Knapp entkommen: Wie Baby-Aale aus dem Magen eines Raubtiers flüchten
Es ist eine außerordentlich unerfreuliche Situation für den jungen Nachwuchs des Japanischen Aals (Anguilla japonica): Ein größerer Raubfisch, eine Grundel, hat ihn in seinem Maul gepackt und verschluckt ihn. Doch für den Aal ist das keineswegs immer das Ende der Reise. Die kleinen Tiere können nämlich noch entkommen. Vor einigen Jahren entdeckten japanische Fachleute, dass die Aale durch die Kiemenöffnungen des Räubers wieder hinausschlüpfen können. Nun hat das gleiche Team um Yuuki Kawabata von der Universität Nagasaki detailliert beobachtet, wie die Tiere das Kunststück schaffen. Und der Trick ist sogar noch erstaunlicher als gedacht. Wie das Team in der Fachzeitschrift »Current Biology« berichtet, entkommen die Aale sogar aus dem Magen des größeren Fisches. Sie winden sich rückwärts durch die Speiseröhre zu den Kiemen und von dort ins Freie. In knapp einem von drei Fällen klappt das.
Viele Tiere kauen oder zerfleischen ihre Beute nicht, sondern verschlucken sie lebendig und am Stück – ein unschöner Tod, aber auch eine Chance. Manche Tiere entkommen nämlich noch aus dem Inneren der Räuber. So können einige Käfer aus dem Verdauungstrakt von Fröschen flüchten, indem sie bei diesen Erbrechen oder vorzeitigen Stuhlgang auslösen. Von Wirbeltieren waren solche Tricks bisher jedoch nicht bekannt – bis die Fachleute die Aale in Aktion beobachteten. Allerdings gingen sie zuerst davon aus, dass die gelenkigen Fische lediglich aus dem Maul entkommen. Die Wahrheit kam erst ans Licht, als das Team um Kawabata mit einer Röntgenkamera die Details der Flucht erkundete.
Die Arbeitsgruppe injizierte Jungfischen des Japanischen Aals ein Röntgenkontrastmittel und setzte sie dann zu einem Süßwasser-Raubfisch ins Becken. Die größere Grundel (Odontobutis obscura) griff sich die vermeintlich leichte Beute. Was dann geschah, war bemerkenswert – und die japanischen Fachleute zeichneten es in allen Einzelheiten auf. Die Aale nämlich landeten allesamt im Magen. Doch 13 der insgesamt 32 verschluckten Tiere gelang die Flucht aus dem Magen des Räubers. Sie schafften es, ihren Schwanz in die Speiseröhre des Raubfischs zu fädeln und sich dann rückwärts wieder Richtung Kopf zu schlängeln. Ihr Ziel: die Kiemenöffnungen an der Seite des Kopfs, durch die die Grundel atmet. Tatsächlich schafften es neun der Aale wieder ins Freie.
Die anderen starben im Inneren des Räubers. Allerdings auch das nicht ohne Gegenwehr. Die Kamera zeigt, wie sich die Tiere im Magen der Grundel winden, um einen Ausgang zu finden. Sie fielen jedoch recht bald den Verdauungsflüssigkeiten zum Opfer: Im Durchschnitt starben die Aale nach rund dreieinhalb Minuten. Insgesamt überlebten also etwa 28 Prozent der Beutetiere ihren unfreiwilligen Ausflug ins Innere der Grundel – immerhin ein gutes Viertel und damit weit mehr, als man erwarten würde. Für die Raubfische zweifellos eine sehr irritierende Erfahrung. Es ist aber nicht bekannt, ob sie sich deswegen bevorzugt weniger renitente Beute suchen.
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