Enceladus: Wie der Tigermond seine Streifen bekam
Vier Risse im Boden offenbaren, was sonst unter Kilometern aus ewigem Eis verborgen liegt: »Tigerstreifen« heißen diese parallelen Klüfte in der Eiskruste des Saturnmonds Enceladus, in denen Geysire Wasserdampf und Eispartikel aus dem unterirdischen Ozean hunderte Kilometer weit ins Weltall schießen. Im Fachmagazin »Nature Astronomy« berichten Wissenschaftler um Douglas Hemingway von der Carnegie Institution for Science in Washington D.C. nun, wie der getigerte Mond seine Streifen bekam. Vor allem bringt ihre Simulation Licht in das Rätsel, weshalb die Risse nur am Südpol auftreten und mit gleichmäßigem Abstand nahezu parallel verlaufen: Die Forscher vermuten, dass ein erster Spalt in einer Art Kettenreaktion die anderen ausgelöst hat.
Das erste Mal brachen die flüssigen Eingeweide des Eismonds demnach in »Bagdad« hervor – dem nach der Stadt aus »Tausendundeiner Nacht« benannten Riss direkt durch den Südpol des Monds. Schuld daran ist Mutterplanet Saturn: Die Gezeitenkräfte des Gasriesen zerren am Ozean, heizen ihn auf und kühlen ihn wieder ab. Als das Wasser kalt genug war, um zu gefrieren, dehnte es sich aus und drückte von innen gegen die Eiskruste – bis diese dem Druck nicht mehr standhalten konnte und riss. Da Enceladus seinen Heimatplaneten Saturn auf einem exzentrischen Orbit umrundet, ist er leicht abgeplattet – an den Polen ist die Eiskruste am dünnsten. Daher war es zu erwarten, dass es einen der Pole als Erstes traf. Der Südpol brach früher.
Als sich bei Bagdad der eisige Boden auftat, stieg der Ozean an, bis er den Riss bis zu 90 Prozent füllte. Die Gezeiten halten das Wasser in Bewegung und den Riss offen; der Druck gleicht sich so weit aus, dass er keine weiteren Risse verursacht. Stattdessen gebar Bagdad die Schwestern aus dem Eisregen ihrer Geysire: Das in die Höhe geschossene Material fiel wieder herab, bis die Ränder des Spalts unter dem Gewicht der Eisbrocken ächzten. Da bogen sie sich – ganz leicht nur –, stark genug jedoch, um die nur leicht elastische Eiskruste dort aufzureißen, wo die Krümmung am stärksten war.
Nahezu parallel zu Bagdad ziehen sich so mit Abständen von 35 Kilometern »Damaskus«, »Kairo« und »Alexandria« durch das Polareis. Gewaltige 130 Kilometer lang sind diese Risse, dabei hat Enceladus selbst einen Durchmesser von gerade einmal 500 Kilometern. Sie erlauben Einblicke in die unterirdischen Ozeane, die sich vermutlich über die gesamte Mondoberfläche erstrecken und ein heißer Kandidat für die Suche nach mikrobiellem Leben sind. Diese Vorgänge könnten einzigartig sein: Neben seiner dünnen, brüchigen Eiskruste weist Enceladus auch eine besonders geringe Schwerkraft auf. Was dem Dominoeffekt der Fontänen letztlich Einhalt gebietet, ist nicht sicher. Die Forscher vermuten, dass die zunehmende Anzahl an Rissen bei jedem einzelnen den Eisregen der Eruptionen verringert – und die Eisdecke mit zunehmendem Breitengrad zu dick wird, um darunter zu brechen.
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