Essverhalten - alles Psychologie? : Wie entsteht das Sättigungsgefühl?
Warum hat Marcus nicht früher aufgehört zu essen? Warum fühlt er sich schlecht, obwohl er sich nach einer Mahlzeit eigentlich wohl fühlen sollte?
Unser Magen hat leider keinen Füllstandsanzeiger, der uns signalisiert, dass der Magen voll ist und die Nahrungsaufnahme gestoppt werden muss. Das Sättigungsgefühl entsteht nicht spontan und plötzlich. Zwei Faktoren spielen dabei eine Rolle. Bis diese vom Gehirn verarbeitet und weitergeleitet werden, vergehen circa 20 Minuten. Bis heute ist nicht vollständig geklärt, welche und wie viele Regulationsmechanismen die Steuerung der Nahrungsaufnahme beeinflussen.
Zwei unterschiedliche Faktoren tragen zum Sättigungsgefühl bei: Die Präresorptiven, die vor der Verdauung aktiv werden, und die Resorptiven, die biochemische Signale während der Nahrungsverarbeitung weiterleiten.
Zu den Präresorptiven gehören Augen, Mund und Nase, die Einflüsse von außen wahrnehmen: Also Geruch, Geschmack und Aussehen der Nahrung. Die wesentlichen Sättigungssignale gehen aber von der Dehnung des Magens aus. Mechanorezeptoren messen, wie stark sich die Magenwand dehnt, und leiten dies an das Gehirn weiter. Die Dehnung des Magens alleine reicht aber nicht aus. Auch die Rezeptoren im Darm müssen signalisieren, dass ausreichend Nährstoffe aufgenommen wurden. Der Magen kontrolliert das Volumen der Nahrung und der Darm die Nährstoffmenge. So führt zum Beispiel der Verzehr einer großen Menge Wassermelone dazu, dass sich die Magenwand dehnt, aber der Darm keine Sättigungssignale aussendet, da kaum Kalorien in der Wassermelone enthalten sind. Andersherum führen Nahrungsmittel mit hoher Kaloriendichte, wie zum Beispiel Schokolade dazu, dass der Darm zwar genügend Kalorien registriert, die Magenwand sich aber nicht dehnt. Das große Angebot an Lebensmitteln mit einer hohen Energiedichte führt in unserer Gesellschaft häufig zu Übergewicht. Aber auch Mund, Rachenraum und Speiseröhre geben dem Körper Aufschluss über die Menge an zugeführter Nahrung. Sie funktionieren wie kleine Waagen, die mitteilen welches Gewicht und Volumen unser Essen hat. Die Anzahl der Kaubewegungen zum Beispiel kann dem Gehirn Informationen über die Menge der Nahrung liefern.
Forscher der Universitäten von Illinois und Ithaca stellten 2005 in einer Studie die besondere Bedeutung der Augen für das Sättigungsgefühl fest. Die Forscher servierten ihren Probanden je einen Teller Suppe. Die Hälfte der Teller war allerdings präpariert. Sie hatten ein kleines Loch am Boden, das mit einem Schlauch verbunden war. Durch diesen Schlauch konnten die Forscher den Teller nachfüllen, ohne dass die Tester etwas bemerkten. Die Probanden, die von dem präparierten Teller aßen, nahmen durchschnittlich 73 Prozent mehr Suppe zu sich als ihre Testkollegen mit den normalen Tellern. Bei der anschließenden Befragung gaben sowohl die Probanden mit den normalen Tellern, als auch die Probanden mit den präparierten Tellern an, angenehm gesättigt zu sein. Obwohl die Probanden mit den Tricktellern durchschnittlich 113 Kalorien mehr zu sich nahmen, fühlten sie sich genauso gesättigt wie der Rest der Gruppe. Als Fazit der Untersuchungsergebnisse hebt Brian Wansink, Leiter der Forschungsgruppe, den besonderen Einfluss der Augen auf das Sättigungsgefühl hervor und verweist auf die Gefahr einer Unterschätzung der verzehrten Kalorienmenge.
Zu den resorptiven Faktoren zählen alle biochemischen Prozesse, die mit der Sättigung zu tun haben. Der Vagusnerv, ein Nerv des autonomen Nervensystems, spielt dabei eine wesentliche Rolle. Er durchzieht mit feinen Verästelungen den Verdauungskanal. Bestimmte Nervenfasern des Vagusnerves werden nur durch langkettige Fettsäuren, andere nur durch kurzkettige Fettsäuren oder Glycerin gereizt. Dieser Reiz wird an das zentrale Nervensystem weitergeleitet. Je mehr Fettsäuren oder Glycerin die Nahrung enthält, desto mehr Signale kommen im zentralen Nervensystem an. Umso schneller kommt es dann zur Sättigung.
Eine andere Möglichkeit, um Signale an das zentrale Nervensystem weiterzuleiten, sind spezielle Zellen im Darmgewebe. Diese Hormon produzierenden Zellen fungieren ebenfalls als Chemorezeptoren. Durch einen Reiz setzen sie kleine Proteine mit Hormonwirkung frei. Diese Proteine lösen einen Reiz im Vagusnerv aus, der die Information an das zentrale Nervensystem weiterleitet. Vor allem Magensäure, verschiedene Aminosäuren und Zucker binden an diesen Hormon produzierenden Zellen.
Zwei weitere Mechanismen dienen unserem Körper zur Regulation der Nahrungsaufnahme. Der eine misst den Glucosevorrat und gibt so Auskunft über den kurzfristigen Energiespeicher im Körper. Die langfristigen Energiereserven werden über die Leptinkonzentration gemessen.
Die glucostatische Hypothese
In den Fünfzigern wurde die Theorie aufgestellt, dass die Glucose selbst das Hunger- beziehungsweise Sättigungssignal ist. Die Glucosekonzentration im Blut wird von speziellen Rezeptoren im Hypothalamus, im Stammhirn und in der Leber gemessen. Steigt die Glucosekonzentration bei normalem Insulinspiegel an, wird die Aktivität im Hungerzentrum gehemmt und im Sättigungszentrum verstärkt. Umgekehrt wirkt ein zu niedriger Glucosespiegel appetitanregend. Es gibt einige Untersuchungen die diese Hypothese unterstützen, aber noch keinen endgültigen Beweis.
Der lipostatische Weg
Das Fettgewebe produziert das Protein Leptin. Je besser die Fettspeicher gefüllt sind, desto höher ist der Leptinspiegel im Blut. Leptin gibt dem Gehirn Auskunft darüber, wie hoch die Fettreserven sind.
Leider hat sich die Annahme, dass ein Leptinmangel für die Entstehung von Fettleibigkeit beim Menschen verantwortlich ist, nicht bestätigt. Ein Mangel an Leptin führt zu Hungergefühlen und so zu einer gesteigerten Nahrungsaufnahme, während ein Leptin-Überschuss nicht zwangsläufig den Appetit reduziert. Heute ist man der Ansicht, dass die primäre Aufgabe von Leptin nicht darin besteht, den Körper vor einer überhöhten Nahrungsaufnahme und damit einer zu großen Fettmasse zu schützen, sondern dass es eher vor einem Nahrungsmangel schützen soll, meint Prof. Dr. Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam.
Schließlich werden im Hypothalamus all diese verschiedenen Signale der Augen, des Magens und des Darms zusammengetragen und verarbeitet. Erst dort entsteht das Sättigungsgefühl. Hätte Marcus also nach seiner ersten Portion Spaghetti einfach eine Pause eingelegt und einen Moment gewartet, hätte er vielleicht festgestellt, dass er bereits satt ist und gar keine zweite Portion möchte.
Annika Hollmann
Dieser Beitrag ist Teil eines Projektes der Studenten des 3. und 5. Semester Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt zum Thema "Ernährung":
Das große Fressen
Unser Magen hat leider keinen Füllstandsanzeiger, der uns signalisiert, dass der Magen voll ist und die Nahrungsaufnahme gestoppt werden muss. Das Sättigungsgefühl entsteht nicht spontan und plötzlich. Zwei Faktoren spielen dabei eine Rolle. Bis diese vom Gehirn verarbeitet und weitergeleitet werden, vergehen circa 20 Minuten. Bis heute ist nicht vollständig geklärt, welche und wie viele Regulationsmechanismen die Steuerung der Nahrungsaufnahme beeinflussen.
Zwei unterschiedliche Faktoren tragen zum Sättigungsgefühl bei: Die Präresorptiven, die vor der Verdauung aktiv werden, und die Resorptiven, die biochemische Signale während der Nahrungsverarbeitung weiterleiten.
Zu den Präresorptiven gehören Augen, Mund und Nase, die Einflüsse von außen wahrnehmen: Also Geruch, Geschmack und Aussehen der Nahrung. Die wesentlichen Sättigungssignale gehen aber von der Dehnung des Magens aus. Mechanorezeptoren messen, wie stark sich die Magenwand dehnt, und leiten dies an das Gehirn weiter. Die Dehnung des Magens alleine reicht aber nicht aus. Auch die Rezeptoren im Darm müssen signalisieren, dass ausreichend Nährstoffe aufgenommen wurden. Der Magen kontrolliert das Volumen der Nahrung und der Darm die Nährstoffmenge. So führt zum Beispiel der Verzehr einer großen Menge Wassermelone dazu, dass sich die Magenwand dehnt, aber der Darm keine Sättigungssignale aussendet, da kaum Kalorien in der Wassermelone enthalten sind. Andersherum führen Nahrungsmittel mit hoher Kaloriendichte, wie zum Beispiel Schokolade dazu, dass der Darm zwar genügend Kalorien registriert, die Magenwand sich aber nicht dehnt. Das große Angebot an Lebensmitteln mit einer hohen Energiedichte führt in unserer Gesellschaft häufig zu Übergewicht. Aber auch Mund, Rachenraum und Speiseröhre geben dem Körper Aufschluss über die Menge an zugeführter Nahrung. Sie funktionieren wie kleine Waagen, die mitteilen welches Gewicht und Volumen unser Essen hat. Die Anzahl der Kaubewegungen zum Beispiel kann dem Gehirn Informationen über die Menge der Nahrung liefern.
Forscher der Universitäten von Illinois und Ithaca stellten 2005 in einer Studie die besondere Bedeutung der Augen für das Sättigungsgefühl fest. Die Forscher servierten ihren Probanden je einen Teller Suppe. Die Hälfte der Teller war allerdings präpariert. Sie hatten ein kleines Loch am Boden, das mit einem Schlauch verbunden war. Durch diesen Schlauch konnten die Forscher den Teller nachfüllen, ohne dass die Tester etwas bemerkten. Die Probanden, die von dem präparierten Teller aßen, nahmen durchschnittlich 73 Prozent mehr Suppe zu sich als ihre Testkollegen mit den normalen Tellern. Bei der anschließenden Befragung gaben sowohl die Probanden mit den normalen Tellern, als auch die Probanden mit den präparierten Tellern an, angenehm gesättigt zu sein. Obwohl die Probanden mit den Tricktellern durchschnittlich 113 Kalorien mehr zu sich nahmen, fühlten sie sich genauso gesättigt wie der Rest der Gruppe. Als Fazit der Untersuchungsergebnisse hebt Brian Wansink, Leiter der Forschungsgruppe, den besonderen Einfluss der Augen auf das Sättigungsgefühl hervor und verweist auf die Gefahr einer Unterschätzung der verzehrten Kalorienmenge.
Zu den resorptiven Faktoren zählen alle biochemischen Prozesse, die mit der Sättigung zu tun haben. Der Vagusnerv, ein Nerv des autonomen Nervensystems, spielt dabei eine wesentliche Rolle. Er durchzieht mit feinen Verästelungen den Verdauungskanal. Bestimmte Nervenfasern des Vagusnerves werden nur durch langkettige Fettsäuren, andere nur durch kurzkettige Fettsäuren oder Glycerin gereizt. Dieser Reiz wird an das zentrale Nervensystem weitergeleitet. Je mehr Fettsäuren oder Glycerin die Nahrung enthält, desto mehr Signale kommen im zentralen Nervensystem an. Umso schneller kommt es dann zur Sättigung.
Eine andere Möglichkeit, um Signale an das zentrale Nervensystem weiterzuleiten, sind spezielle Zellen im Darmgewebe. Diese Hormon produzierenden Zellen fungieren ebenfalls als Chemorezeptoren. Durch einen Reiz setzen sie kleine Proteine mit Hormonwirkung frei. Diese Proteine lösen einen Reiz im Vagusnerv aus, der die Information an das zentrale Nervensystem weiterleitet. Vor allem Magensäure, verschiedene Aminosäuren und Zucker binden an diesen Hormon produzierenden Zellen.
Zwei weitere Mechanismen dienen unserem Körper zur Regulation der Nahrungsaufnahme. Der eine misst den Glucosevorrat und gibt so Auskunft über den kurzfristigen Energiespeicher im Körper. Die langfristigen Energiereserven werden über die Leptinkonzentration gemessen.
Die glucostatische Hypothese
In den Fünfzigern wurde die Theorie aufgestellt, dass die Glucose selbst das Hunger- beziehungsweise Sättigungssignal ist. Die Glucosekonzentration im Blut wird von speziellen Rezeptoren im Hypothalamus, im Stammhirn und in der Leber gemessen. Steigt die Glucosekonzentration bei normalem Insulinspiegel an, wird die Aktivität im Hungerzentrum gehemmt und im Sättigungszentrum verstärkt. Umgekehrt wirkt ein zu niedriger Glucosespiegel appetitanregend. Es gibt einige Untersuchungen die diese Hypothese unterstützen, aber noch keinen endgültigen Beweis.
Der lipostatische Weg
Das Fettgewebe produziert das Protein Leptin. Je besser die Fettspeicher gefüllt sind, desto höher ist der Leptinspiegel im Blut. Leptin gibt dem Gehirn Auskunft darüber, wie hoch die Fettreserven sind.
Leider hat sich die Annahme, dass ein Leptinmangel für die Entstehung von Fettleibigkeit beim Menschen verantwortlich ist, nicht bestätigt. Ein Mangel an Leptin führt zu Hungergefühlen und so zu einer gesteigerten Nahrungsaufnahme, während ein Leptin-Überschuss nicht zwangsläufig den Appetit reduziert. Heute ist man der Ansicht, dass die primäre Aufgabe von Leptin nicht darin besteht, den Körper vor einer überhöhten Nahrungsaufnahme und damit einer zu großen Fettmasse zu schützen, sondern dass es eher vor einem Nahrungsmangel schützen soll, meint Prof. Dr. Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam.
Schließlich werden im Hypothalamus all diese verschiedenen Signale der Augen, des Magens und des Darms zusammengetragen und verarbeitet. Erst dort entsteht das Sättigungsgefühl. Hätte Marcus also nach seiner ersten Portion Spaghetti einfach eine Pause eingelegt und einen Moment gewartet, hätte er vielleicht festgestellt, dass er bereits satt ist und gar keine zweite Portion möchte.
Annika Hollmann
Dieser Beitrag ist Teil eines Projektes der Studenten des 3. und 5. Semester Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt zum Thema "Ernährung":
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