber wie ein Gaspedal im Krebsnetzwerk. Bezüglich ihrer Rolle im normalen Zellgeschehen fragt er sich, ob die miRNAs andere Gene mehr wie ein Feinregler abstimmen, oder ob sie regelrechte An-/Aus-Schalter sind.
Für die microRNAs, die potenziell Tumorentwicklung fördern, schlagen benennungsfreudige Wissenschaftler übrigens – analog zu den Onkogenen – den Namen oncomiRs vor. Womit die exklusive Sammlung aus der RNA-Wildnis um eine weitere Spezies reicher wäre.
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