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Totalherbizid: Wie Fachleute eine erneute Zulassung von Glyphosat beurteilen

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den Unkrautvernichter Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen. Fachleute halten den Vorschlag für falsch, aber es gibt auch andere Stimmen.
Ein Traktor bringt ein Pflanzenschutzmittel aus.
Ein Traktor bringt ein Pflanzenschutzmittel aus. Glyphosat kann Nutzpflanzen, die durch gentechnische Veränderung resistent gegen das Herbizid sind, nichts anhaben. In Deutschland wäre bei Glyphosat die gezeigte Form der Ausbringung – nach der Aussaat – aber ausgeschlossen.

Die mögliche Erneuerung der Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat in der EU stößt bei einer Reihe von Fachleuten auf Kritik. Eine Zulassung für weitere zehn Jahre wäre »wissenschaftlich unbegründet und vollkommen unangemessen«, erklärt Rita Triebskorn, Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen, laut einer Aussendung des Science Media Centers. Der EU-Vorschlag sei inakzeptabel. Es gibt aber auch andere Forscher, die den Vorschlag der EU-Kommission für angemessen halten.

Glyphosat ist ein Totalherbizid, das heißt, es wirkt auf alle Pflanzen. Nach Vorschlag der EU-Kommission vom Mittwoch soll die Zulassung um zehn Jahre verlängert werden. Aktuell läuft sie noch bis zum 15. Dezember 2023. Der Entwurf sollte an diesem Freitag mit den EU-Staaten erörtert werden. Die Abstimmung darüber ist für den 13. Oktober vorgesehen. Der weltweite Verkauf glyphosathaltiger Produkte ist ein Milliardenmarkt, die ausgebrachten Mengen sind enorm.

Johann Zaller von der Universität für Bodenkultur Wien sieht das Papier ebenfalls sehr kritisch: »Im Grunde genommen ist der Vorschlag eine Verhöhnung der ökologischen Wissenschaften«, sagt er gemäß dem Science Media Center. Der Vorschlag der EU-Kommission offenbare ein systematisches Leugnen des dramatischen Rückgangs der Biodiversität und ein Leugnen der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Glyphosat dazu beiträgt. »Auswirkungen auf Bodenorganismen und Bodengesundheit werden im Vorschlag nicht einmal erwähnt, obwohl evident ist, dass die Böden in ganz Europa mit Glyphosat kontaminiert sind.«

»Im Grunde genommen ist der Vorschlag eine Verhöhnung der ökologischen Wissenschaften«Johann Zaller von der Universität für Bodenkultur Wien

Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen, das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt. Wo Glyphosat ausgebracht wird, wächst kein Gras mehr, auch kein Kraut, Strauch oder Moos. Ackerflächen können so vor oder kurz nach der Aussaat und nochmals nach der Ernte unkrautfrei gemacht werden. Mit gentechnisch hergestellten Nutzpflanzen, deren Wachstum nicht durch Glyphosat beeinträchtigt wird, lässt sich das Mittel zudem auch auf bereits bepflanzten Feldern verwenden.

Vorgesehene Regelungen gehen nicht weit genug

Zwar sieht die EU-Kommission Einschränkungen und Bedingungen vor – zum Beispiel Höchstwerte für toxikologisch relevante Verunreinigungen im Glyphosat, nicht besprühte Pufferstreifen am Feldrand und einen besseren Schutz von Land- und Wasserpflanzen vor so genannter Sprühdrift bei der Ausbringung. Diese seien aber nicht ausreichend, um den Wirkstoff gefahrlos in die Umwelt zu entlassen beziehungsweise die zunehmende Akkumulation in Mensch und Umwelt zu begrenzen, erklärt die Ökotoxikologin Triebskorn gemeinsam mit ihrem Institutskollegen Heinz-Rüdiger Köhler.

Wissenslücken bei toxikologischen und ökotoxikologischen Befunden würden als Argument für eine Zulassung gewertet, bemängelten Köhler und Triebskorn, die auch Mitglied des Expertengremiums Spurenstoffe des Bundesumweltministeriums ist. Langfristige Wirkungen seien bislang kaum erforscht – das Fehlen solcher Daten dürfe aber kein Grund für eine weitere Zulassung sein, sondern müsse nach dem Vorsorgeprinzip im Gegenteil dazu führen, dass die Substanz nicht länger eingesetzt werden darf.

Überdies würden Studien vorliegen, so Johann Zaller, die von einer weiteren Verwendung des Unkrautvernichters ökologisch gesehen abraten. Jüngst haben auch Fachleute der Universität Stockholm eine Analyse im Fachblatt »Environmental Health« veröffentlicht – mit dem Ergebnis, dass Konzerne bei der Zulassung von Pestiziden den europäischen Behörden Untersuchungsergebnisse vorenthalten hätten. Bereits 2022 berichteten dieselben Studienautoren, dass eine Arbeit aus dem Jahr 2001 zu neurotoxischen Effekten des Wirkstoffs Glyphosat-Trimesium nie bei den EU-Zulassungsbehörden eingereicht worden sei. Bei einem Teil der betroffenen Analysen hätten die enthaltenen Ergebnisse Einfluss auf den Zulassungsprozess haben können. Warum die Untersuchungen nicht eingereicht wurden, sei aber unklar.

»Ich halte den Vorschlag für angemessen«Christoph Schäfers vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie in Schmallenberg

Was die erneute Zulassung von Glyphosat betrifft, kommt Christoph Schäfers vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie in Schmallenberg zu einer anderen Einschätzung als Triebkorn, Köhler und Zaller. »Ich halte den Vorschlag für angemessen«, teilte er dem Science Media Center mit. Durch die Beschränkung auf 10 statt der üblichen 15 Jahre werde deutlich gemacht, dass es sich um eine besonders zu beobachtende Substanz handele. »Bei der Bewertung des Restrisikos sollte berücksichtigt werden, dass es bis heute keine Substanz gibt, die bei vergleichbarer Wirkung weniger unerwünschte Nebenwirkungen hat.«

Das wesentliche Problem von Glyphosat sei sein Einsatz in extrem großem Umfang, so Schäfers. Wenn dieser im Zuge der neuen Regulation eingeschränkt werde, sei bereits viel erreicht – auch wenn eine Produktion gänzlich ohne Herbizide letztlich besser sei.

»Glyphosat ist zwar von den Risiken her gesehen ein Leichtgewicht, aber es ist ein großer Treiber bei den ausgebrachten Mengen«, gibt Horst-Henning Steinmann von der Universität Göttingen zu bedenken. Da die Nutzung von Glyphosat schon in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Einschränkungen belegt gewesen sei, sei denkbar, dass sich die Anwendungsmengen mit der vorgestellten Regelung nur wenig gegenüber der Vergangenheit verändern würden. »Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, ob ein System einer Mengendeckelung machbar ist«, so Steinmann. Damit könne erreicht werden, dass Glyphosat nur dort angewendet wird, »wo es den größten Nutzen hat und wo es keine praktikable Alternative gibt«.

Konzern Bayer begrüßt den Vorschlag der EU-Kommission

Mit ihrem Vorschlag stellt sich die EU-Kommission gegen Forderungen aus Deutschland. »Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen«, hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gesagt. Eine vielfältige und intakte Pflanzen- und Tierwelt sei die Voraussetzung für sichere Ernten. Der Agrarchemiekonzern Bayer hingegen hatte den Verordnungsentwurf begrüßt.

Der vom US-Konzern Monsanto entwickelte Wirkstoff wurde 1974 erstmals zugelassen. Im Jahr 2000 lief das Patent aus, seither werden glyphosathaltige Produkte preisgünstig auch von zahlreichen anderen Herstellern angeboten. Wissenschaftler betonen, dass Glyphosat zwar teils durch andere Wirkstoffe ersetzt werden könne, ein schlichtes Ersetzen aber keine Lösung sei: Die Menge genutzter Herbizide und anderer Pflanzenschutzmittel müsse generell deutlich vermindert werden. Grundsätzlich glyphosatfrei sei der ökologische Landbau, egal in welchem Bereich. (dpa/kas)

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