Landschaftsästhetik: Bis zum Horizont und weiter
Wer von Paderborn aus in östlicher Richtung fährt, sieht schon aus etlichen Kilometern Entfernung mehrere Dutzend Windkrafträder. Sie stehen auf den Hügeln des Eggegebirges in einer hügeligen Landschaft aus Rapsfeldern, Pferdekoppeln, Äckern, Kuhwiesen und Wäldern. Als die Anlagen Ende der 1990er Jahre errichtet wurden, war dies für kurze Zeit der größte Binnenwindkraftpark Europas.
Damals betrachteten die Menschen in der Region die Windräder mit Neugier und Verwunderung. Ich selbst komme aus der Gegend und kann mich erinnern, dass sich viele Bekannte freuten. Sie waren davon überzeugt, den Beginn eines ökologischen Zeitalters mitzuerleben. Eher wenige mochten fortan nicht mehr durch die Felder spazieren. Sie beklagten eine "Verspargelung" der Landschaft, schimpften über den Schatten, den die Anlagen werfen, und den Lärm, den die Rotoren bei Starkwind erzeugen.
Seither sind deutschlandweit hunderte Windparks errichtet worden. Manche Region wird bereits als "Energielandschaft" bezeichnet – und nicht mehr als Kulturlandschaft. Zwar werden nicht nur Windräder errichtet, sondern auch Sonnenkollektoren und Pumpspeicherkraftwerke. Doch es sind die Windräder, die ins Auge fallen. Sie haben sich so sehr ins Bewusstsein ein geprägt, dass wir sofort an sie denken, etwa wenn wir uns an eine Fahrt durch die Magdeburger Börde oder an einen Urlaub an der Nordseeküste erinnern. Ob die Energiewende gelingt, dürfte sich auch daran entscheiden, ob wir solche neuen Landschaften als schön oder hässlich empfinden.
Noch befürworten die meisten Bürger die Energiewende. "Wir finden vor allem eine große Akzeptanz bei Menschen, in deren Umgebung schon Windräder stehen", sagt Sören Schöbel, Professor für Landschaftsarchitektur an der TU München. Allerdings sei es wichtig, dass die Menschen in die Planungen einbezogen werden. In Ostdeutschland würden Windparks eher abgelehnt, weil dort mehr als anderswo anonyme Investoren ihr Geld geben. "Ideal sind genossenschaftliche Projekte wie es sie in Bayern gibt", sagt Schöbel. Die Wertschöpfung bleibe vor Ort, die Menschen teilten sich Lasten und Gewinne. Und die Windräder stünden nicht auf dem Acker des "schlausten Bauern", der sich nicht um Schönheit schere, sondern könnten nach ästhetischen Kriterien aufgestellt werden.
Elegant oder monströs?
Die großen Veränderungen im Landschaftsbild stehen erst an. Damit die Energiewende gelingt, müssen in den kommenden Jahrzehnten noch deutlich mehr Anlagen errichtet werden, als heute schon stehen. Catrin Schmidt, Professorin für Landschaftsarchitektur an der TU Dresden, geht in einer Studie vom August 2014 davon aus, dass die Energiewende bis 2030 fast die Hälfte der deutschen Landschaften prägen wird (eingerechnet sind allerdings Maßnahmen, die auf den ersten Blick nicht an Energieproduktion denken lassen, etwa großflächige Mais- und Rapsfelder, um für Kraftwerke Biomasse zu produzieren, oder Gebiete, in denen zum Ausgleich wieder aufgeforstet wird). Zwar verändere sich unsere Kulturlandschaft seit jeher, so die Wissenschaftlerin, nie zuvor jedoch so rasant und umfassend.
Schon jetzt erweist sich die Suche nach neuen Orten für Windparks als kompliziert. Sie dürfen nicht in Natur- und Wasserschutzgebieten und nicht zu nahe an Siedlungen stehen. Darüber hinaus sind ästhetische Aspekte zu beachten. Das Bundesnaturschutzgesetz verpflichtet die Landschaftsplaner, die Natur und Landschaft so zu pflegen und zu schützen, dass "Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert dauerhaft gesichert sind". Was darunter genau zu verstehen ist, bleibt vage. In den Entwicklungsplänen von Bayern und Baden-Württemberg steht sinngemäß, dass exponierte Stellen, etwa Kämme, nicht bebaut werden sollen. Sören Schöbel hält solch eine Politik für falsch: "Windräder lassen sich nicht verstecken – und wenn, dann erzeugen sie keinen Strom mehr." Man solle besser Konzepte entwickeln, um sie deutlich in der Landschaft zu positionieren. Für die Energiewende bedeute dies: Die Menschen identifizierten sich mit Anlagen, die Wohlstand und Sicherheit repräsentieren.
"Windräder lassen sich nicht verstecken – und wenn, dann erzeugen sie keinen Strom mehr."
Ob wir die künftigen Energielandschaften als schön empfinden, ist eine der großen Fragen in der Landschaftsarchitektur. Gemeinhin gilt unser Schönheitsempfinden als äußerst individuell. Und bekanntermaßen heißt es, dass sich über Ästhetik so endlos wie ergebnislos streiten lässt. Doch diese vermeintliche Wahrheit täuscht. Tatsächlich herrscht, was Schönheit angeht, ein erstaunlicher Konsens.
"Viele Menschen haben sehr ähnliche Vorstellungen von einer schönen Landschaft", sagt Sören Schöbel. Und diese Vorstellungen haben sich historisch herausgebildet. Ein Indiz für diese These: Vor 200 Jahren empfanden die Menschen die Alpen als Grauen erregend. "Das hat sich heute nicht nur bei einzelnen geändert, sondern kollektiv", sagt Schöbel. Zwar würden viele Menschen den steten Wechsel von Wiesen, Äckern und Wäldern als schön ansehen. Doch viel wichtiger als eine Kleinteiligkeit der Landschaft sei, dass die Proportionen gewahrt werden sollten.
Dass Windräder bislang kaum als Fremdkörper wahrgenommen werden, dürfte zwei Gründe haben: Sie erinnern entfernt an Windmühlen, die einst jahrhundertelang bis zur Industrialisierung unsere Landschaften geprägt haben (wie auf alten Landschaftsgemälden zu erkennen ist). Und Windräder werden als Teil der Natur wahrgenommen. Sie stehen vor allem in Regionen, in denen die Menschen ohnehin ständig mit dem Wind leben müssen und ihn seit jeher nutzen – und sei es nur, um Wäsche zu trocknen.
Doch je größer die Windparks werden, desto umstrittener werden sie vermutlich sein. Wer im Internet nach aktuellen Bürgerbegehren sucht, mit denen ein Windpark verhindert werden soll, wird rasch fündig. Ob in Nordbayern oder im Münsterland: Immer geht es auch um Ästhetik, Schönheit, Natürlichkeit und Heimatgefühl. Die Frage, was eigentlich eine schöne Landschaft ist, drängt sich in die Debatten.
"Die Frage klingt einfach, ist aber keineswegs trivial", sagt Stefan Wolf, Professor für Informatik an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Höxter, die nur wenige Kilometer entfernt vom Paderborner Windpark liegt. Wolf will wissen, wie eine Landschaft mit Windrädern beschaffen sein muss, damit wir sie noch als schön wahrnehmen. Letztlich sollen Prinzipien formuliert werden, damit Politiker entscheiden können, wo sich neue Anlagen installieren lassen, wie viele und bis zu welcher Höhe.
Seit Langem versuchen Wissenschaftler, allgemeine Kriterien für eine schöne Landschaft zu finden. Meist werden Testpersonen Farbfotos mit Windrädern vorgelegt, die dann auf einer mehrstufigen Skala als schön oder störend, als elegant oder monströs zu bewerten sind. Nicht die Anlagen sind interessant, sondern deren Platzierung in der Umwelt. Erstaunlicherweise, so haben Untersuchungen gezeigt, ist es nicht einmal entscheidend, ob professionelle Gutachter oder unbedarfte Anwohner ihr Urteil abgeben. "Wenn mindestens 30 Probanden teilnehmen, ergeben sich im Mittel sehr ähnliche Ergebnisse, die weit gehend unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und Bildung sind", sagt Dietwald Gruehn, Professor für Landschaftsökologie und Landschaftsplanung an der TU Dortmund.
Schweifende Blicke
Der Informatiker Stefan Wolf wendet eine Methode an, die aus der Werbeforschung kommt: "Eye-Tracking". Dabei zeichnet eine Infrarotkamera auf, wie sich die Pupillen eines Probanden bewegen, wenn er ein Bild betrachtet. Mit Hilfe der Aufzeichnung lässt sich im Nachhinein erkennen, wohin er geblickt hat. Die Methode wird bisher in der Werbung und von Webdesignern benutzt, um etwa zu erkennen, ob wichtige Informationen auf einer Internetseite ausreichend wahrgenommen oder ob sie besser platziert werden müssen.
Im Sommer 2013 sprach Wolf auf einem Marktplatz seine Testpersonen an. Gut 120 Bürger aus der Region Ostwestfalen setzten sich schließlich in seinem Labor vor einen Computer und schauten sich immer fünf Sekunden lang Fotos von Landschaften an, in denen Windräder standen. Am unteren Rand des Bildschirms zeichnete eine Infrarotkamera das Schweifen ihrer Blicke auf.
Die Fotos zeigten die Landschaften so, wie sie ein Spaziergänger sieht: aus Standhöhe, mit viel Umgebung und bei einem Wetter, bei dem man eben spazieren geht. In manche Bilder waren vorsichtig zusätzliche Windräder hineinmanipuliert, um eine Landschaft zu kreieren, wie sie in 20 Jahren aussehen könnte. Wolf fragte sich, ob alle Menschen eine Landschaft auf mehr oder weniger gleiche Weise anschauen. Mit anderen Worten: Welche "Blickmuster" gibt es? Und lässt sich aus diesen Mustern erkennen, ob wir eine Landschaft als schön oder hässlich empfinden?
Tatsächlich blickten viele Testpersonen vor allem auf die Windkraftanlagen, verharrten dort; ihre Blicke fixierten aber auch Kühe oder landwirtschaftliche Gebäude. Eindeutige Muster ließen sich bislang nicht ausmachen. Vielmehr waren er und seine Mitarbeiter überrascht, wie unterschiedlich Menschen eine Landschaft erfassen. Am Ende des Tests musste jeder Proband die Schönheit der fotografierten Landschaften auf einer Skala bewerten.
Derzeit sucht Stefan Wolf nach Auffälligkeiten zwischen den sprachlich geäußerten Bewertungen und den Ergebnissen des Eye-Tracking. Er will herausfinden, welche Blickmuster mit unserem ästhetischen Empfinden korrelieren. "Wir hoffen, dass einige Muster mit positiven Bewertungen, andere mit negativen verbunden sind", sagt er. Zwar lassen sich am Ende wohl keine eindeutigen Gesetzmäßigkeiten formulieren, aber vermutlich deutliche Tendenzen erkennen.
Es bleibt eine spannende Frage, wie sehr wir uns wohl mit der Zeit an die Energielandschaften gewöhnen. Schon jetzt zeigt sich, dass junge Menschen die neuen Anlagen weniger störend empfinden als ältere. Dies lässt sich nicht nur in Deutschland beobachten, sondern auch in Dänemark, den Niederlanden und den USA.
Diese Beobachtung nährt einen alten Streit: Wird unser Schönheitsempfinden nun vor allem durch Kindheitserfahrungen, kulturelle Einflüsse und Herkunft geprägt? Oder ist es vielmehr universell und tief in unserem Menschsein verankert? Haben Deutsche beispielsweise ein anderes Schönheitsempfinden als Chinesen? Oder finden doch letztlich alle Menschen die gleichen Landschaften schön?
"Fast immer haben Windkrafträder in einer Landschaft einen eindeutig negativen Einfluss, der sich nur schwer vermindern lässt"
Manche landesübergreifenden Forschungsergebnisse sprechen für die These, dass unser Schönheitsempfinden von der Kultur abhängt und von Land zu Land unterschiedlich ausgeprägt ist. Schotten und Niederländer sind sich, jüngeren Umfragen zufolge, jedenfalls nicht einig, ob sie Windparks ästhetisch finden sollen. So wurden Einwohner im Südwesten Schottlands zu Windparks befragt. Mehr als die Hälfte sagte laut einer Studie von 2010, dass sie Windparks als positives Element in der Landschaft sehen. In den Niederlanden vertritt solch eine Meinung nur eine Minderheit, wie Wissenschaftler um Sjerp de Vries 2012 herausfanden. Selbst wenn die Anlagen klein waren und in weiter Ferne standen, fielen sie negativ auf. "Unter fast allen Umständen haben Windkrafträder, die in eine Landschaft gebaut werden, einen eindeutig negativen Einfluss, der sich nur schwer vermindern lässt", schreiben die Forscher in ihrer Studie. Sie raten dazu, die Windräder in bestimmten Gebieten zu konzentrieren und nicht gleichmäßig über die Landschaft zu verteilen.
Von den so unterschiedlichen Umfragen aus den Niederlanden und aus Schottland ist Dietwald Gruehn überrascht. Nach jahrelangen Forschungen ist der Dortmunder Professor für Landschaftsplanung davon überzeugt, dass wir ein universelles Schönheitsempfinden in uns tragen. "Es ist kein Zufall, dass Touristen, egal aus welchem Land, beispielsweise lieber Heidelberg besuchen als Gelsenkirchen", sagt er. Obwohl dies natürlich nur eine Alltagsbeobachtung sei, so lege sie doch nahe, dass manche Städte und eben auch manche Landschaften allgemein als schöner empfunden werden.
So typisch wie Sandstrände
Unser Urteil, ob eine Landschaft nun schön ist, hängt weniger von einem Windkraftrad oder einer Fotovoltaikanlage ab. Entscheidend ist vielmehr, wie auffällig eine solche Anlage ist und in welcher Beziehung sie zu anderen Elementen steht. "Negativ fällt ein Windrad auf, wenn es riesig ist, an exponierter Stelle aufragt und praktisch von überall her sichtbar ist", sagt Dietwald Gruehn. Aber er ist sich sicher: Selbst große Windräder lassen sich unter bestimmten Umständen gut in eine Landschaft einbeziehen. Vor allem in hügeligen, verwinkelten, kleinräumigen Regionen seien die Anlagen nur von wenigen Stellen aus sichtbar. Und noch immer existierten in Deutschland viele Orte, wo aus landschaftsästhetischer Sicht wenig gegen neue Anlagen spreche. Wie sehr Kindheit, Kultur, Gewöhnung und vielleicht die Gene unser Schönheitsempfinden prägen, bleibt vorerst unklar.
Als gut belegt gilt jedoch, wie wichtig die Natur für die körperliche und seelische Gesundheit ist. "Naturerleben verbessert in jeder Hinsicht unsere Gesundheit", berichtete 2010 die Soziologin Jolanda Maas von der Freien Universität Amsterdam. Zusammen mit Kollegen hatte sie Daten über Gesundheit und Wohnumfeld von 350 000 Niederländern analysiert. Je grüner die Nachbarschaft, desto seltener litten Menschen an Diabetes, Depression, Angststörungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Weitere Studien legen nahe, dass schon ein Spaziergang durchs Grüne unsere Konzentration fördert und auf Kinder mit ADHS beruhigend wirkt.
Inwiefern Windräder unsere Entspannung beim Spazierengehen stören, ist noch kaum erforscht. Eine schwedische Studie, die 2008 unter Leitung der Landschaftsarchitektin Eja Pedersen von der Universität Lund publiziert wurde, weist auf einen Zusammenhang von Windkraft und Gereiztheit. Wenn Windräder aus einer Landschaft hervorstechen, werden sie eher als hässliche Fremdkörper gesehen, vor allem wenn dann noch die Rotoren im Wind lärmen. Die Studie zeigte aber zugleich: Wenn die Windräder sich besser in die Umgebung einfügen, wird der Lärm als weniger störend empfunden.
Wohl kaum irgendwo in Deutschland sind Windkrafträder so auffällig wie an der Nordseeküste. Selbst Windparks, die weit auf dem Meer stehen, ziehen die Blicke von Strandwanderern auf sich. Besonders wenn das Wetter klar und der Tag licht ist, lassen sich größere Anlagen mit 100 Turbinen noch aus 35 Kilometer erkennen.
Eine überraschende Umfrage präsentierte Michael Vogel, Professor am Institut für Maritimen Tourismus der Hochschule Bremerhaven, bereits im Sommer 2005. Mehr als 800 Menschen hatten daran teilgenommen, Einwohner, Pendler, Touristen. Trotz gewisser Unterschiede in Detailfragen waren sie sich mehrheitlich einig, dass Windkrafträder "charakteristisch" oder sogar "sehr charakteristisch" für die Nordsee sind – nicht weniger als weitläufige Sandstrände. Über wuchtige Hotelburgen hingegen ärgerte sich eine Mehrheit noch nach Jahrzehnten.
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