Déjà-vu: Das ist doch schon einmal passiert!
Ich sitze am Schreibtisch und schreibe einen Artikel. Regen trommelt gegen die Fensterscheibe. Ein Auto fährt vorbei, ich höre Leute reden, mein Handy klingelt. Schlagartig überkommt mich ein komisches Gefühl: Alles an der Situation fühlt sich vertraut an, ganz so, als wäre exakt dieser Moment schon einmal passiert. Wer bereits ein Déjà-vu erlebt hat, weiß um die Eindrücklichkeit solcher Erlebnisse. Bisweilen meint man, vollkommen fremde Orte wiederzuerkennen. So mancher glaubt sogar, zu wissen, was gleich geschehen wird oder was sich hinter der nächsten Straßenbiegung verbirgt. In der Regel können Betroffene an keiner konkreten Erinnerung festmachen, wieso sie so empfinden. Meist verschwindet das Gefühl nach wenigen Sekunden genauso plötzlich, wie es aufkam.
Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass Déjà-vus häufig vorkommen. Bei mehr als 80 Erhebungen, die über 135 Jahre hinweg durchgeführt wurden, gaben rund zwei Drittel der Befragten an, mindestens einmal im Leben eine entsprechende Erfahrung gemacht zu haben. Im Schnitt traten sie eher bei Jüngeren auf als bei Älteren, und meist blieb es nicht bei einer einzigen Episode. Der Großteil berichtete von mehreren Déjà-vus, oft im Abstand von einem bis sechs Monaten. Reiselustige Personen waren häufiger betroffen als jene, die in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Tendenziell trifft es außerdem vor allem hoch gebildete und überdurchschnittlich verdienende Menschen. Visuelle Reize und Gesprochenes – sowohl die eigenen Worte als auch die von anderen – scheinen oft Episoden zu triggern. Einige Studien ergaben zudem, dass Stress und Müdigkeit ihr Auftreten begünstigen.
Manche Menschen sind davon überzeugt, dass ihre Déjà-vus auf Träumen beruhen, in denen sie künftige Geschehnisse vorhergesehen haben. In spirituellen Kreisen ist außerdem die Vorstellung verbreitet, dass man die jeweilige Situation aus einem früheren Leben kennt. Abgesehen von solchen esoterischen Erklärungsversuchen gibt es jedoch auch wissenschaftliche Thesen zu ihrem Ursprung. Doch um eines gleich vorwegzunehmen: Keine von ihnen liefert zurzeit endgültige Antworten. Es fehlt an experimentellen Daten, um die Annahmen gründlich zu prüfen. Die zahlreich vorhandenen Erfahrungsberichte sind naturgemäß subjektiv und taugen nur bedingt als Basis für Studien. Dennoch befassen sich einige Fachleute schon jahrzehntelang mit den neuronalen Wurzeln von Déjà-vus, um dabei etwas über Gedächtnisprozesse zu lernen.
Dazu zählt etwa der südafrikanische Psychiater Vernon Neppe. Er studiert das Phänomen seit Ende der 1970er Jahre und hat drei Bücher zum Thema veröffentlicht. 1979 formulierte er eine bis heute anerkannte Definition: »Ein Déjà-vu ist jeder subjektiv unpassende Eindruck der Vertrautheit einer gegenwärtigen Erfahrung mit unbestimmter Vergangenheit.« Speziell die Unangemessenheit bezeichnet er als fundamental; man ist perplex, weil der Moment sich wie die Wiederholung einer Situation anfühlt, an die man sich nicht konkret erinnert – und sich das vertraute Gefühl somit nicht logisch erklären lässt.
72 Theorien zum Ursprung
Neppe unterscheidet vier Subtypen von Déjà-vu-Erlebnissen. Der Klassiker ist die assoziative Form. Entsprechende Episoden halten kurz an und werden von keinen spezifischen Vorahnungen begleitet. Glaubt man hingegen, zu wissen, was als Nächstes passieren wird oder was einen erwartet, spricht der Psychiater von einem subjektiv paranormalen Déjà-vu. Die Variante geht häufig mit einem vorübergehend veränderten Zeitempfinden einher – für Betroffene fühlt es sich so an, als würden die Sekunden langsamer vergehen. Daneben gibt es laut Neppe zwei weitere Typen, die er zur neuropsychiatrischen Gruppe zählt. Zum einen haben Schläfenlappenepileptiker bei Anfällen vermehrt Déjà-vus. Zum anderen würden manche Menschen mit Psychosen über regelmäßige Episoden berichten. Letzteres ist allerdings strittig (siehe »Déjà-vu und Schizophrenie«).
Doch wie entsteht nun ein Déjà-vu? Neppe listete in einer Übersichtsarbeit von 2015 sämtliche Theorien auf, die er dazu in der Literatur finden konnte. Inklusive der übersinnlichen und spirituellen kommt er auf die erstaunliche Anzahl von 72. Betrachtet man nur die mehr oder weniger wissenschaftlichen, bleiben immer noch über 50. Die Fachwelt ist sich also uneinig darüber, was die Sinnestäuschung auslöst.
Déjà-vu und Schizophrenie
Den öfters geäußerten Verdacht, dass es bei manchen psychischen Störungen zu häufigeren Déjà-vu-Erlebnissen kommt, konnten Untersuchungen nicht eindeutig belegen. Neuere Studien deuten sogar darauf hin, dass Menschen mit Schizophrenie solche Episoden seltener erleben als Gesunde – etwa die Arbeiten von Teams um Takuya Adachi aus dem Jahr 2006 und um Yung-Jong Shiah von 2014.
Einige Fachleute, darunter der Psychologe Uwe Wolfradt von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, vermuten hinter vermeintlich gehäuften Déjà-vus bei Psychotikern etwas anderes. Bei Schizophrenie würde eher das Phänomen »Fausse Reconnaissance« auftreten, also ein falsches Wiedererkennen. Dieses kann sich über mehrere Stunden hinziehen, während Déjà-vus in der Regel nur Sekunden bis maximal wenige Minuten andauern. Früher seien die Begriffe synonym verwendet worden, und in manchen Publikationen wird die »Fausse Reconnaissance« noch als Unterform des Déjà-vus beschrieben. Wolfradt plädiert allerdings dafür, die beiden nicht zu verwechseln.
Aus bisher ungeklärten Gründen gehören Déjà-vus jedoch zu einer Gruppe von Symptomen und Erfahrungen, die prädiktiv für eine spätere Psychoseneigung sind. Das bedeutet: Erlebt eine Person im Jugendalter vermehrt solche Episoden, hat sie ein höheres Risiko, in der Folge an Schizophrenie oder einer verwandten Störung zu erkranken.
Es gibt allerdings Erklärungen, die als wahrscheinlicher gelten als andere. Zu ihnen zählt die so genannte Erinnerungsthese. Ihr zufolge glaubt die betroffene Person, die Situation zu erkennen, weil sie einer ähnelt, die sie bereits erlebt hat. Das ursprüngliche Ereignis hat sie aber nur unvollständig abgespeichert oder großteils vergessen. Ausschlaggebend wäre hierbei eine Kombination aus Umweltfaktoren, die den Gedächtnisinhalt aktiviert und so fälschlicherweise ein Gefühl von Vertrautheit auslöst.
Das könnte zum Beispiel passieren, wenn die aktuelle Umgebung dieselbe Struktur oder Anordnung hat wie ein Ort aus der Vergangenheit. Etwa ein Zimmer, in dem Möbelstücke an denselben Positionen stehen wie in einem Raum, in dem die Person früher Zeit verbracht hat. Vielleicht gleicht sich zudem die Wandfarbe und der Lichteinfall ist fast identisch. Oder eine Straße in einer fremden Stadt sieht einer anderen zum Verwechseln ähnlich. Unser Gehirn täuscht sich dann womöglich, weil es Gedächtnisinhalte findet, die den momentanen Eindrücken zum Verwechseln ähnlich sind.
Eine Vertreterin der Erinnerungstheorie ist die Kognitionspsychologin Anne Cleary von der Colorado State University. In dem Buch »The Déjà Vu Experience«, das sie gemeinsam mit dem Psychiater und Epidemiologen Alan S. Brown vom Columbia University Medical Center verfasste, listen die beiden zahlreiche Argumente für die These auf. Unter anderem verweisen sie auf Umfrageergebnisse, die das physische Umfeld als häufigsten Auslöser von Déjà-vus nennen. Auch Clearys Virtual-Reality-Experimente stützen das Modell. Mit ihrem Team konfigurierte sie unterschiedliche dreidimensionale Umgebungen. Die Struktur und Platzierung von Möbelstücken war bei manchen von ihnen identisch oder sehr ähnlich. Je mehr Merkmale einer Szene mit einer anderen übereinstimmten, die Probanden zuvor gesehen hatten, desto vertrauter kam den Versuchspersonen der virtuelle Raum vor. Testpersonen erzählten zudem von dem charakteristischen »Neu, aber doch bekannt«-Gefühl. Bei einem echten Déjà-vu-Erlebnis spielen laut Cleary vermutlich noch viele weitere Reize eine Rolle – etwa Gerüche, Temperatur und Geräusche, wie sie 2018 in einem Vortrag erläuterte.
Dort berichtete sie außerdem, dass es ihr und ihrem Team gelungen war, bei manchen Probanden ein Gefühl der Vorahnung auszulösen. Dazu hatten sie die Testpersonen auf eine virtuelle Tour durch zwei unterschiedliche, aber räumlich identisch konfigurierte digitale Umgebungen geschickt. Die Route durch beide folgte dem gleichen Weg. In der Regel gelang es Probanden trotzdem nicht, vorherzusagen, wohin der zweite Rundgang führen würde. Hatten sie dagegen währenddessen ein Déjà-vu-Erlebnis, glaubten sie eher, sie würden es wissen. Sie erinnerten sich dabei jedoch wahrscheinlich unbewusst an die vorherige Tour.
Aber was, wenn die Vorahnung eintrifft? In solchen Fällen spielt uns das Gehirn einen Streich, sagt Cleary. Inmitten eines Déjà-vu-Erlebnisses haben manche lediglich das Gefühl, dass sie genau wissen, was als Nächstes passieren wird. Eine konkrete Prognose können sie jedoch nur selten formulieren. Im Nachhinein sind sie dennoch überzeugt, vorhergesehen zu haben, was folgte. Studienergebnisse, die Cleary zusammen mit Kollegen im Jahr 2019 veröffentlichte, untermauern diese Ansicht. Wenn Probanden während einer virtuellen Tour ein Déjà-vu-Erlebnis hatten, tendierten sie vermehrt dazu, genommene Abzweigungen im Anschluss als erwartet zu bewerten.
Gesehen, aber nicht bewusst wahrgenommen?
Eine Variante der Erinnerungstheorie ist die »split-perception-theory«. Ihr zufolge macht eine Person beim Déjà-vu eine Sinneserfahrung schlichtweg zweimal direkt hintereinander. Möglicherweise denkt sie gerade nach oder ist abgelenkt, während in der Umgebung etwas passiert. Die Reize schaffen es deshalb erst mal nicht richtig, in ihr Bewusstsein vorzudringen. Unmittelbar danach erlebt sie dieselbe Situation jedoch bewusst.
Für die Theorie sprechen unter anderem Daten von Alan Brown und Elizabeth Marsh. Die beiden zeigten Versuchsteilnehmern für jeweils Sekundenbruchteile Bilder auf einem Computerbildschirm. So konnte ihr Gehirn die sensorischen Reize zwar registrieren, aber keine bewusste Erinnerung an sie abspeichern. Anschließend bekamen die Probanden sowohl Fotos zu sehen, die auf diese Weise schon zuvor kurz aufgeblitzt waren, als auch solche, die ihnen neu waren. Die unbewusst wahrgenommen Bilder empfanden sie als vertrauter als jene, die sie noch nicht zu Gesicht bekommen hatten.
In allen Varianten der Erinnerungsthese geht ein Déjà-vu aus bestimmten Kombinationen äußerer Reize hervor: Etwas kommt einer Person bekannt vor, weil sie Ähnliches bewusst oder unbewusst bereits erlebt hat. Es gibt allerdings auch Erklärungsversuche, die rein intrinsische Mechanismen als Auslöser vermuten. Manche Fachleute spekulieren etwa, eine fehlerhaft ablaufende doppelte Verarbeitung von Reizen im Gehirn würde Déjà-vus herbeiführen. Die Erfahrung könne damit bei jedem beliebigen sensorischen Input auftreten, sie ist also unabhängig davon, wie die eingehenden Eindrücke zusammengesetzt sind.
Déjà-vu, déjà entendu, déjà pensé ...
Das Spektrum der Eindrücke, die ein Déjà-vu begleiten, ist vielfältig. Entsprechend existieren heute eine Reihe von Variationen der Terminologie. Dazu gehören »déjà entendu« (bereits gehört), »déjà senti« (bereits gefühlt), »déjà pensé« (bereits gedacht) und »déjà visité« (bereits besucht). »Déjà-vu« wird allgemein verwendet, um alle diese Empfindungen zusammenzufassen. In jüngerer Zeit kam zudem der Begriff »Déjà-vécu« (bereits erlebt) auf, um wiederkehrende Déjà-vus im Zusammenhang mit Demenzen zu beschreiben. Manches deutet darauf hin, dass zwischen alltäglichen Déjà-vus und Déjà-vécus ein neuropsychologischer Unterschied besteht. Während Erstere durch ein unangemessenes Gefühl von Vertrautheit gekennzeichnet sind, resultieren Letztere wohl aus einem unangemessenen Erinnern.
Der US-amerikanische Neurophysiologe Robert Efron stellte diese These Anfang der 1960er Jahre auf. Er argumentierte, dass Sinnesreize an einem Ort im Gehirn sortiert werden mussten. Da sie von beiden Hemisphären dort eintreffen, würden die der einen Seite einen etwas längeren Weg als die der anderen zurücklegen. Wenn die Signale nicht richtig synchronisiert seien und sie deshalb unterschiedliche Zeitstempel bekämen, könnten sie fälschlicherweise als zwei getrennte Erfahrungen verarbeitet werden, mutmaßte er. Das Gehirn würde die Szene also beim zweiten Eintreffen als bereits stattgefunden interpretieren. Es mangelt allerdings an experimentellen Belegen, die diese These stützen.
Was sich während eines Déjà-vus im Gehirn abspielt, lässt sich generell nur schwer untersuchen. Das Phänomen ist zu unvorhersehbar und tritt zu selten auf, als dass man es gezielt mittels Hirnscans erfassen könnte. Und doch gibt es einige hilfreiche Beobachtungen, vor allem bei Menschen mit Schläfenlappenepilepsien. Im Rahmen ihrer Anfälle kommt es bei manchen nämlich vermehrt zu déjà-vu-artigen Wahrnehmungen. Das fiel bereits dem Neurologen John Hughlings-Jackson Ende des 19. Jahrhunderts auf. Er prägte dafür den Begriff »dreamy state«, also »träumerischer Zustand«, und nannte ein Gefühl der Vertrautheit mit einer Situation als eines seiner Merkmale. In der Folge bestätigten etliche Beobachtungsstudien einen Zusammenhang zwischen epileptischen Anfällen und dem Auftreten von Déjà-vus.
Es liegt deshalb nahe, dass die Schläfenlappen an der Entstehung von Déjà-vus mitwirken. Erste experimentelle Hinweise darauf fand der Neurochirurg Wilder Penfield im Jahr 1959. Er stimulierte damals während Operationen an Epilepsiepatienten das Hirngewebe mit Stromstößen und bemerkte, dass dies vermehrt déjà-vu-artige Erfahrungen auslöste. Ähnliches berichtete ein Team um den französischen Hirnchirurgen Jean Bancaud im Jahr 1994. Bei 14 von 16 Personen, denen vor dem Eingriff Elektroden implantiert worden waren, ließen sich »dreamy states« auslösen, indem man Areale im Schläfenlappen gezielt anregte. Gelegentlich begleiteten Déjà-vus den Zustand. Als besonders empfindlich erwies sich dabei der mediale und laterale Bereich mit dem Gyrus temporalis superior.
Bestimmte Strukturen im Schläfenlappen wirken daran mit, Erlebtes im Gedächtnis abzuspeichern. Dazu gehört etwa der Hippocampus, der eingehende Sinneseindrücke als bekannt oder unbekannt einordnet. Kommt uns etwas vertraut vor, feuern Nervenzellen in einem ihm nahe gelegenen Teil der Schläfenlappenrinde, dem parahippocampalen Gyrus. Daraufhin sucht das Gehirn nach Gedächtnisinhalten, die uns mehr über die Situation verraten. Einer These zufolge werden Neurone in diesem Areal beim Déjà-vu versehentlich aktiv und erzeugen so ein Gefühl der Vertrautheit. 2004 zeigte der französische Epilepsieforscher Fabrice Bartolmei, dass die Stimulation des entorhinalen Kortex – eines Teils des parahippocampalen Gyrus – Déjà-vu-Erlebnisse auslöste. Diese entstanden so deutlich häufiger, als wenn die Forscher den angrenzenden Hippocampus oder die Amygdala anregten. Nachfolgende Arbeiten bestätigten den Befund.
Und täglich grüßt das Murmeltier
Manche Menschen behaupten, ständig ein Déjà-vu zu erleben. Fast alles, was passiert, kommt ihnen bekannt vor. Dafür hat sich die Bezeichnung »chronisches Déjà-vu« etabliert. Das Phänomen kann zum Beispiel bei Personen mit Demenz auftreten, womöglich gibt es darüber hinaus eine Verbindung zu psychiatrischen Störungen. Fachleute vermuten die Ursache im Schläfenlappen: Die neuronalen Schaltkreise von Betroffenen seien in einer aktivierten Position stecken geblieben, die signalisiert, dass man sich an etwas erinnert. Dadurch entstehe das permanente Gefühl, das Geschehen bereits zu kennen.
Die Frage ist nun: Inwiefern lassen sich von solchen Ergebnissen Rückschlüsse auf Déjà-vus bei Gesunden ziehen? Tatsächlich herrscht unter den Expertinnen und Experten Einigkeit, dass der Schläfenlappen bei der Entstehung des Phänomens involviert sein müsste. Gleichwohl heißt das nicht, dass anfallsbedingte Episoden dieselbe Grundlage haben und sich genauso anfühlen wie anfallsunabhängige. Clearys Team berichtete zum Beispiel 2021 von einem Patienten, der beide Arten von Déjà-vus erlebte. Es führte mit ihm die zuvor beschriebenen virtuellen Rundgänge durch, und er gab an, er hätte währenddessen Déjà-vus der anfallsfreien Art gehabt. Betroffene können also mitunter zwischen beiden unterscheiden.
Nicht alle Epileptiker sind häufiger betroffen
Zudem hat nicht jeder Mensch mit Schläfenlappenepilepsie automatisch mehr Déjà-vus. Bei einem Teil der Patientinnen und Patienten gehen die Anfälle zwar regelmäßig mit derartigen Wahrnehmungen einher. Etliche erleben jedoch keine solche Häufung. In einer japanischen Studie, die eine Arbeitsgruppe um Naoto Adachi 2010 veröffentlichte, hatten sogar weniger Epilepsiepatienten als Gesunde in Fragebögen angegeben, dass sie Déjà-vu-Episoden gehabt hatten – zwei Drittel der Betroffenen verglichen mit etwa drei Viertel in der Kontrollgruppe. Darüber hinaus führen andere Formen von Gedächtnisstörungen, die vom Schläfenlappen herrühren, nicht automatisch zu mehr Déjà-vu-Erlebnissen.
Die meisten Fachleute halten es daher für wahrscheinlich, dass hinter dem Phänomen kein krankhafter Hirnprozess steckt. Gegenüber dem Magazin »New Scientist« mutmaßt der Kognitionspsychologe Akira O’Connor von der University of St Andrews, es könnte sich dabei um ein Kontrollsystem des Gedächtnisses handeln, das Erinnerungsfehler aufdecken soll. Kommt es zu einem Konflikt zwischen dem, was wir tatsächlich erlebt haben, und dem, was wir lediglich glauben, erlebt zu haben, entsteht ein Signal – das Déjà-vu. Das würde letztlich nur bedeuten, dass die Gehirnregionen, die Fakten überprüfen, gut funktionieren.
Hat mein Gehirn also nur getestet, ob ich zwischen richtigen und falschen Erinnerungen unterscheiden kann? Bislang lässt sich das nicht abschließend beantworten. Genauso wenig wie die Frage, was der Grund für das Déjà-vu war. Womöglich habe ich eine ähnliche Situation bereits erlebt. Vielleicht war ich nur kurz abwesend und habe die Szene dann erst bewusst wahrgenommen. Dass ich zuvor von einem Erlebnis wie diesem geträumt habe, kann bislang niemand ausschließen. Doch eins ist wohl sicher: Ab und an ein Déjà-vu zu erleben, ist völlig normal und unbedenklich.
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