Krater-Geologie: Wie der Krieg die Erde formt
Der Erste Weltkrieg hat Europa verändert – auch geologisch. Der berüchtigte Grabenkrieg gestaltete Landschaften in einer Weise um wie kein Krieg zuvor, und die Folgen sind noch immer auf den früheren Schlachtfeldern zu erkennen. Nicht nur die Spuren der Gräben selbst sind bis heute an vielen Stellen der alten Front sichtbar, geblieben sind vor allem auch Folgen von Millionen Explosivgeschossen, die in den großen Schlachten wie bei Verdun oder an der Somme monatelang rund um die Verteidigungsanlagen einschlugen.
Die bis zu eine Tonne schweren Granaten zerstören nicht nur Häuser und Vegetation, sie zerwühlen und vermischen auch die Bodenschichten. Wo der Felsuntergrund nahe an der Oberfläche liegt, reißen die Explosionen Gesteinstrümmer heraus und zerbrechen den Fels bis in größere Tiefe. Es sind vor allem diese Krater, die selbst 100 Jahre später die Landschaften entlang der damaligen Schlachtfelder prägen.
Eine typische Granate aus dem Ersten Weltkrieg riss je nach Bodentyp einen etwa 1,5 Meter tiefen Krater. Die größten Sprenglöcher allerdings stammen nicht von Geschossen, sondern von Minen: Dabei gruben Pionierregimenter hunderte Meter lange Tunnel unter die feindlichen Grabenanlagen und legten dort Kammern mit mehreren Dutzend Tonnen Sprengstoff an, um eine Lücke in die feindliche Front zu reißen. Bei einer solchen Sprengung zum Auftakt der Schlacht von Messines im Juni 1917 starben vermutlich etwa 10 000 deutsche Soldaten. Derartige Krater erreichen eine Tiefe von zehn Metern und mehr.
Wie drastisch die Schlachten des Ersten Weltkriegs die Landschaft veränderten, zeigt das damals heftig umkämpfte Fort Douaumont bei Verdun. Allein auf diese Verteidigungsanlage gingen zwischen Februar und Oktober 1916 nach modernen Schätzungen etwa 400 000 Granaten nieder. Im Jahr 2006 untersuchten die beiden Geologen Joseph Hupy und Randall Schaetzle das alte Schlachtfeld, um die Bodenveränderungen durch das intensive Bombardement zu dokumentieren.[1]
Die US-Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die großflächigen Bodenveränderungen durch schweren Beschuss ein eigenständiges und in modernen Zeiten sehr verbreitetes Phänomen sei, das erhebliche Auswirkungen auf die Evolution von Böden hat. Sie nennen es Bombturbation.
Eine quasi jungfräuliche Bombturbation-Oberfläche ist sehr uneben und von einer Mischung aus Bodenschutt, zertrümmertem Grundgestein und zerfetzter Vegetation bedeckt, die von den Explosionen aus den Kratern herausgeschleudert wurde. Diese Art von Untergrund unterscheidet sich drastisch vom Zustand vor der Schlacht. Die verschiedenen Sedimentschichten sind gut durchmischt und enthalten oft einen beträchtlichen Anteil an Gesteinstrümmern. Das veränderte Relief sorgt dafür, dass Wasser schwerer abfließt und sich außerdem organische Materie in den Kratersenken ansammelt. Gleichzeitig kann Wasser durch neue Risse tief in das Grundgestein eindringen und beginnen, es zu verwittern. All diese Vorgänge führen dazu, dass auf alten Schlachtfeldern völlig andere Bodentypen entstehen, als es ohne die Schlacht der Fall gewesen wäre.
Wenn der Grundwasserspiegel dicht unter der Erdoberfläche liegt, füllen sich die Krater mit Wasser, so dass sich eine Schicht aus sehr feinen Sedimenten ablagert oder sich gar lokal Moorboden bildet. Bei niedrigem Grundwasserspiegel dagegen leiten die Krater Regenwasser tief in den Untergrund und das Gestein hinein, so dass der Fels schneller verwittert und über die Zeit mehr und tiefere Böden bildet.
Die Zerstörungskraft der Bomben hat seither zugenommen, und die schiere Masse der eingesetzten Sprengkörper der späteren Kriege übertraf die des Ersten Weltkriegs bei Weitem, doch wegen der über Jahre hinweg unbeweglichen Fronten und der eng begrenzten Schlachtfelder sind die Kraterlandschaften des Ersten Weltkriegs bis heute die am stärksten bombardierten Flächen der Geschichte. Die Spuren des ersten modernen Kriegs werden wahrscheinlich sogar die Menschheit überdauern und über geologische Zeiträume hinweg als kuriose Marke in der Landschaft sichtbar sein.
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