Wahlentscheidung: Die unheimliche Macht von Fake News

»In Springfield machen Einwanderer Jagd auf unsere Haustiere, um sie zu essen!« Die falschen Beschuldigungen, die Donald Trump und andere Republikaner 2024 während des Wahlkampfs für die Präsidentschaft zum Besten gaben, erschienen vielen so absurd, dass sie darüber nur lachen konnten. Allerdings zeigen wissenschaftliche Studien: Selbst wenn wir um die absolute Haltlosigkeit von Behauptungen wissen, beeinflussen sie unser Gedächtnis und unsere Entscheidungen. Warum ist das so – und was können wir dann dagegen tun, von Fake News manipuliert zu werden?
Einen bedeutenden Teil unseres Wissens über die Welt beziehen wir aus unzuverlässigen Quellen. In den sozialen Netzwerken ist jeder Nutzer gleichzeitig ein potenzieller Nachrichtenlieferant; tagtäglich überrollt uns eine Flut von wahren und falschen Informationen. Natürlich kommt es darauf an, wie viel Gewicht wir den verschiedenen Aussagen beimessen. Aber was passiert eigentlich mit uns, wenn wir Fake News sehen, hören oder lesen? Wie stark beeinflusst uns eine Information aus offensichtlich dubioser Quelle? Vielleicht haben wir Tage oder Wochen später längst vergessen, wo und von wem wir etwas gehört haben, und auch, ob wir die Information damals für glaubwürdig oder falsch hielten.
Pah, lächerlich! Und doch bleibt etwas hängen
Schon seit vielen Jahren werden die Auswirkungen von Falschmeldungen auf unser Gedächtnis wissenschaftlich untersucht. 2018 führte eine Arbeitsgruppe um den Psychologen Robert Nash von der University of Birmingham ein beeindruckendes Experiment durch: Die Hälfte der Studienteilnehmer betrachtete authentische Fotos von medial verbreiteten Ereignissen in London, nämlich von der olympischen Fackelübergabe sowie von der Hochzeit von Prince William und Kate Middleton. Die andere Hälfte bekam Bilder derselben Ereignisse zu sehen, die Fotos waren allerdings retuschiert.
So waren etwa beim Fackellauf Polizisten im Bild zu erkennen sowie Protestplakate gegen die Olympischen Spiele. Auch wirkte das Gesicht des Fackelträgers anders als im Original auf einmal ängstlich. Bei manchen Fotos ging man bei der Bildbearbeitung sehr subtil vor, in anderen mit Absicht dilettantisch, wodurch die nachträgliche Manipulation für jeden Betrachter offensichtlich war: Beispielsweise war ein hineinretuschiertes Motorrad viel zu groß, die Farben wirkten seltsam, einem Fahrrad fehlte gar ein ganzes Rad.
Wie die Studie ergab, veränderte das Anschauen gefakter Bilder die Erinnerung an die medialen Ereignisse tatsächlich. Direkt im Anschluss an das Betrachten erklärten manche Versuchspersonen, sich in der Tat daran zu erinnern, dass bei der Fackelübergabe viele gewaltbereite Demonstranten vor Ort gewesen seien. Versuchsteilnehmer, denen man die authentischen Aufnahmen präsentiert hatte, hatten, wenig überraschend, keine solchen Erinnerungen. Noch erstaunlicher war allerdings, dass jene, denen man die ganz offenkundig manipulierten Bilder gezeigt hatte, im gleichen Ausmaß auf den Irrweg gerieten.
Verwirrung bei der Zuordnung der Quellen
Wie kann es sein, dass offensichtliche Fake News unser Gedächtnis dennoch durcheinanderbringen? Weithin akzeptiert ist die »Theorie der Quellenerinnerung«. Ihr zufolge speichern wir verinnerlichte Erkenntnisse bisweilen ohne ihren ursprünglichen Kontext ab. Konkret bedeutet das: Sie lesen etwas auf der Plattform X und erinnern sich einige Tage später zwar noch an den Inhalt, allerdings nicht mehr daran, wer ihn gepostet hat. Aber wenn Sie das vergessen, besteht die Gefahr, die Information mit einer glaubhaften Quelle in Verbindung zu bringen. »Woher hatte ich das noch mal: War das irgendein Leserkommentar in der Onlineausgabe meiner Zeitung? Oder kam es von einer offiziellen Stelle …?« Die Verwechslung von Quellen könnte tatsächlich ein wesentlicher Grund sein, warum man eine ursprünglich für abwegig gehaltene Information schließlich trotzdem als glaubwürdig abspeichert.
Ich kenne mich schließlich aus!
Wie kann man sich gegen dieses Phänomen wappnen? Vielleicht denken Sie, dass Sie sich weniger manipulieren lassen, wenn Sie sich schon zuvor ausgiebig mit einem Thema beschäftigt haben. Doch auch das ist nicht unbedingt der Fall. 2017 befragten Anthony O'Connell von der University of Cork in Irland und Ciara Greene von der University of Dublin im Rahmen einer Studie 489 Freiwillige zu ihrem Interesse an sieben verschiedenen Wissensgebieten, darunter Dinge wie Fußball, Politik und Musik. Anschließend präsentierte das Team den Probanden diverse Fake News und testete – einige Tage später –, was davon sich die Versuchspersonen gemerkt hatten. Das verblüffende Ergebnis: Gerade bei ihrem Lieblingsthema erinnerten sich die Menschen besonders oft an Falschnachrichten, die sie allerdings als wahr erachteten!
Gerade bei ihrem Lieblingsthema erinnerten sich die Menschen besonders oft an Falschnachrichten, die sie allerdings als wahr erachteten
Die Algorithmen der sozialen Netzwerke liefern uns mit hoher Treffsicherheit Inhalte zu unseren Hauptinteressen. Somit erreichen uns auch ausgesprochen viele Fehlinformationen in Wissensdomänen, wo wir uns zu Hause fühlen. Je mehr Daten aus einem Wissensbereich wir aber bereits im Kopf haben, desto größer ist möglicherweise das Risiko, dass wir irgendwann die ursprünglichen Quellen verwechseln. Vielleicht schenken Menschen auch schlicht allen (wahren wie falschen) Nachrichten zu ihren Lieblingsthemen gesteigerte Aufmerksamkeit.
Wir glauben, was wir glauben wollen
Und noch andere Faktoren beeinflussen, wie anfällig wir dafür sind, Fake News zu verinnerlichen. 2019 untersuchte ein Team um Gillian Murphy von der University of Cork in Irland, welche Rolle ideologische Zugehörigkeit und individuelle Einstellungen spielen. Damals teilte eine Volksabstimmung zum Thema Abtreibung die öffentliche Meinung in Irland in zwei Lager: jenes, das das bestehende Verbot verteidigte, und jenes, das ein Recht auf Abtreibung einforderte.
Eine Woche vor dem Referendum verbreiteten die Forscher online einen Fragebogen, auf dem man seine Abstimmungsabsicht angeben sollte. Anschließend konfrontierte man die Befragungsteilnehmer mit einer Reihe von Ereignissen, die vor dem Referendum tatsächlich oder nur angeblich stattgefunden hatten: Einiges war also genau so geschehen, anderes frei erfunden. Keine der wahren oder erlogenen Geschichten hatte direkt etwas mit dem Thema Abtreibung zu tun. Es ging vielmehr darum, wie sich in die Abtreibungsdiskussion involvierte Politikerinnen und Politiker wirklich oder angeblich einmal verhalten hatten.
Im Schnitt gaben 36 Prozent der Probanden an, sich an erfundene Ereignisse erinnern, die sie jedoch für wahr hielten
Nachdem sie die Nachrichten gelesen hatten, sollten die Probanden eine der folgenden Optionen auswählen: »Ich erinnere mich daran, das gesehen zu haben«; »Ich kann mich nicht daran erinnern, das gesehen zu haben, aber ich erinnere mich, dass es sich so zugetragen hat«; »Daran habe ich überhaupt keine Erinnerung«; oder »Ich erinnere mich, dass sich das anders zugetragen hat«. Nur die ersten beiden Antworten wiesen darauf hin, dass eine Person eine falsche Erinnerung aufgebaut hatte – sofern das berichtete Ereignis frei erfunden war. Im Schnitt gaben 36 Prozent der Probanden an, sich an erfundene Ereignisse zu erinnern, die sie jedoch für wahr hielten. Und die Quote stieg auf fast 50 Prozent, wenn das Ereignis das »gegnerische Lager« in ein negatives Licht stellte oder die eigene Position aufwertete.
Eine weitere Studie, die dieselben Forscher 2021 im Rahmen der Debatte »Für oder gegen den Brexit?« im Vereinigten Königreich durchführten, bestätigte die Rolle der ideologischen Prägung für die Neigung, dazu passende Fake News zu verinnerlichen. Kurz gesagt: Unser Gedächtnis ist umso anfälliger für Beeinflussung durch Falschnachrichten, je besser Letztere unseren eigenen vorgefassten Überzeugungen entsprechen.
Wie stark bestimmen Fake News, wie wir handeln?
Schon 2005 hatte die amerikanische Kognitionswissenschaftlerin Elizabeth Loftus mit ihrem Team beobachtet, dass eine falsche Erinnerung durchaus nachhaltige Auswirkungen darauf haben kann, wie sich jemand verhält. In einem ihrer inzwischen fast schon legendären Versuche machte man etwa die Versuchspersonen glauben, dass sie im Kindesalter erkrankt waren, nachdem sie ein bestimmtes (verdorbenes) Lebensmittel gegessen hatten. Irgendwann gaben sie an, sich tatsächlich zu erinnern, dass ihnen das als Kind passiert war – und mieden dieses Essen fortan.
In der realen Welt gibt es zahllose Beispiele dafür, wie Desinformationen zu falschen Erinnerungen mutieren, die wiederum unsere Entscheidungen beeinflussen. So haben offenbar viele Menschen die (widerlegte) Behauptung, dass die MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) das Risiko für Autismus erhöht, derart verinnerlicht, dass es in vielen Ländern zu sinkenden Impfraten kam. Es gibt aber nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen, die Effekte von Fake News auf unser Handeln experimentell quantifizieren. Eine Ausnahme ist eine Studie von Gillian Murphy und Ciara Greene während der Covid-19-Krise. Damals kursierte eine Vielzahl von Falschinformationen, und man sorgte sich, dass die Bevölkerung die Impfungen gegen das neue Virus am Ende nicht gut annehmen würde.
Obwohl sie nur ein einziges Mal mit der Falschnachricht konfrontiert worden waren, erklärten einige tatsächlich, sie wollten künftig mehr Kaffee trinken
In seinem Versuch präsentierte das Forschungsteam mehr als 3700 Freiwilligen wahre und falsche Studienergebnisse zum Thema Covid. Aus nachvollziehbaren Gründen waren die gefälschten Daten verhältnismäßig wenig entscheidungsrelevant, was die Impfung selbst betraf. Eine der genutzten Fake News lautete etwa: »Eine Studie des University College London hat gezeigt, dass drei Tassen Kaffee am Tag die schweren Symptome einer Corona-Erkrankung mildern können. Die Wissenschaftler untersuchen nun mögliche Verbindungen zwischen Koffeinkonsum und Immunsystem.«
Nachdem sie (wahre und erfundene) Studienergebnisse gelesen hatten, sollten die Teilnehmer zunächst jeweils angeben, woran sie sich erinnerten, und anschließend, wie sie sich künftig verhalten würden: Hatten sie beispielsweise vor, in Zukunft ihren Kaffeekonsum zu erhöhen? Wie zu erwarten, hatten manche Personen falsche Erinnerungen gebildet und dachten, sie hätten die erfundenen Informationen zuvor schon einmal anderweitig gehört. Obwohl sie nur ein einziges Mal mit der Falschnachricht konfrontiert worden waren, erklärten einige tatsächlich, sie wollten künftig mehr Kaffee trinken.
Faktenchecks oder: Sind wir Fake News hilflos ausgeliefert?
Doch wenn wir so leicht manipulierbar sind – was können wir tun, um keine Opfer von Fehlinformationen zu werden? Zahlreiche Studien haben sich mit dieser für die Gesellschaft sehr wichtigen Frage befasst – allerdings existiert wohl keine einfache Antwort. Das typische »Fact Checking«, das eingehende Prüfen von behaupteten Tatsachen durch eine Redaktion, ist sicherlich lobenswert. Dabei werden gut belegte Argumente in die Debatte eingebracht und falsche Informationen korrigiert. Etliche Medien haben entsprechende Fact-Checking-Rubriken eingeführt, in Frankreich etwa »Desintox« in der Tageszeitung »Libération« oder »Les décodeurs« in »Le Monde«. Auch bei deutschen Medien, etwa im Nachgang von Politik-Sendungen, ist dies nicht mehr unüblich.
Ein Team um John Carey vom Dartmouth College in den USA untersuchte während der Coronakrise in einem Experiment, ob man auf diese Weise wirksam gegen falsche Aussagen zu Covid-19 vorgehen kann. Zunächst werteten die Forscher das Maß an Akzeptanz einer Nachricht aus, etwa »Covid-19 verbreitet sich durch die Luft« (was wahr ist) oder »Hydroxychloroquin heilt die Viruserkrankung« oder »Covid-19 ist eine chinesische Biowaffe« (wofür es jeweils keine wissenschaftlichen Belege gibt). Im zweiten Schritt las die Hälfte der Teilnehmer Artikel, welche die falschen Aussagen durch wissenschaftlich erhobene Daten widerlegten – sie bildeten die Fact-Checking-Gruppe.
Das enttäuschende Ergebnis veröffentlichte die Arbeitsgruppe 2022 in der Fachzeitschrift »Nature Human Behaviour«: Kurzfristig verringerte sich der Glaube an Fake News in der Fact-Checking-Gruppe, doch der Effekt hielt nicht lange an. Als man die Probanden einige Wochen später erneut befragte, hatten sie überraschenderweise die Falschinformation genauso stark verinnerlicht wie jene Personen, die nicht in den Genuss des Fact Checkings gekommen waren. Allerdings sei nicht klar, ob das Ergebnis auf Situationen mit besseren Bedingungen übertragbar ist, schränken die Autoren ein. Vielleicht habe die Lawine von Covid-Nachrichten und (Falsch-)Informationen einfach jede mögliche bleibende Wirkung ihrer Faktenchecks überrollt.
Was bleibt uns also, um uns vor falschen Behauptungen zu schützen? Wenn wir uns an die Quelle einer Information, die uns bekannt vorkommt, nicht genau erinnern, dann sollten wir dieser Aussage gegenüber sehr kritisch sein. Man könnte das als persönliche »Informationshygiene« bezeichnen: Wir müssen uns die Zeit nehmen, uns daran zu erinnern, wie und von wem wir etwas erfahren haben. Und wenn wir uns für ein Thema ganz besonders interessieren, sollten wir stets im Kopf haben, dass wir hier Fake News paradoxerweise umso leichter auf den Leim gehen.

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