Raumfahrt: Wie die USA das Völkerrecht aushebeln könnten
Der Vertragstext klingt harmlos, belanglos, fast wie eine Selbstverständlichkeit. Man werde, heißt es darin, fremden Astronauten beistehen, falls sie eines Tages tief im All in Gefahr geraten sollten. Man verpflichte sich zu Transparenz bei den eigenen Raumfahrtplänen. Man wolle wissenschaftliche Ergebnisse zeitnah veröffentlichen. Und all das – natürlich – zum Nutzen der gesamten Menschheit.
»Artemis Accords« heißt das Vertragswerk, das die US-Raumfahrtbehörde NASA Mitte Oktober vorgelegt hat. Es soll festschreiben, an welche Regeln sich internationale Partner halten müssen, wenn sie beim amerikanischen Artemis-Programm mitmischen wollen – dem geplanten Flug von Menschen zum Mond, zum Mars und darüber hinaus. Sieben Nationen, darunter Italien und Großbritannien, haben bereits unterschrieben. Deutschland ist nicht dabei. Noch nicht.
Wer nicht zustimme, heißt es bei der NASA, dürfe auch nicht mitspielen, wobei die Unterschrift ohnehin nur eine Formsache sei. So zumindest sieht es NASA-Chef Jim Bridenstine. »Jede verantwortungsbewusste Raumfahrtnation sollte in der Lage sein, sich an die Prinzipien der Accords zu halten«, sagte Bridenstine Mitte Oktober beim International Astronautical Congress (IAC), der weltweit wichtigsten Raumfahrtkonferenz.
Ein Vertrag, sie alle zu knechten?
Wer einen genaueren Blick auf das Artemis-Abkommen wirft, bekommt allerdings einen anderen Eindruck. In den Tiefen der 13 Paragrafen geht es vor allem um die Nutzung und Ausnutzung des Mondes, um amerikanische Dominanz und darum, das Völkerrecht zu unterwandern.
»Die Artemis Accords sind der Versuch der Amerikaner, sich auf leisen Sohlen die Legitimation einzuholen, um vom Weltraumvertrag abweichen zu können«, sagt Stephan Hobe, Direktor des Instituts für Luftrecht, Weltraumrecht und Cyberrecht an der Universität zu Köln. Genau jener Weltraumvertrag gilt bislang als rechtliche Grundlage für die Erkundung und Nutzung des Alls. 110 Staaten haben das völkerrechtliche Abkommen aus dem Jahr 1967 ratifiziert. Es legt unter anderem fest, dass Staaten »uneingeschränkten Zugang zu allen Gebieten auf Himmelskörpern« haben müssen. Zudem darf der Mond keiner, wie es heißt, »nationalen Aneignung durch Beanspruchung der Hoheitsgewalt« unterliegen.
In den Artemis Accords klingt das anders – und zwar ganz hinten, in Abschnitt Nr. 11. Es ist der mit Abstand längste Paragraf. Fast scheint es, als sei alles andere – die Transparenz, die Wissenschaft, die Rettung der Astronauten – nur als schmückendes Beiwerk verfasst worden. Unter dem unverfänglichen Titel »Konfliktentschärfung bei Weltraumaktivitäten« heißt es dort: Die Vertragsstaaten beabsichtigen, Sicherheitszonen einzurichten, zum Beispiel rund um eine Mondbasis oder rund um Orte, an denen Bergbau betrieben wird. So soll sichergestellt werden, dass sich die Staaten nicht in die Quere kommen.
»Unternehmen und Länder sollten in der Lage sein, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen, sie sollten Weltraumressourcen nutzen und gewinnen können«, sagte Bridenstine beim IAC. Genau hier beginnen aber die Probleme. »Sicherheitszonen sind genau bestimmte Gebiete, und die Aneignung solcher Gebiete ist durch den Weltraumvertrag verboten«, sagt Stephan Hobe. Auch Weltraumrechtler Frans von der Dunk von der University of Nebraska stellt beim IAC noch einmal klar: »Staaten dürfen Flaggen im Mondstaub aufstellen, aber sie dürfen keine Gebiete annektieren, und sie können diese auch nicht für künftige Siedlungen reservieren.«
Gewohnheitsrecht, das das bestehende Recht aushebelt
Also ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht? Nicht unbedingt: »Ziel dieses Abkommens ist es, durch eine Reihe von Grundsätzen, Richtlinien und Praktiken eine gemeinsame Vision zu erschaffen«, heißt es in den Artemis Accords. Die Verträge stellen somit nicht den Anspruch, neues Recht zu begründen. Streng genommen können sie demnach auch nicht gegen das Völkerrecht verstoßen. »Wir haben international verbindliches Recht, und es gibt ein paar Staaten, denen passt die Auslegung dieses Rechts nicht. Also schaffen sie Richtlinien und hoffen, dass sich daraus über kurz oder lang ein Gewohnheitsrecht entwickelt, das das bestehende Weltraumrecht aufweicht«, sagt Stephan Hobe. »Das ist richtig clever gemacht.«
Auch Frans von der Dunk sieht die Artemis Accords eher als politisches denn als rechtliches Problem, wie er in einer Analyse für die University of Auckland schreibt: Die Unterschrift möglichst vieler Staaten – und sei es nur, weil sie bei Artemis mitmachen wollten – solle zeigen, dass die US-amerikanische Auslegung des Weltraumvertrags im Hinblick auf die Ausbeutung des Mondes doch richtig sei.
Hobe stört zudem, wie die Verträge zu Stande gekommen sind: nicht in einem internationalen Gremium, nicht durch breite Diskussion, sondern diktiert von den USA. »Den Amerikanern geht es stets darum, die Regeln des Spiels vorzugeben. Erst dann dürfen möglichst viele andere Staaten kooperieren«, sagt der Völkerrechtler. »Und es geht ihnen darum, schnell vollendete Tatsachen zu schaffen.« Es ist das alte Spiel: Je mehr Staaten einen Vertrag unterschreiben, desto schwerer lässt sich das Rad zurückdrehen. »Umso wichtiger wäre es, dass Deutschland ein Ausrufezeichen setzt und sagt: Wir stimmen diesen Dingen nicht zu. Und wir sind der Auffassung, dass alle, die dabei mitmachen, an der Aushöhlung des Weltraumrechts arbeiten«, sagt Hobe.
Nach einem klaren Zeichen aus Deutschland sieht es allerdings nicht aus. Weder Vertreter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) noch des Bundeswirtschaftsministeriums wollten sich auf Nachfrage von »Spektrum.de« zu den Artemis Accords äußern. Aus dem Ministerium heißt es nur schriftlich: Man stehe mit den Amerikanern »in engem Austausch«, rechtliche Fragen würden »zu gegebener Zeit eine Rolle spielen«. Und: »Grundsätzlich ist die Bundesregierung an einer Weiterentwicklung des geltenden völkerrechtlichen Rechtsrahmens auf multilateraler Ebene interessiert.« Wohlgewählte Worte.
Kritik aus Russland und China
Russland wird da deutlicher. Das Artemis-Programm sei »zu US-zentriert«, sagte der russische Raumfahrtchef Dmitri Rogosin beim IAC. Daher werde sich sein Land nicht groß an den amerikanischen Mondplänen beteiligen. Bereits im Juli hatte sich Rogosin, der für seine polternde Art bekannt ist, im Boulevardblatt »Komsomolskaja Prawda« über Artemis beklagt: »Es geht nur um Amerika, alle anderen sollen helfen und zahlen. Ganz ehrlich, an so etwas sind wir nicht interessiert.« Ein Tweet, in dem Rogosin die Artemis Accords sogar mit einer Invasion verglichen hatte, wurde inzwischen gelöscht.
Statt mit den USA will Russland nun mit einem eigenen Raumschiff zum Mond fliegen, hieß es auf dem IAC. Dort will das Land eine wissenschaftliche Basis errichten – gemeinsam mit den Chinesen. Auch die sehen das Artemis-Abkommen kritisch: Verhaltensregeln fürs All sollten von UNO-Gremien festgelegt werden, nicht von einem einzelnen Land, forderte unlängst ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Mitmachen dürfte die Volksrepublik bei den Accords aber ohnehin nicht: Der US-Kongress hat Kooperationen mit China in der Raumfahrt untersagt.
Europa hingegen ist ein gern gesehener Partner für Amerikas Mondpläne, was sich diese Woche wieder zeigte: Da bekräftigte die Europäische Raumfahrtorganisation ESA ihre Absicht, zwei Module für die künftige Raumstation »Lunar Gateway« beizusteuern. Sie soll einst als ISS-Nachfolgerin in der Nähe des Mondes ihre Bahnen ziehen, aber wohl erst Ende der 2020er Jahre – weit nach der derzeit von der Trump-Administration anvisierten Mondlandung im Jahr 2024.
Bei den Artemis Accords hingegen, die allenfalls indirekt mit Lunar Gateway zusammenhängen, sind bisher bloß drei europäische Staaten mit dabei. Da ist zum einen Luxemburg, das seit Langem den Abbau von Ressourcen im All vorantreibt und sogar Lizenzen vergibt – völkerrechtswidrig, wie Stephan Hobe kritisiert. Da ist Italien, das neben seiner Mitgliedschaft bei der ESA schon immer einseitige Abkommen mit der NASA für Flüge italienischer Astronauten abgeschlossen hat. Und da ist das Vereinigte Königreich, das einen Schlingerkurs in der astronautischen Raumfahrt fährt: 2012 haben die Briten Europas Beteiligung an der Internationalen Raumstation ISS mit einer einmaligen Finanzspritze gerettet. Zur Belohnung durfte der britische Astronaut Tim Peake wenig später zur ISS fliegen.
Seitdem steht Peake jedoch an der Seitenlinie. Sind die Artemis Accords nun seine zweite Chance? Genau hier beginnen die praktischen Probleme, fernab von Völkerrecht und Weltraumvertrag: Was genau bedeutet die amerikanische Ansage, dass bei Artemis nur mitspielen darf, wer die Accords unterschreibt? Betrifft das den Abbau von Ressourcen, die Konstruktion von Mondbasen oder auch den Mitflug von Astronauten? »Das ist eine spannende Frage, aber so weit sind wir in den Gesprächen mit der NASA noch nicht«, sagt ESA-Chef Johann-Dietrich Wörner im Gespräch mit »Spektrum.de«.
Deutschland verweist in diesem Zusammenhang gerne darauf, dass es bei Artemis ja schon beteiligt sei – zumindest über Umwege: Die US-Mondkapsel Orion wird von einem europäischen Servicemodul angetrieben, das zu einem großen Teil in Deutschland entsteht. Die Situation ist allerdings vergleichbar mit der eines Motorenherstellers in der Formel 1: Der Antrieb ist zwar immens wichtig, den Ruhm sacken aber das Team und die Piloten ein.
Alexander Gerst und Peter Altmaiers Versprechen
Zudem entscheidet ein Motorenhersteller in den seltensten Fällen darüber, wer im Cockpit sitzen darf. Genau das hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier dem deutschen Astronauten Alexander Gerst im Jahr 2019 jedoch in Aussicht gestellt: »Wenn wir es irgendwie hinbekommen, dann schießen wir Sie auf den Mond«, sagte Altmaier zu Gerst.
Matthias Maurer, der zweite deutsche Raumfahrer, macht sich ebenfalls große Hoffnungen auf einen Mondflug. Auch ohne dass Deutschland zuvor die Artemis Accords unterzeichnet? Man setze sich für eine »konkrete astronautische Beteiligung an Artemis« ein, heißt es auf Nachfrage eher lapidar aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Wichtig bei alldem sei, dass zuerst eine einheitliche europäische Position abgestimmt werde.
Danach sieht es seit dem Vorpreschen von Italien, Luxemburg und Großbritannien allerdings nicht aus. Auch von der ESA dürfte keine große Hilfe zu erwarten sein. »Das ist Sache der Regierungen«, sagt Generaldirektor Wörner. »Nur Länder können die Artemis Accords unterzeichnen, und die ESA ist kein Land.«
Für den Deutschen, dessen Vertrag an der Spitze der Raumfahrtagentur kommendes Jahr ausläuft, dürften die aktuellen Mondpläne dennoch eine späte Genugtuung sein: Seit fünf Jahren wirbt Wörner für ein »Moon Village«, eine Basis auf dem Mond, zu der jede Raumfahrtnation ihren Teil beitragen soll. Allerdings, wie der amtierende ESA-Direktor stets betont, ohne einen Bürgermeister.
Nun sieht es gut aus für das Moon Village. Aber wird es statt einem Bürgermeister einen Sheriff haben, der Claims kontrolliert und für Recht und Ordnung sorgt? Wörner gibt sich diplomatisch: »Die Artemis Accords sagen letztlich nur, dass bestimmte Grenzen eingehalten werden sollen – Grenzen, die ich auch erst akzeptieren musste.« Wichtig sei, dass der Mond den Amerikanern nicht allein gehöre. Allerdings, auch das räumt Wörner ein, gehe die NASA durchaus geschickt vor, »indem sie sich ein paar Partner holt und hofft, dass dadurch andere hinzukommen werden«.
Wörners Kollege Jim Bridenstine sieht das offenbar ähnlich, er formuliert es bloß zurückhaltender. »Selbst wenn heute eine ganze Reihe von Ländern das Abkommen unterzeichnet haben, ist noch viel Platz für weitere Partner«, sagte der NASA-Chef beim IAC. Es klang, auch wenn es nicht so gemeint gewesen sein sollte, ein bisschen wie eine Drohung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.