Ökologie: Wie Australiens Kaninchenplage ihren Anfang nahm
Australiens invasive Kaninchenpopulation stammt wahrscheinlich von zwei Dutzend wilden englischen Kaninchen ab, die am Weihnachtstag 1859 in der Nähe von Melbourne eintrafen. Darauf deutet nun eine Genomanalyse hin. Der Studie zufolge verschaffte ihre Abstammung der Herde einen Vorteil gegenüber Kaninchen, die schon früher auf den Kontinent gelangt waren.
Kaninchen sind inzwischen in den größten Teil des australischen Kontinents eingedrungen und haben katastrophale Auswirkungen auf das dortige Ökosystem: Sie bedrohen rund 300 Pflanzen- und Tierarten und verursachen jedes Jahr Schäden in Höhe von Hunderten Millionen Dollar in der Landwirtschaft.
Laut historischen Aufzeichnungen trafen die ersten Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) in Australien 1788 wohl mit den ersten Siedlern in Sydney ein. Schiffe, die Kaninchen mitbrachten, legten jahrzehntelang an der Küste an, aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete sich die Population erheblich aus, und zwar mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Jahr über das ganze Land.
Die Aufzeichnungen lassen auch vermuten, dass die Ausbreitung der Kaninchen auf eine Lieferung von Tieren zurückzuführen ist, die für einen gewissen Thomas Austin in Barwon Park, südwestlich des heutigen Melbourne, bestimmt war. Sein Bruder hatte die Tiere in der Nähe des Familiensitzes in Baltonsborough im Südwesten Englands gefangen.
Die australischen Kaninchen stammen aus Baltonsborough
Der Evolutionsgenetiker Joel Alves von der University of Oxford und seine Kollegen wollten herausfinden, ob genetische Daten die Aufzeichnungen bestätigen. Dazu analysierten sie das Erbgut von 179 Wildkaninchen, die in Australien, Neuseeland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich gefangen wurden, sowie von acht Hauskaninchen verschiedener Rassen.
Sie fanden heraus, dass die meisten Kaninchen auf dem australischen Festland sich genetisch ähneln und eine gemischte Abstammung von Wild- und Hauskaninchen aufweisen. Die australischen Kaninchen hatten auch mehr seltene Allele mit Kaninchen aus Südwestengland gemeinsam als mit solchen aus anderen Teilen des Vereinigten Königreichs. Demzufolge stammen sie offenbar tatsächlich aus Baltonsborough. Bei der Betrachtung der mitochondrialen DNA, die über die mütterliche Linie vererbt wird, kamen die Forscher zu dem Schluss, dass die meisten australischen Festlandskaninchen von etwa fünf aus Europa eingeschleppten Weibchen abstammen.
Außerdem nahm die genetische Vielfalt der Kaninchen ab, je weiter die Tiere von Barwon Park entfernt gefangen wurden, und Allele, die bei Wildkaninchen selten sind oder fehlen, nahmen zu. Den Forschern zufolge stimmen diese Muster mit der Vorstellung überein, dass die meisten Kaninchen in Australien aus Barwon Park stammen. Das Team berichtet über seine Ergebnisse in »PNAS« vom 22. August 2022.
»Das ist eine sehr spannende Arbeit zu einem sehr wichtigen und gut untersuchten Thema«, sagt Martin Nuñez, der an der University of Houston in Texas über ökologische Invasionen forscht. Genanalysen zu nutzen, um zu verstehen, wie unerwünschte Tierinvasionen beginnen, könne helfen, zukünftige Invasionen vorherzusagen.
Wildkaninchen waren im Vorteil gegenüber Hauskaninchen
Insgesamt stellt das Team fest, dass die wilde Abstammung der Kaninchen ein wichtiger Faktor für sie war, um sich über den gesamten Kontinent auszubreiten. »Wildkaninchen sind anders«, sagt Alves. So neigen sie etwa dazu, aus stressigen Situationen zu fliehen und Höhlen zu graben. Damit waren sie laut dem Evolutionsgenetiker vermutlich besser als Hauskaninchen in der Lage, Raubtieren auszuweichen und in schwierigem Gelände zu überleben. Historische Aufzeichnungen deuten darauf hin, dass Austin Wildkaninchen anforderte, während es sich bei den zuvor importierten Kaninchen hauptsächlich um Hauskaninchen handelte.
Dass Weideland zu dieser Zeit zunahm und Raubtiere verstärkt in Schach gehalten wurden, dürfte ihre Ausbreitung ebenfalls begünstigt haben. »Man hatte die richtigen Kaninchen zur richtigen Zeit am richtigen Ort, mit den richtigen Veränderungen in der Umwelt«, erklärt Alves.
»Die genetischen Analysen scheinen sehr solide zu sein«, sagt die australische Genetikerin Amy Iannella, die sich ebenfalls mit Kaninchen beschäftigt. In ihren Augen half den Tieren bei der Ausbreitung aber auch die Tatsache, dass Menschen sie in andere Teile des Landes transportierten, wo sie sich ebenfalls heimisch einrichten konnten. Kaninchen seien typische Gemeinschaftstiere und bräuchten zum Überleben einen Unterschlupf. Jungtiere wanderten selten weiter als einen Kilometer. »Die Vorstellung, dass sich die Kaninchen nach einer einzigen Freisetzung so schnell über das ganze Land ausbreiten, erscheint mir extrem, wenn man bedenkt, was wir über ihre Ökologie wissen.«
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