Landschaftsarchäologie: Wie die Römer den Aufschwung nach Germanien brachten
Seit 15 Jahren haben sich Archäologen der Universität Frankfurt am Main einem ambitionierten Projekt verschrieben: Anstatt einzelne Stätten auszugraben, richten sie ihren Blick auf die Siedlungsentwicklung einer ganzen Region. Im Hessischen Ried liefen die Forscher über rund 450 Quadratkilometer Fläche und werteten etwa 200 römerzeitliche Fundstellen aus fünf Jahrhunderten aus. Überraschendes Ergebnis der Langzeitstudie: Schon im 1. Jahrhundert n. Chr., bald nach Ankunft der römischen Invasoren, lebten Germanen und Römer friedlich miteinander. Zudem lassen auffallend viele Truppenlager aus dieser Zeit darauf schließen, dass das Ried früher als bisher angenommen von den Römern flächendeckend beherrscht wurde.
Die neuen Erkenntnisse der Frankfurter Wissenschaftler sind das Ergebnis einer systematischen Begehung weitläufiger Landstriche. Dabei wurden neue Fundstellen kartiert und vor allem Keramikscherben aufgelesen. Wie jetzt die Auswertung ergab, war das Gebiet im heutigen Kreis Groß-Gerau kaum besiedelt, als die Römer zwischen 17 und 13 v. Chr. die Garnison Mogontiacum – das spätere Mainz – gründeten. Innerhalb weniger Monate ließen sich dort 20 000 Menschen nieder, größtenteils römische Legionäre, die aus dem Umland versorgt werden mussten. Dieser Einfluss der Metropole auf die Region hielt die gesamte römische Kaiserzeit an.
Die Römer hatten das Ried zunächst militärisch erschlossen. Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. wurden dauerhafte Lager errichtet, von denen bislang 13 bekannt sind. In ihrer Nähe entstanden Dörfer mit den Familien der Soldaten. Vereinzelte Ausgrabungen förderten zudem Überreste germanischer Siedlungen zu Tage. "Unsere Forschungen haben gezeigt, dass im 1. Jahrhundert auch Germanen im Ried siedelten – und zwar sehr viel mehr als bisher angenommen", erklärt Thomas Maurer vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Frankfurt. "Welchem genauen Stamm sie angehörten, wissen wir noch nicht. Sicher ist aber, dass zur gleichen Zeit römisches Militär in der Region stationiert war", so der Archäologe weiter. Auf Grund der zeitgleich zu datierenden Funde geht Maurer nun von einer frühen Koexistenz beider Bevölkerungsgruppen aus.
Wie die Archäologen ebenfalls zeigen konnten, entstanden nach Abzug vieler römischer Truppen zu Beginn des 2. Jahrhunderts zahlreiche Gutshöfe in der Region – eine Blütezeit, die einfallende Germanen um 260 n. Chr. beendeten. Einige Jahrzehnte später siedelten dann vermehrt Alamannen im Ried. Die Nähe zur Metropole Mogontiacum erwies sich erneut als entscheidend für einen Wiederaufschwung im 4. Jahrhundert. Doch danach schwand der römische Einfluss. Die Alamannen übernahmen die Herrschaft im Ried, das um 500 n. Chr. schließlich im Reich der Merowinger aufging.
Das Langzeitprojekt der Frankfurter Archäologen ist für Deutschland nahezu einzigartig. Großflächige Surveys unternehmen Archäologen zwar schon lange, aber vor allem im mediterranen Raum. Abgesehen vom rheinischen Kohleabbaugebiet ist das Ried nun die am intensivsten erforschte Region im "römischen Deutschland".
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