Direkt zum Inhalt

Raumfahrt: Wie Atommüll die Erforschung des Mondes befeuern kann

Europäische Forscher entwickeln Batterien, die das radioaktive Isotop Americium-241 nutzen. Sie sollen Missionen zu weit entfernten, dunklen Orten in unserem Sonnensystem ermöglichen.
Eine künstlerische Darstellung der europäischen Argonaut-Mission
Künstlerische Darstellung des European Large Logistics Lander, bekannt als EL3, auf dem Mond.

Es wäre die Lösung für ein drängendes Problem: Europäische Wissenschaftler arbeiten an einer neuen Art Batterie für Weltraummissionen, die mit radioaktivem Atommüll betrieben werden. Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) hofft, dass diese Technologie bis zum Ende des Jahrzehnts den Bau und Betrieb von Raumfahrzeugen ermöglicht, die nicht auf Solarzellen angewiesen sind und so den Mond und weit entfernte Bereiche des Sonnensystems erkunden können. Auf diese Weise möchten die Verantwortlichen bei der ESA unabhängiger von der Ausrüstung und Unterstützung internationaler Partner werden.

Auf der Tagung des ESA-Ministerrats am 22. und 23. November in Paris stimmten die Teilnehmer der Finanzierung eines mit 29 Millionen Euro (30 Millionen US-Dollar) dotierten Programms mit der Bezeichnung European Devices Using Radioisotope Energy (ENDURE) zu. Ziel ist es, langlebige Wärme- und Stromquellen zu entwickeln, die mit dem radioaktiven Isotop Americium-241 betrieben werden, und zwar rechtzeitig für eine Reihe von ESA-Mondmissionen in den frühen 2030er Jahren.

»Wenn wir bei der Erforschung des Weltraums autonom sein wollen, brauchen wir diese Möglichkeiten«, sagt Jason Hatton, einer der Leiter von ENDURE, das am Europäischen Zentrum für Weltraumforschung und -technologie (ESTEC) in Noordwijk, Niederlande, angesiedelt ist. Die wachsenden Ambitionen der ESA im Weltraum bedeuten, dass die Agentur eigene langlebige und haltbare Energieträger benötigt, sagt Hatton.

Americium, ein Nebenprodukt des Plutoniumzerfalls, wurde noch nie als Treibstoff verwendet. Für Missionen, bei denen Solarenergie nicht ausreicht – entweder weil die Ziele im Schatten oder weit entfernt von der Sonne liegen – griff die ESA bisher auf amerikanische oder russische Partner zurück, die seit dem Wettlauf ins All Mitte des letzten Jahrhunderts Plutonium-238-Batterien zur Stromversorgung von Missionen einsetzen. Die NASA nutzte beispielsweise Plutoniumbatterien, um die Huygens-Sonde während ihres Sinkflugs zum Saturnmond Titan im Jahr 2005 zu wärmen. Doch Plutonium-238 war in den letzten zehn Jahren Mangelware und ist teuer in der Herstellung.

Außerdem brach die ESA die Beziehungen zu Russland ab, nachdem russische Truppen im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierten. »Die aktuelle politische Situation zeigt, dass man sich auf Partner nicht uneingeschränkt verlassen kann«, sagt Athena Coustenis, Astrophysikerin am Pariser Observatorium in Meudon, Frankreich, die einem ESA-Beratungsausschuss vorsitzt, welcher das neue Programm unterstützt.

Das Fehlen einer Energiequelle hat die von europäischen Wissenschaftlern vorgeschlagenen Solomissionen lange Zeit behindert und etliche andere eingeschränkt. Die Agentur bekam den Mangel an Radioisotopen-Energie 2014 deutlich zu spüren, als die Sonde Philae, die einen Kometen erforschte, weniger als drei Tage einsatzbereit war. Die kurze Einsatzzeit rührte daher, dass die Sonde an einem schattigen Ort gelandet war, an dem ihre Solarzellen nutzlos waren. »Schon seit Jahren sagen europäische Wissenschaftler, dass es keine andere Möglichkeit gibt, wenn man weit weg oder an dunkle und kalte Orte gelangen will«, sagt Coustenis.

Besser als Plutonium?

Der große Vorteil von Americium gegenüber Plutonium bestehe darin, dass es billiger sei, häufiger vorkomme und außerdem radioaktive Abfälle wiederverwendet werden könnten, sagt Véronique Ferlet-Cavrois, die die ENDURE-Initiative am ESTEC leitet. Plutonium-238 wird in einem zweistufigen Prozess hergestellt, bei dem Neptunium mit Neutronen bestrahlt wird. Forscher am britischen National Nuclear Laboratory (NNL) in Sellafield haben gezeigt, dass Americium aus wiederaufbereitetem Kernbrennstoff, der in Kraftwerken verwendet wird, extrahiert und zu Brennstoffpellets verarbeitet werden kann, die den Kern der Batterien bilden sollen. Im Rahmen des ENDURE-Programms soll die Produktionskapazität für Americium auf das für Batterien erforderliche Maß erhöht werden, sagt Hatton.

Die Halbwertszeit von Americium ist höher als die von Plutonium-238. Das macht es zwar langlebiger, bedeutet aber auch, dass es pro Gramm weniger Energie liefert. Weil Americium jedoch besser verfügbar ist, kostet die Produktion von umgerechnet einem Watt Leistung nur etwa ein Fünftel dessen, was bei Plutonium anfällt, sagt Markus Landgraf, der die Arbeit an zukünftigen Mondmissionen am ESTEC leitet.

In den nächsten drei Jahren wird das ENDURE-Team existierende Prototypen zu Modellen weiterentwickeln, die unter Bedingungen getestet werden können, die Mondmissionen ähnlich sind und somit als Vorläufer für einsatzfähige Geräte gelten können. In Zusammenarbeit mit dem NNL hat ein Team an der Universität Leicester im Vereinigten Königreich zwei Arten von Geräten entwickelt: eine Radioisotopen-Heizeinheit, die technische Instrumente mit der beim Zerfall von Americium entstehenden Energie erwärmt, und Radioisotope nutzende thermoelektrische Generatoren (RTGs), die die Wärme zur Erzeugung von Strom verwenden, indem sie einen Temperaturunterschied zwischen Metallplatten erzeugen.

Die Forscher entwarfen beide Gerätetypen, um den Eigenschaften des Americiums Rechnung zu tragen, welches im Vergleich zu Plutonium bei der gleichen Leistung ein höheres Volumen und kühlere Temperaturen aufweise, sagt Richard Ambrosi, Physiker und Spezialist für Raumfahrt-Energiesysteme, der das Team der Universität Leicester leitet.

Weil radioaktive Materialien verwendet werden, sei die Sicherheit der Systeme von entscheidender Bedeutung, sagt Ambrosi. Die Einheiten seien in verschiedene Schichten, darunter eine Platinlegierung, eingekapselt, die das Americium einschließen und gleichzeitig die Wärme entweichen lassen. Die nächste Phase des Programms nimmt Sicherheitstests in den Fokus, damit die Americium-Einheiten für den Start zertifiziert werden können. Zu den Tests gehört es etwa, das Verhalten der Komponenten bei hohen Temperaturen zu untersuchen sowie bei Stößen, wie sie zum Beispiel bei einer Explosion auf der Startrampe auftreten können. Dadurch soll sichergestellt werden, dass kein radioaktives Material austritt. »Die Bauteile müssen in der Lage sein, eine ganze Reihe sehr extremer Szenarien zu überstehen«, sagt Ambrosi.

Batterien auf dem Mond

Sobald die Entwicklung abgeschlossen ist, könne dasselbe grundlegende Energiesystem bei allen Missionen genutzt werden, bei denen keine Sonnenenergie zur Verfügung steht, sagt Véronique Ferlet-Cavrois. Dies ist etwa während Mondnächten der Fall, die 14 Erdtage dauern, und bei Expeditionen ins Sonnensystem jenseits des Jupiter. Um eine raue Mondnacht zu überstehen, verwendet Chinas aktiver Mondrover Chang'e-4 Heizeinheiten aus Plutonium, die in Zusammenarbeit mit Russland gebaut wurden.

Das erste Ziel der ESA für den Einsatz von Americium-Energiequellen ist die Argonaut-Mondlandefähre, deren Start für die frühen 2030er Jahre geplant ist. Während der Argonaut-Missionen sollen lange Studien auf der Mondoberfläche durchgeführt und die dort arbeitenden Astronauten unterstützt werden, sagt Landgraf. In den 2040er Jahren dann hofft die ESA, eine Mission zu den Eisriesen Uranus und Neptun zu starten, sagt Ferlet-Cavrois. Diese Planeten wurden bisher nur bei Vorbeiflügen der NASA-Sonde Voyager 2 in den 1980er Jahren untersucht.

Dass Americium leicht verfügbar und die Herstellung von Plutonium-238 so schwierig ist, mache es wahrscheinlich, dass die NASA ebenfalls daran interessiert sei, sagt Markus Landgraf. Die Behörde prüfe derzeit, ob sie in der Lage ist, genügend RTGs für kommende Missionen herzustellen. Für ihr Artemis-Programm, das eine langfristige Präsenz auf dem Mond anstrebt, »halten sie unser Americium für sehr interessant«, sagt Landgraf.

Richard Ambrosi erklärt, es habe mehr als ein Jahrzehnt der Forschung gebraucht, um die Americium-Technologie an den Punkt zu bringen, an dem sie für den Einsatz in tatsächlichen Missionen weiterentwickelt werden kann. »Die Aufregung ist derzeit förmlich greifbar. Wir haben sehr lange auf diesen Moment hingearbeitet«, sagt er.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.