Mondentstehung: Wie kam der Mond zu seiner Zusammensetzung?
Mittlerweile gilt es als gesichert, dass der Erdmond aus einer heftigen Kollision der Urerde mit einem Himmelskörper von der Größe des Mars in der Frühzeit des Sonnensystems hervorging. Allerdings konnte diese Theorie bislang nicht die chemischen Unterschiede von Mond und Erde erklären. Ein Forscherteam um Robin M. Canup vom Southwest Research Institute in Boulder, Colorado, stellte nun eine Erweiterung des Standardszenarios vor. Die Wissenschaftler befassten sich mit den Vorgängen, die sich unmittelbar nach der großen Kollision ereigneten, in deren Folge sich der Mond aus den Trümmern bildete.
Im Allgemeinen ähnelt die chemische Gesamtzusammensetzung des Monds sehr stark derjenigen der Gesteine des Erdmantels. Sieht man jedoch genauer hin, so finden sich in den untersuchten Gesteinsproben unseres Trabanten markante Abweichungen zu den irdischen Gesteinen: Flüchtige Elemente wie Antimon, Wismut, Kadmium, Brom und Thallium erreichen nur etwa ein Hundertstel der Gehalte im Erdmantel. Dagegen weisen hitzebeständige (refraktäre) Elemente wie Strontium, Barium, Beryllium, Europium oder Magnesium praktisch exakt die gleichen Konzentrationen wie im Erdmantel auf. Mäßig flüchtige Elemente wie Natrium, Kalium, Rubidium und Zäsium haben nur geringfügig niedrigere Gehalte. Diese Unterschiede zur Erde schlüssig zu erklären, war bislang schwierig, und das Problem war weit gehend ungelöst.
Beim Einschlag des marsgroßen Himmelskörpers auf der Urerde verdampfte ein Großteil der flüchtigen und mäßig flüchtigen Elemente in den herausgeworfenen Gesteinsmassen sofort, da durch die Kollision enorme Energiemengen freigesetzt wurden. Die verdampften Stoffe entwichen aber nicht auf Nimmerwiedersehen ins All. Die Schwerkraft der Erde war recht groß und konnte sie im unmittelbaren Umfeld festhalten. Somit würde man erwarten, dass die Gehalte von flüchtigen Stoffen bei Erde und Mond identisch sein müssten; das ist aber nicht der Fall.
Das neue Modell von Canup und ihren Koautoren kann nun diese Unterschiede erklären: Die Forscher gehen davon aus, dass die Erde nach der Kollision von einer Scheibe aus den Auswurfmassen umgeben war. Die Scheibe erstreckte sich von ein bis fünf Erdradien um den Planeten (also von etwa 7000 bis 32 000 Kilometern). Sie bestand zu 80 Prozent aus geschmolzenem Gestein und zu 20 Prozent aus Metalldämpfen. Nach den gängigen Theorien kühlte das Material in den Außenbereichen der Scheibe rasch ab, so dass der Dampf in Form von Schmelzpartikeln auskondensierte. Jenseits von 2,9 Erdradien, im Fall der Erde jenseits der Roche-Grenze, konnten sich diese Schmelzmassen zu größeren Objekten zusammenballen, welche die Forscher als "Möndchen" (englisch: moonlets) bezeichnen. Die Roche-Grenze gibt an, wie sehr sich ein Himmelskörper der Erde oder einem anderen Planeten annähern kann, ohne von Gezeitenkräften auseinandergerissen zu werden.
Die Computersimulation von Canup und ihren Mitstreitern zeigt, dass sich wenige Monate nach dem Einschlag rund 40 Prozent der heutigen Masse des Monds aus dem relativ kalten Material der äußeren Scheibe außerhalb der Roche-Grenze zusammengeballt haben. Dieses an flüchtigen Stoffen reiche Material befindet sich nach Ansicht der Forscher noch heute im tiefen Inneren des Monds. Innerhalb der Roche-Grenze konnten sich keine Möndchen bilden. Reibungseffekte in diesem Teil der Scheibe sorgten dafür, dass der Metalldampf aus der Kollision rund 100 Jahre lang bestehen blieb.
Aus der heißen inneren Scheibe wanderte aber immer wieder Material über die Roche-Grenze hinaus und bildete dort eine zweite Generation von Möndchen. Sie waren im Gegensatz zur ersten Möndchen-Generation jedoch arm an flüchtigen Stoffen. In der Anfangszeit wurden auch diese Objekte vom entstehenden Erdtrabanten aufgesammelt. Sie machen heute rund 60 Prozent seiner Masse aus. Das Material befindet sich immer noch auf und unterhalb der Oberfläche, da der Mond nie vollständig durch Konvektionsströmungen durchmischt wurde. Auf Grund der Gezeitenwechselwirkungen mit der Erde und dem Material der Scheibe entfernte sich der Mond zunehmend von der Erde. Schließlich wurde er vom Nachschub abgeschnitten, so dass sein Wachstum zum Stillstand kam. Die heißen Metalldämpfe kondensieren nun auch im inneren Teil der Scheibe, und das dortige Material fällt im weiteren Verlauf auf die Erde zurück.
Mit der zweiphasigen Mondentstehung aus Material unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung lässt sich die heutige Zusammensetzung des Erdtrabanten ohne größere Schwierigkeiten erklären: Man muss keine exotischen Element-Fraktionierungs-Prozesse unter besonderen physikalischen Bedingungen postulieren. Nun bleibt abzuwarten, ob sich diese zweiphasige Entstehungsgeschichte des Monds noch weiter durch Messungen und Analysen untermauern lässt.
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