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Serie Auslandsstudium: Wie ein Tapetenwechsel die Persönlichkeit verändert

Wer ein oder zwei Semester in der Fremde studiert, unterscheidet sich schon vorher charakterlich von seinen Kommilitonen - danach allerdings noch mehr.
Frau in Ladenpassage in Paris

Die vertraute Heimat verlassen, allein in einem fremden Land leben: Dieser Herausforderung stellt sich rund jeder dritte deutsche Studierende. Je nach Fachbereich gehen zwischen 23 und 46 Prozent im Rahmen ihres Studiums ins Ausland, meldete der Deutsche Akademische Auslandsdienst für das Jahr 2015. Am mobilsten sind demnach angehende Wirtschaftswissenschaftler. Die Zeit im Ausland empfinden viele als besonders prägende Erfahrung. Aber zieht der Aufenthalt in der Fremde tatsächlich tief greifende Persönlichkeitsveränderungen nach sich? Und unterscheiden sich die Studierenden vielleicht schon vorab von den Kommilitonen, die nicht ins Ausland wollen oder können?

An der Leuphana Universität in Lüneburg verfolgte ein Team um Alexander Freund die Persönlichkeitsentwicklung von 221 Studierenden über ein Semester hinweg. 2017 berichteten die Psychologen in der Zeitschrift »Personality and Individual Differences«: Jene 93 Probanden, die das Semester im Ausland verbracht hatten, waren laut einem Persönlichkeitstest von vornherein im Schnitt verträglicher und offener für neue Erfahrungen. Nach dem Auslandsaufenthalt aber beschrieben sie sich als noch verträglicher, außerdem als extravertierter und weniger neurotisch. Des Weiteren nahm ihre Selbstwirksamkeitserwartung zu, das heißt die Überzeugung, dank eigener Kompetenzen (auch in schwierigen Situationen) wie gewünscht handeln zu können. Und diese Erwartung stieg umso mehr, je mehr soziale Kontakte sie pro Woche im Ausland hatten.

»Ein Auslandsstudium ist ein wichtiges Ereignis im Leben und kann die Persönlichkeit verändern«, resümieren die Autoren. Sie warnen jedoch vor voreiligen Schlüssen: Auf einen kausalen Zusammenhang könne man streng genommen nur schließen, wenn Studierende per Zufall ins Ausland geschickt würden. Da das nicht der Fall war, könnten auch weitere nicht erfasste Faktoren die Persönlichkeitsentwicklung verursacht haben. Beispielsweise zählten zu den Reisenden mehr Frauen, und wegen der begrenzten Zahl der Probanden war es auch nicht möglich, getrennt nach verschiedenen Ländern auszuwerten.

Eine kleine Studie an der University of Dayton in den USA bringt noch eine andere Erklärung ins Spiel: Auf die vorab gehegten Erwartungen komme es an. Die Studierenden waren nach dem Sommertrip weder vorurteilsfreier noch offener für andere Sichtweisen als ihre Kommilitonen daheim. Sie meinten jedoch, sich verändert zu haben – sofern sie davon schon von vornherein überzeugt waren.

Kreativer im Denken, flexibler in der Moral

Einige Experimente legen allerdings nahe, dass der Tapetenwechsel die Persönlichkeit tatsächlich beeinflusst. So entdeckte ein Team um Adam Galinsky von der Columbia University in New York, dass das Eintauchen in eine fremde Kultur die Denkweise »lockert« und so neue Perspektiven eröffnet. In Galinskys Experimenten gelang es Probanden zum Beispiel besser, Probleme kreativ zu lösen, nachdem sie sich multikulturelle Erfahrungen im Ausland ins Gedächtnis gerufen hatten. Die Kehrseite des flexibleren »Mindsets«: Die Probanden schummelten auch eher, wenn sie im Ausland studiert oder schon viele verschiedene Länder bereist hatten. Es genügte sogar, Versuchspersonen über ein fremdes Land schreiben zu lassen, das sie einmal besucht hatten. Sie logen daraufhin bei einem Würfelspiel häufiger als Probanden, die über ihr Heimatland schreiben sollten.

Die Heimkehrer scheinen noch in anderer Hinsicht »lockerer« zu werden – so könnte man jedenfalls auch die Veränderungen in der Persönlichkeit deuten, die Psychologen der Universität Jena beobachteten. Julia Zimmermann und Franz Neyer hatten mehr als 1000 Studierende von rund 200 deutschen Universitäten zu Beginn eines Semesters, fünf Monate später und noch einmal nach acht Monaten befragt. Ein Teil studierte in diesem Zeitraum im Ausland, ein Teil blieb daheim, und ein weiterer Teil plante gerade einen Auslandsaufenthalt.

In dieser Stichprobe waren die Reisewilligen vorab extravertierter, also geselliger und aktiver als Daheimbleiber. Unabhängig von der Dauer des Aufenthalts schätzten sich die Heimkehrer nach ihrer Zeit im Ausland als offener und als verträglicher und weniger neurotisch ein. Dieser Befund lässt sich auch mit dem der Lüneburger Forscher auf einen Nenner bringen: Die Studierenden waren nach dem Auslandsaufenthalt eher bereit und in der Lage, sich flexibel auf ihre Umwelt und insbesondere ihre Mitmenschen einzustellen.

»Die Veränderungen in ihrem sozialen Netzwerk hingen eng mit den beobachteten Persönlichkeitsveränderungen zusammen«

Dahinter steckten die neuen internationalen Kontakte, bestätigten auch die Jenaer Psychologen: »Die Veränderungen in ihrem sozialen Netzwerk hingen eng mit den beobachteten Persönlichkeitsveränderungen zusammen.« Der Auslandsaufenthalt veränderte die Persönlichkeit indirekt, vermittelt über die neuen Beziehungen.

Entscheidend für die prägende Erfahrung wäre demnach, fern der Heimat neuen Anschluss zu finden. Ob zu eigenen Landsleuten oder Einheimischen, das scheint zu Beginn eines Aufenthalts egal zu sein: Jeder gute Kontakt, egal mit wem, minderte Stress und förderte die Anpassung an die neue Kultur, wie eine Längsschnittstudie mit belgischen Studierenden ergab. Pflegten sie aber auf Dauer mehr enge Kontakte zu Landsleuten als zu Einheimischen, fühlten sie sich gestresster und integrierten sich weniger in die Kultur. Bei rund 250 Studierenden aus den USA war es nicht anders. Umgaben sie sich vermehrt mit Landsleuten, litten sie eher unter Heimweh. Das muss aber nicht bedeuten, dass der Umgang mit Landsleuten die Integration behinderte. Vielleicht suchten sie diese Kontakte, um ihr Heimweh zu vertreiben, oder geringe Sprachkenntnisse waren die Ursache.

Die Erfahrung, als Ausländer nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen zu werden, könnte ebenfalls eine Rolle spielen. Junge US-Amerikaner träfen im englischsprachigen Ausland – oft unerwartet – auf antiamerikanische Einstellungen, berichten Psychologen aus Seattle und Houston. Sie verglichen Wohlbefinden und Integration von rund 100 Amerikanern, die Auslandssemester in Irland absolvierten, mit weiteren 50, die langfristig dort studierten. Letztere waren mit ihrer fachlichen Situation und mit der praktischen Unterstützung zufriedener; sonst spielte die Dauer des Aufenthalts aber erneut keine besondere Rolle.

Ein Plus fürs Konto

Deutsche rechnen im Ausland wohl eher damit, wegen ihrer Herkunft auf Vorbehalte zu stoßen. Doch ihre Erfahrungen sind unterm Strich positiv: Dank neuer Kontakte kehren sie umgänglicher, ausgeglichener und geistig flexibler zurück. Und langfristig verzeichnet nicht nur das Persönlichkeitskonto ein Plus. Das Einkommen liegt bei Absolventen mit Auslandserfahrung fünf Jahre nach dem Hochschulabschluss im Schnitt »um drei bis acht Prozent« höher, errechnete ein Team um Stine Waibel vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.

Die Globetrotter fänden allerdings nicht schneller Arbeit als ihre weniger mobilen Exkommilitonen, stellten Waibel und ihre Kollegen weiter fest. Nur in Italien und Griechenland wären Absolventen mit Auslandserfahrung bei der Jobsuche etwas schneller erfolgreich. Das könnte daran liegen, dass in diesen Ländern die Angst vor Arbeitslosigkeit besonders groß ist – wer ein Angebot bekommt, greift lieber gleich zu. Die Heimkehrer in anderen Ländern können es mit ihrer neu gewonnenen Gelassenheit vielleicht einfach etwas lockerer angehen lassen.

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