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Aquakultur: Wie grün ist der Lachs?

Ein besseres Leben für Lachs und Co? Manchmal reicht es schon, die Tiere tiefer schwimmen zu lassen. Doch am Ende stellt sich auch bei der Aquakultur die Gewissensfrage.
Lachsfischfarm vor der Küste Bergens

Die Debatte über die Rechte unserer Nutztiere hat auch das Fischbassin erreicht. Denn es mehren sich die Hinweise darauf, dass Fische durchaus Schmerzen und Stress empfinden, womöglich mehr und bewusster als lange gedacht. Da wird die Frage erlaubt sein, was man den Tieren antut, wenn man sie etwa verletzt auf dem Deck eines Hochseebootes liegen lässt. Oder eben auch, wie viel Platz man ihnen in einer Aquakultur gibt.

Zweifelsfrei beweisen lässt sich dies jedoch noch nicht. Tatsächlich hat sich die Fischindustrie viele Jahre lang wenig um das Tierwohl geschert. Mittlerweile ist jedoch einiges geschehen, und es gibt zahlreiche Forschungsprojekte zu fischgerechter Tierhaltung.

Vor allem in der Aquakultur hat ein Umdenken stattgefunden, nicht zuletzt weil kranke und gestresste Tiere nicht gut wachsen und daher auch kein Geld mit ihnen zu verdienen ist. Zudem macht der Verbraucher Druck. Mit rund sechs Prozent pro Jahr wächst die Aquakultur so stark wie kein anderer Lebensmittelsektor. Die »blaue Revolution« soll nichts weniger als der Überfischung der Meere Einhalt gebieten und obendrein den Hunger in der Welt bekämpfen.

Welche Besatzdichte ist mit dem Tierwohl vereinbar? | Nicht alle Fische leben in der Natur in Schwärmen – in der Aquakultur hingegen schon.

Jeder zweite Fisch, der irgendwo auf einem Teller landet, ist ein Zuchtfisch. 80 Millionen Tonnen sind es weltweit. In Deutschland isst man vor allem Lachs (178 000 Tonnen). Forellen und Garnelen teilen sich mit jeweils 74 000 Tonnen den zweiten Platz.

Marine Aquakultur in Käfigen

Dem Atlantischen Lachs (Salmo salar) machen in erster Linie Parasiten zu schaffen. Rund 85 Prozent der in Deutschland verzehrten Zuchtlachse stammen aus den norwegischen Fjorden, schätzt das Fisch-Informationszentrum, ein Verein zur Interessenvertretung der Fischereiwirtschaft. In den offenen Netzgehegen dürfen sich laut Gesetz nicht mehr als 25 Kilogramm Lachs pro Kubikmeter Wasser tummeln. In der Wildnis verbringt der Fisch jedoch einen Teil seines Lebens als Einzelgänger und schwimmt täglich meilenweit. Ist diese Besatzdichte also tierethisch vertretbar? »Zwar kann schon ab 22 Kilogramm pro Kubikmeter das Tierwohl leiden«, meint Lars Helge Stien, Wissenschaftler am norwegischen Fischforschungsinstitut in Bergen und Spezialist in Sachen Lachs. »Aber diese hohe Dichte wird erst erreicht, wenn die Lachse ausgewachsen sind und kurz vor der Schlachtreife stehen.« Darum sieht er hier kein Tierschutzproblem.

Trotzdem forscht der Meeresbiologe an Verbesserungsmöglichkeiten: Er hat gemeinsam mit Kollegen in Versuchen gezeigt, dass eine moderate Strömung bei hohen Besatzdichten in den Käfigen das Tierwohl von jungen Lachsen verbessert. Konkret: Es kam zu weniger aggressiven Interaktionen, und die Tiere trugen weniger Verletzungen an den Flossen davon. Zudem halten sich die Lachse vornehmlich in den oberen, lichtdurchfluteten Wasserschichten auf, doch Lachszüchter können die Tiere mit Hilfe einer Beleuchtung der mittleren Netzschichten nach unten locken, um sozialen Stress zu minimieren.

Die intensive Süßwasser-Aquakultur |

Verbessertes Tierwohl durch »environmental enrichment«: In Erdteichen, künstlich angelegten Becken und in Fließkanälen wird der zweite Lieblingsfisch der Deutschen, die Forelle, aufgezogen. Auch hier wird mit Pellets gefüttert, die Anforderungen an die Wasserqualität sind hoch. Dennoch könnten dort die Haltungsbedingungen ebenfalls verbessert werden, weil die Fische vor allem in so genannten Fließkanälen einer monotonen Umgebung ausgesetzt sind. Stefan Reiser forscht daran, hier für Abwechslung zu sorgen, »environmental enrichment« ist das Fachwort dafür. »Mit Hilfe von gezielt eingesetzter Strömung kann man zum Beispiel den Stresslevel senken«, sagt Reiser. »Die Fische gedeihen besser in einer dreidimensionalen Umgebung mit entsprechenden Strukturelementen.« Selbst einfacher Flusskies als Bodenbelag verbessert das Tierwohl in den Becken. So wird bei den Jungfischen etwa natürliches Verhalten wie Schwarmbildung gefördert.

Das Bild zeigt eine Forellenzuchtanlage in Italien.

Zu gering darf die Besatzdichte jedoch auch nicht sein, denn: »Bei zu geringen Dichten kann es zu Territorialverhalten und Aggression zwischen den Fischen kommen«, sagt Stefan Reiser, Biologe am Thünen-Institut für Fischereiökologie. »Dies geschieht aber eben nur, wenn die Fische zu viel Platz haben, um den es sich zu kämpfen lohnt.« Tierschützer lassen das Argument nicht gelten: »Aus Tierschutzsicht darf aus dieser Beobachtung nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Fische deswegen eng begrenzt gehalten werden müssen«, schreibt Henriette Mackensen vom Deutschen Tierschutzbund im »Kritischen Agrarbericht«. »Stattdessen muss eingestanden werden, dass sich territoriale Fischarten für die Fischzucht nicht eignen.«

Wie eng ist noch artgerecht?

Tatsächlich ist chronischer Stress schwer zu messen, weil sich der typische Stressmarker Kortisol bei anhaltender Belastung erschöpft und eher niedrig ist. Chronisch belastete Fische entwickeln dann krankhafte Symptome wie Apathie, sie fressen und wachsen nicht mehr richtig. »Derzeit werden Messmethoden entwickelt, um chronischen Stress besser sichtbar zu machen«, sagt Reiser. So hat etwa eine Forschergruppe der kanadischen University of Guelph 2019 herausgefunden, dass man Langzeitstress in den Schuppen nachweisen kann, da sich das Hormon Kortisol dort anreichert. So zeigt sich etwa, dass nicht jeder Fisch gleichermaßen auf die Enge zu reagieren scheint. Darum könnte eine Selektion auf robuste Zuchtlinien eine Möglichkeit sein, die Haltungsbedingungen zu verbessern.

Stress entsteht jedoch nicht nur durch zu hohe Besatzdichten, sondern auch, wenn nicht genügend Sauerstoff im Wasser gelöst ist oder sich Stoffwechselprodukte wie Ammonium im Wasser anreichern. Deshalb werden in der norwegischen Lachszucht verschiedene Wasserwerte ständig überwacht.

Aquakultur in geschlossenen Kreislaufsystemen | Nachhaltig, aber kostenintensiv: An der GmA in Büsum forscht man daran, wie man wichtige Aquakulturarten wie Steinbutt, Wolfsbarsch, Zander oder Garnele in Indoor-Becken züchtet. Der Vorteil solcher Anlagen: Die Wasserqualität kann gut überwacht werden. Für das Tierwohl ist hier also gesorgt, solange die Haltungsdichten nicht zu hoch sind. »Diese Anlagen haben zudem eine geringe Auswirkung auf die Umwelt«, sagt Bernd Ueberschär. Der Nachteil: hohe Kosten für den Bau der Anlage, den Betrieb und das Fachpersonal.

Zum Tierwohl zählt auch, ob die Tiere frei von Krankheit sind, und das ist das größte Problem in der Lachszucht. Denn Lachse werden vor allem in höheren, wärmeren Wasserschichten, wie sie in Netzgehegen nahe der Küste vorkommen, von kleinen Krebsen, so genannten Lachsläusen (Lepeophtheirus salmonis), befallen. Sie erleiden dadurch nicht nur physikalische Schäden wie Verletzungen der Haut oder Infektionen, die Parasiten erhöhen auch den Stresspegel der Fische.

Putzerfische haben eine gemischte Bilanz

Es gibt derzeit mehrere Methoden, die Infektion zu bekämpfen. Teilweise wird in kleinen Becken mit bis zu 34 Grad warmem Wasser entlaust. »Dabei sterben zwar die Läuse ab, aber das verursacht Schmerzen und Stress bei den Lachsen, teils so stark, dass Tiere nach der Behandlung sterben«, sagt der norwegische Forscher Stien. Eine zweite Variante sind Anti-Läuse-Medikamente, eine Methode, die vielfach in den letzten 40 Jahren eingesetzt wurde. Doch gegen diese Mittel werden die Läuse schnell resistent. »Zudem verursacht Chemie immer auch Rückstände im Wasser, die nicht berechenbar sind«, gibt Bernd Ueberschär, Fischbiologe bei der Gesellschaft für marine Aquakultur (GmA) in Büsum, zu bedenken.

Seit einiger Zeit werden darum so genannte Putzerfische wie Seehasen oder Lippfische in die Lachsnetze gesetzt. Etwa 60 Millionen Exemplare sollen derzeit weltweit im Einsatz sein. Diese Methode gilt als die beste in Sachen Lachswohl. Allerdings ist ihre Wirksamkeit ungeklärt. In einer aktuellen Überblicksstudie fanden Tim Dempster von der University of Melbourne und Kollegen gemischte Resultate: In manchen Anlagen erhöhte sich bei Einsatz von Putzerfischen die Zahl der Läuse um 28 Prozent, in anderen dagegen reduzierten sie sich auf null. Eine weitere aktuelle Studie, die fast 500 norwegische Großanlagen inspizierte, kam ebenfalls zu dem Schluss, dass nur einige Züchtereien in geringem Maß von Putzerfischen profitierten, während bei anderen der Läusebefall nicht zurückgedrängt werden konnte. Zudem ergibt sich für die Fischzüchter eine neue moralische Herausforderung, da viele Putzerfische in den Käfigen Stress erleiden und sterben. Schließlich sind die Putzerfische es nicht gewohnt, mit Lachsen auf engem Raum zu leben, und fallen auch gerne einmal den Raubfischen zum Opfer.

Eine letzte Möglichkeit, den kleinen Krebsen beizukommen, ist baulicher Art. Man kann die Netzgehege beispielsweise stärker von der Umgebung isolieren. Oder man senkt sie in drei bis vier Meter Wassertiefe ab, wo sich die Lachsläuse kaum aufhalten. Wichtig ist dabei, dass die Fische durch einen senkrechten Tunnel, Schnorchel genannt, zur Wasseroberfläche schwimmen können, wo sie durch Verschlucken von Luft ihre Schwimmblase wieder auffüllen. »Diese Modifikationen dienen dazu, die Fische in tieferen Wasserschichten zu halten, da sich die infektiösen Stadien der Läuse in oberflächennahen Schichten aufhalten«, sagt Reiser. Der Norweger Stien hat gezeigt, dass sich durch Schnorchelkäfige 75 Prozent der Parasiten abtöten lassen.

Extensive Süßwasser-Aquakultur |

Das Fisch-Paradies: Bereits vor 8000 Jahren haben Chinesen Teiche angelegt, um Karpfen zu züchten, wie eine Studie unter deutscher Beteiligung 2019 belegt. Für die Fische sind auch die heutigen Anlagen eine Art »Paradies«. Die Besatzdichte ist gering. In vielen Teichen wachsen neben dem Zuchtfisch auch Wasserpflanzen, Insekten und Krustentiere sowie andere Fische – die Biodiversität ist hoch, die Krankheitsanfälligkeit damit gering. Der Züchter kann, muss aber nicht zufüttern. Die »Non-Fed-Teiche« ohne Zufütterung sind jedoch gleichzeitig wirtschaftlicher und nachhaltiger. Laut Matthias Halwart von der FAO stammt schon jetzt ein Drittel der weltweiten Fischproduktion aus der Non-Fed-Aquakultur.

Das Bild zeigt Fischteiche bei Hongkong.

Abhilfe würde auch eine so genannte Offshore-Anlage schaffen. Diese Anlagen werden auf hoher See verankert und sind teilweise schon im Bau. »Dort gäbe es praktisch kein Läuseproblem«, sagt Ueberschär.

Zu tiergerechter Haltung gehört ebenso, dass die Fische nach ihren Bedürfnissen gefüttert werden. Lachse sind Fleischfresser. In der Aquakultur hat man sie darum lange Zeit mit Fischmehl etwa aus Sardinen und Sardellen gefüttert. Das aber verschärfte deren Überfischung. »Heute stammen rund 70 Prozent des Futters aus pflanzlichen Quellen wie Sojabohnen und Raps, der Rest aus marinen Ressourcen«, sagt Ueberschär. Auch aus Insektenlarven hergestellte Proteine können in Fischfutterpellets zum Einsatz kommen, ohne dass die Tiere an Wachstum und Gesundheit einbüßen.

Die Wildbestände profitieren also von der Umerziehung zum Omnivoren. Und wenn der Pflanzenanteil obendrein aus Abfällen wie etwa Rapskuchen oder Biertreber stammt und nicht aus Soja, wird noch wertvolle Ackerfläche eingespart.

Jagd aufs Pellet

Allerdings jagen Lachse in der Natur kleinere Fische. Tierschützer wie Mackensen kritisieren daher, dass Lachse ihrem artgerechten Verhalten bei der Futtersuche nicht nachkommen können und dass ein Fleischfresser nicht zu einem Vegetarier gemacht werden dürfe. Sie fordert daher, die Zucht von Fischen auf omnivore Arten oder Pflanzenfresser wie Karpfen zu beschränken. Wissenschaftler von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) sehen dies jedoch anders: Es mache keinen großen Unterschied, ob die Lachse mit lebender Nahrung oder mit Pellets gefüttert würden, sofern die Futterstückchen in ihrer Größe ins Beutespektrum der Lachse passten und den Jagdinstinkt der Tiere ansprächen. Auch um Pellets von der Wasseroberfläche aufzuschnappen, müssten die Lachse ihre gesamten Sinnesorgane einsetzen.

Vegetarische Pellets anstatt Frischfisch, Parasiten, womöglich zu dichtes Gedränge im Netzgehege – es ist also noch nicht alles gut in der Lachszucht. Tatsache ist aber, dass Fisch mit seinem Eiweißgehalt, seinen langkettigen Omega-3-Fettsäuren, seinem Jod und Selen nicht nur gesünder als Fleisch ist, sondern auch klimafreundlicher produziert wird. »Für jedes Rindersteak, das man nicht isst, kann man acht Lachssteaks essen«, sagt Christoph Zimmermann, der am Thünen-Institut für Ostseefischerei forscht. Wer jedoch ganz großen Wert auf artgerechte Haltung legt, sollte Fische aus heimischer Aquakultur kaufen, etwa Forellen, Saiblinge oder Karpfen. Und Bio-Zuchtlachs hat mit einer erlaubten Besatzdichte von zehn Kilogramm pro Kubikmeter zumindest etwas mehr Platz als seine konventionell gehaltenen Artgenossen.

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