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Coronakrise: Wie das Corona-Virus den internationalen Artenschutz zurückwirft

Vom Flachlandgorilla bis zum Bartgeier sind derzeit wegen Virusgefahr zahllose Schutzprojekte gestoppt. Noch schwerer wiegt ein Problem, das im Hintergrund lauert: Es droht eine verheerende Finanzkrise im Naturschutz.
Tourismus ist der wesentliche Finanzier des Umweltschutzes in manchen Regionen

Regelmäßiges Händewaschen, Abstand halten und Schutzmasken tragen: Der hier zu Lande neue Hygiene-Dreiklang im Umgang mit der Corona-Pandemie ist für Naturschützer, die sich um den Erhalt der vom Aussterben bedrohten Menschenaffen kümmern, schon lange Routine. Wie zum Beispiel in Dzanga-Sangha, einem großflächigen Regenwaldgebiet im Süden der Zentralafrikanischen Republik. In der von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärten Region leben noch etliche andernorts ausgerottete Tierarten wie Waldelefanten und Westliche Flachlandgorillas.

Seit vielen Jahren betreut mit dem World Wide Fund For Nature (WWF) eine der weltweit größten Naturschutzorganisationen das Gebiet. Hier, wie an zahlreichen anderen Orten des Globus, gefährdet die Corona-Pandemie die Fortsetzung der Naturschutzarbeit. Forschungs- und Schutzmaßnahmen mussten auf ein Minimum heruntergefahren werden, und der zur Finanzierung wichtige Ökotourismus fällt komplett aus. Das Gorillaprojekt ist jedoch aus einem weiteren Grund stark betroffen: Für die Menschenaffen besteht die Gefahr einer direkten Ansteckung mit dem Virus. »Dadurch, dass Menschenaffen uns auch genetisch sehr nahe stehen, ist die Gefahr einer gegenseitigen Übertragung von Viren besonders groß«, sagt Ilka Herbinger. Die Biologin koordiniert für den WWF Deutschland die Schutzprojekte für die Flachlandgorillas im Kongo-Becken. Herbinger erinnert an den Ausbruch von HIV, das als Affen-Immunschwäche oder Simiane Immundefizienz-Virus SIV ursprünglich von Primaten ausging und in veränderter Form beim Menschen sehr viel virulenter seinen verheerenden Siegeszug um die Welt antrat.

Neues Virus, altes Problem

Schon vor Corona waren Erreger eine Bedrohung, die zwischen Mensch und Tier übertragbar sind, so genannte Zoonosen. Daher gehören Schutzmaßnahmen wie das Tragen von Gesichtsmasken, das Desinfizieren von Gummistiefeln und gründliches Händewaschen vor dem Besuch im Wald seit Längerem zur Naturschutzarbeit dazu. Wie bedrohlich ein Virus für die Existenz einer Art sein kann, zeigt Ebola. Experten schätzen, dass seit Beginn der 2000er Jahre fast ein Drittel aller Westlichen Flachlandgorillas dem Ebolavirus zum Opfer gefallen sind.

Wie tödlich ist das Coronavirus? Was ist über die Fälle in Deutschland bekannt? Wie kann ich mich vor Sars-CoV-2 schützen? Diese Fragen und mehr beantworten wir in unseren FAQ. Mehr zum Thema lesen Sie auf unserer Schwerpunktseite »Ein neues Coronavirus verbreitet sich weltweit«. Montags bis freitags bieten wir zudem ein Corona-Update als Podcast.

»Übertragbare Krankheiten gehören neben Lebensraumzerstörung und Wilderei zu den wichtigsten Gefährdungsursachen für die Gorillas«, sagt Herbinger. »Zoonosen sind für uns deshalb kein neues Thema, mit Corona haben wir nur ein neues Virus.«

Normalerweise gilt Abstand zwischen Wildtieren und Menschen als das beste Mittel, um eine Ausbreitung von Zoonosen auf Menschen zu verhindern. Doch zerstört der Mensch in großem Stil Lebensräume, rodet Regenwälder und dringt in die Natur vor, wird der Kontakt zwangsläufig enger. Nach Meinung führender Wissenschaftler dürfte auch das neuartige Corona-Virus auf den Menschen übergesprungen sein, wahrscheinlich über Fledermäuse als Zwischenwirte.

Touristen auf der Suche nach Flachlandgorillas | Im Nationalpark Kahuzi Biega in der Demokratischen Republik Kongo sucht eine Reisegruppe nach Östlichen Flachlandgorillas. Dass die Einnahmen aus dem Tourismus den Einheimischen zugutekommen, stärkt deren Bewusstsein für Umwelt- und Naturschutz – steigert aber auch die Abhängigkeit.

Im Falle der Gorillas ist die Nähe zum Menschen allerdings zum Schutz der Tiere ausdrücklich erwünscht. Seit Langem verfolgen Naturschützer hier das Konzept der »Habituierung«. Die Gorillas sollen an die Präsenz von Menschen gewöhnt werden. »Im besten Fall bedeutet die Gewöhnung, dass die Gorillas die Menschen völlig ignorieren«, sagt Herbinger. Als stille Beobachter vor Ort können Wissenschaftler leichter Verhaltensforschung betreiben, den Affen Schutz vor Wilderei und illegaler Lebensraumzerstörung bieten und nicht zuletzt der lokalen Bevölkerung eine Einnahmequelle verschaffen. Denn wenn der Naturschutz für die Einheimischen mit Wohlstand verknüpft ist, kommt dies auch den Affen zugute. Allein in Dzanga-Sangha sind 80 Angehörige indigener Gruppen als »Tracker« angestellt, die die Gorillas vom Aufwachen in ihren Schlafnestern am Morgen bis zum Schlafengehen am Abend begleiten. Insgesamt rund 250&nbp;Menschen arbeiten allein in diesem Schutzprojekt, der Großteil stammt aus der Region. »In Projekten, wo Forschung und Ökotourismus stattfindet, können die Populationen durch eine positive menschliche Präsenz stabil gehalten werden«, sagt Herbinger. Auch die Internationale Naturschutzunion IUCN kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass diese Form des Wildtiermanagements Erfolg versprechend für den Artenschutz ist.

Mit der Krise fallen wichtige Einnahmequellen weg

Der positive Effekt gilt allerdings nur, wenn Risiken wie die von Krankheitsübertragungen minimiert werden. Deshalb wurden in den afrikanischen WWF-Projektgebieten mit Bekanntwerden der Corona-Gefahr die Vorsichtsmaßnahmen verschärft, wie Herbinger erläutert: Der Mindestabstand zu den Tieren wurde von sieben auf bis zu 20 Meter angehoben, und die Zahl der Menschen, die in die Nähe der Wildtiere gelassen werden, wurde reduziert. Schon früher haben Projektmitarbeiter den Gesundheitszustand jedes einzelnen Touristen überprüft – Impfpässe wurden kontrolliert, und wer leiseste Anzeichen für einen Schnupfen hatte, durfte nicht in den Wald. Inzwischen jedoch ist der Individualtourismus komplett gestoppt. Die mittlerweile weltweit geltenden Reisebeschränkungen dürften dafür sorgen, dass die so wichtigen Gelder, die der Tourismus dem Artenschutz einbringt, über Monate hinweg ausbleiben werden.

Ilka Herbinger | Die Biologin vom WWF Deutschland koordiniert die Schutzprojekte für die Flachlandgorillas im Kongo-Becken.

Ebenso nachvollziehbar, aber nicht minder problematisch wäre es, wenn die afrikanischen Staaten Finanzmittel aus den Naturschutzbudgets in die medizinische Versorgung oder andere Bereiche umschichten. Das wäre bei einer weiteren Ausbreitung der Pandemie zu erwarten.

Wie dem WWF ergeht es vielen international tätigen Organisationen. »Wir mussten alle Forschungs- und Hilfsprojekte in Afrika, Asien und Südamerika aussetzen«, sagt etwa William Pitt, der Vizedirektor des Instituts für Biodiversitätsforschung der Smithsonian Institution, eine der renommiertesten US-Forschungs- und Naturschutzeinrichtungen. Besonders gravierend sei die Lage bei einem Projekt für das Spitzmaulnashorn in Kenia. Ein Forschungsprojekt über die Fortpflanzung der fast ausgestorbenen Art habe wenige Monate vor dem Ende auf Eis gelegt werden müssen. Dabei wäre es dringend nötig, das Nashorn bei der Reproduktion zu unterstützen, angesichts eines Weltbestands von nur noch rund 5500 Tieren. Auch wie man die chinesischen Großen Pandas – von ihnen gibt es nur noch weniger als 2000 Tiere – vor dem Aussterben schützt, können Wissenschaftler derzeit nicht weiter studieren.

Natürlich gilt die Hauptsorge von Managern wie Pitt oder Herbinger zunächst den Menschen. Viele Länder Afrikas haben nur ein rudimentäres Gesundheitssystem, entsprechend schlimme Folgen könnte die Pandemie für die Gesundheit der Bevölkerung haben. Hinzu kommt, das Ostafrika derzeit mit einer schweren Heuschreckenplage kämpft, die Ernten vernichtet. Auf lange Sicht aber fürchten sie auch, dass der Wegfall der Tourismuseinnahmen ganze Wertschöpfungsketten in Gefahr bringen könnte, für die eigene Arbeit, und nicht zuletzt für die Menschen vor Ort: Touristen besuchen nicht nur Gorillas, sie übernachten, essen und kaufen das Kunsthandwerk der indigenen Bevölkerung.

»Alles, was ein Horn hat, ist heute stärker gefährdet, als gestern«Matt Brown

Dass die Coronakrise einzelne Schutzgebiete, aber auch ganze Volkswirtschaften in finanzielle Turbulenzen stürzen könnte, sieht ebenfalls Matt Brown als größte unmittelbare Gefahr für den Naturschutz. »Rund die Hälfte der Aufwendungen für Schutzprojekte, für Ranger und die Sicherheitsleute werden aus Tourismuseinnahmen bestritten«, sagt der Afrika-Direktor der in mehr als 30 Ländern aktiven US-Umweltorganisation The Nature Conservancy. Zudem werde die absehbare globale Rezession Afrika besonders hart treffen. »Die Einkommensverluste üben einen enormen Druck auf die Gesellschaft aus, vor allem in Volkswirtschaften mit niedrigem Einkommen«, sagt der Naturschützer. Die Not könnte viele Menschen in die Wilderei treiben. »Offen gesagt: Alles, was ein Horn hat, ist heute gefährdeter als gestern.«

Matt Brown | Matt Brown ist Afrika-Direktor von The Nature Conservancy. »Die Einkommensverluste üben einen großen Druck auf die Gesellschaft aus«, sagt er.

Denn zum einen bedeutet das fehlende Geld aus dem Tourismus, dass sich die Reservate schlechter gegen Wilderei verteidigen können. Zum anderen erinnern sich verzweifelte Menschen, denen Armut und Arbeitslosigkeit droht, vielleicht an den Schatz wertvoller Wildtiere vor ihrer Haustür, erläutert Brown. Sie würden die Tiere töten, entweder um sie zu essen oder um damit zu handeln. Einen Ausweg sieht er auf lange Sicht darin, die Abhängigkeit vom Tourismus zu verringern. Eine alternative, weniger anfällige Finanzierungsquelle wären etwa internationale Kompensationszahlungen für den Verbrauch von Kohlendioxid.

Ebenso Projekte in Europa betroffen

Auch in Europa wirft die Pandemie Artenschutzprojekte zurück. So stockt das Programm der Vulture Conservation Foundation (VCF) zur Stabilisierung der Bartgeier-Population in Alpen und Pyrenäen, weil der grenzüberschreitende Transport von Jungvögeln aus den Zuchtprogrammen nicht stattfinden kann. Zudem ist die Organisation selbst an wichtiger Stelle von einem Corona-Fall betroffen. »Die für diesen Sommer geplanten Freilassungen bereiten uns starke Kopfschmerzen«, sagt VCF-Vizepräsident Norbert Schäffer. Auswilderungsprojekte, die in wenigen Monaten in der Schweiz, in Österreich und in Spanien geplant waren, würden, wenn überhaupt, in abgespeckter Form stattfinden. An der für das kommende Jahr geplanten Wiedereinbürgerung des größten europäischen Greifvogels auch in Deutschland werde aber festgehalten, versichert Schäffer, der langfristig mit einem Comeback für den Artenschutz rechnet. »Klimaschutz und der Schutz der Artenvielfalt sind und bleiben absolut fundamentale Herausforderungen für die Menschheit. Diese Themen werden zurückkommen.«

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