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Der Ursprung des Lebens: Wie früh könnte Leben im Universum entstanden sein?

Könnte das Wasser in unseren Meeren älter sein als das Sonnensystem? Neue Erkenntnisse über die frühe Wasserbildung im Universum überraschen und legen nahe, dass bewohnbare Welten bereits 200 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden sein könnten.
Künstlerische Darstellung des Urknalls

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind sich heute ziemlich sicher, wie lange unser Universum schon existiert: 13,8 Milliarden Jahre sind vergangen, seit der Kosmos durch den Urknall entstanden ist. Bei einer damit zusammenhängenden Frage sind sie sich jedoch weit weniger sicher: Wann könnte sich das erste Leben irgendwo da draußen gebildet haben? Unser Sonnensystem entstand vor nur 4,6 Milliarden Jahren, nachdem bereits zwei Drittel der kosmischen Zeit verstrichen waren. Das Leben scheint hier entstanden zu sein, nachdem die Erde nach ihrer feurigen Geburt abkühlt war und Ozeane aus flüssigem Wasser beherbergte.

Könnten wir frühe Lebensformen im Universum sein – oder sogar die ersten? Oder sind wir stattdessen spät dran, während das Leben viel früher in der Geschichte des Universums entstanden ist? Die Bestimmung des Zeitpunkts der entscheidenden Voraussetzungen für Leben, wie wir es kennen, wäre hier hilfreich, nämlich wann entstand das Wasser selbst, und wann konnte es einen geeigneten Planeten finden, um sich irgendwo niederzulassen?

Dieser Gedanke inspirierte eine neue Arbeit, die in der Fachzeitschrift »Nature Astronomy« veröffentlicht wurde und in der untersucht wurde, wie viel Wasser einige der ersten Sterne gebildet haben könnten. Man kam dabei zu dem Ergebnis, dass sie das Universum überraschend früh mit dem lebenserhaltenden Molekül angereichert haben könnten. In einer nachfolgenden Preprint-Studie wird nahegelegt, dass felsige, möglicherweise ozeanhaltige Planeten aus diesem wasserreichen Material kurz danach entstanden sein könnten.

»Unsere Simulationen haben gezeigt, dass es bereits 200 Millionen Jahre nach dem Urknall Orte für die Planetenentstehung geben könnte, die mit ähnlichen Wassermengen angereichert sind wie das heutige Sonnensystem«, sagt Daniel Whalen, Astrophysiker an der University of Portsmouth in England und Hauptautor beider Studien.

Um die Auswirkungen zu verstehen, stellen Sie sich vor, dass die 13,8 Milliarden Jahre alte Geschichte des Universums auf eine menschliche Lebensspanne von 70 Jahren komprimiert wäre. Die Ergebnisse von Whalen und seinem Team deuten darauf hin, dass bewohnbare Bedingungen bereits bestanden haben könnten, als dieses jetzt ältere Universum gerade einmal ein Jahr alt war. Das Zeitfenster, in dem sich Leben bilden und gedeihen konnte, war möglicherweise viel größer und älter als von den Forschern bisher angenommen: Lebendige Welten mit erstaunlich alten Ozeanen, die sich innerhalb weniger hundert Millionen Jahre nach dem Anbeginn der Zeit bildeten, könnten über den gesamten Kosmos verstreut sein.

Das kosmische Rezept des Lebens

Bislang wurde das früheste bekannte Wasser im Universum in einer Galaxie entdeckt, die so weit von der Erde entfernt ist, dass ihr Licht etwa 12,9 Milliarden Jahre zu uns unterwegs war. Es stammt also aus einer Zeit, als das Universum knapp eine Milliarde Jahre alt war.

Aber wir wissen, dass das Universum am Anfang eine kosmische Wüste war, in der es keinen Tropfen zu trinken gab. Das änderte sich etwa 100 Millionen Jahre nach dem Urknall, als die ersten Sterne im Universum aufflackerten. Dichte Klumpen aus ursprünglichem Wasserstoff und Helium, die vom Urknall übrig geblieben waren, kollabierten unter ihrem eigenen Gravitationsgewicht und zündeten in ihren Kernen thermonukleare Reaktionen, die das Universum zum ersten Mal erleuchteten. In diesen gigantischen hellen Kernöfen wurden die ersten nennenswerten Mengen an Elementen geschmiedet, die schwerer als Wasserstoff und Helium waren.

Die ersten Sterne, die schnell lebten und jung starben, versorgten ihre Umgebung mit schwereren chemischen Elementen wie Sauerstoff, Kohlenstoff und Silizium. Dieses Material wurde im explosionsartigen Tod der Sterne in Supernovae freigesetzt. Nachfolgende Generationen von Sternen und Planeten bildeten sich aus dieser fruchtbaren Sternenasche, und der aus der Supernova stammende Sauerstoff konnte sich vermutlich mit dem reichlich vorhandenen ursprünglichen Wasserstoff zu Wasser verbinden.

»100 Millionen Jahre lang verfügte das Universum nicht über die Bausteine des Lebens, wie Sauerstoff oder Kohlenstoff. Als die Kernfusion im Inneren der Sterne begann, wurde das Universum viel interessanter«, sagt Avi Loeb, Astrophysiker an der Harvard University.

In gewisser Hinsicht ist die frühe Ankunft der wichtigsten Bestandteile des Lebens – Wasser und schwerere Elemente, die komplexe Moleküle bilden können – also nicht so erstaunlich. Aber wie diese Rohstoffe tatsächlich zusammenkommen konnten, um die Voraussetzungen für das Leben zu schaffen, ist nach wie vor unklar.

Überwindung von Sauerstoff-Engpässen

Trotz des frühen Überflusses war die Herstellung von Wasser damals nicht unbedingt einfach. Das Problem besteht darin, dass die ersten Sterne zwar viel Sauerstoff produzierten, dieser aber über große Gebiete verteilt wurde, als er durch Supernovae ins All geschleudert wurde.

Folglich wäre die Sauerstoffkonzentration im Vergleich zu anderen Elementen immer noch gering gewesen, was die Bildung von Wasser möglicherweise behindert hätte. Und alle Wassermoleküle, die sich dennoch bildeten, wären durch die intensive ultraviolette (UV) Strahlung, die von den Sternen ausgesandt wurde, leicht zu Atomen zurückgesprengt worden. Das frühe Universum war ja kleiner und dichter bevölkert als heute.

Aber im Jahr 2015 sagte Loeb zusammen mit Shmuel Bialy, jetzt am Technion-Israel Institute of Technology, und Amiel Sternberg von der Universität Tel Aviv voraus, dass trotz dieser Hindernisse plausible gemäßigte Bedingungen die Wasserbildung in Gang gesetzt haben könnten. Alles, was es dazu brauchte, waren Temperaturen zwischen 250 und 350 Kelvin (–23 und 77 Grad Celsius), die in einigen der Gaswolken herrschten, die das frühe Universum durchzogen.

»Bei hohen Gastemperaturen setzt eine Reihe sehr effizienter chemischer Reaktionen ein, die zur Wasserbildung führen«, sagt Bialy. »Dadurch erhöht sich die H2O-Bildungsrate so stark, dass sie dem geringen Sauerstoffangebot und der zerstörerischen UV-Strahlung entgegenwirken kann.«

Die neuen Simulationen von Whalen und seinen Kollegen verleihen diesen früheren Vorhersagen zusätzliches Gewicht.

Für ihre Studie in »Nature Astronomy« erstellte das Team numerische Modelle für die Supernova-Explosionen von zwei Sternen der ersten Generation – einer hatte 13-mal so viel Masse wie die Sonne, der andere das 200-Fache. Der kleinere simulierte Stern überlebte etwa 12 Millionen Jahre, bevor er als Supernova starb und 17 000 Erdmassen Sauerstoff in das umgebende interstellare Medium schleuderte. Der größere Stern überlebte nur zweieinhalb Millionen Jahre, bevor er sein eigenes explosives Ende erlebte und dabei 55 Sonnenmassen (mehr als 18 Millionen Erdmassen) an Sauerstoff freisetzte.

Was dann geschah, war überraschend: Als die Stoßwelle jeder virtuellen Supernova nach außen drang, verursachten die Wellen Dichteunterschiede im umgebenden Gas, wodurch sich ein Teil des Gases zu Klumpen verdichtete. Von dort aus wurden diese dichten Klumpen von der sich ausdehnenden Auswurfsfront der Supernova mit Sauerstoff und anderen Elementen der nächsten Generation berieselt. In Übereinstimmung mit der Vorhersage von Loeb, Sternberg und Bialy konnten die Klumpen auf Grund des dichteren Gases mehr thermische Wärme speichern, was schnellere Wasser erzeugende chemische Reaktionen ermöglichte.

»Während die Gesamtwasserproduktion bei einer Supernova-Explosion bescheiden ist, kann der Wassermassenanteil in den dichten Klumpen, die durch die Explosion entstehen, an denjenigen heranreichen, der heute im Sonnensystem existiert«, bestätigt Whalen. »Dieses Ergebnis haben wir nicht erwartet, und es ist wichtig, weil diese dichten Klumpen die einzigen Strukturen sind, die kollabieren können, um Sterne und protoplanetare Scheiben in den Trümmern der Explosion zu bilden.«

Whalen gibt zu bedenken, dass die Simulationen seiner Gruppe derzeit nur vorläufige Antworten liefern. »Wir haben nicht alle physikalischen Grundlagen«, sagt er. »Wir sind uns nicht sicher, welche Massen die ersten Sterne hatten, aber es wird allgemein angenommen, dass sie Dutzende bis Hunderte von Sonnenmassen hatten.« In den Simulationen wurde auch nur die Entstehung eines einzelnen Sterns modelliert, obwohl man davon ausgeht, dass das frühe Universum ziemlich klaustrophobisch war und sich mehrere Sterne in unmittelbarer Nähe bildeten. Wie genau dies die Wasserproduktion beeinflussen könnte, ist unklar.

Einfach Wasser hinzufügen

Aber nehmen wir einmal an, dass diese theoretischen Spekulationen und Berechnungsmodelle die Realität widerspiegeln. Wenn Wasser in Regionen des frühen Universums, in denen sich später Sterne der zweiten Generation bilden konnten, so reichlich vorhanden war, könnten dann aus diesem kosmischen Nebel erdähnliche Planeten entstehen?

Das ist im Wesentlichen die Frage, die Whalen und seine Mitautoren in der nächsten Studie stellten. In einer zweiten Reihe von Simulationen wurde getestet, ob die mit Wasser angereicherten Gasklumpen aus der ersten Reihe zu einem massearmen Stern mit einer protoplanetaren Scheibe kollabieren könnten. Und weiter, ob die entstandene protoplanetare Scheibe in der Lage sei, felsige, feuchte Welten hervorzubringen. Und die Antwort lautet kurz gesagt, ja.

In diesen Folgesimulationen wird ein kleiner Stern, etwa drei Viertel der Sonnenmasse, aus dem dichten Gas geboren, mit Planetesimalen – kilometergroßen Vorläufern der irdischen Planeten – im Schlepptau. Trotz seiner möglichen Entstehung so früh in der kosmischen Geschichte hat ein Stern dieser Größe vielleicht noch nicht den größten Teil seines thermonuklearen Brennstoffs verbrannt, was bedeutet, dass er selbst jetzt, viele Milliarden Jahre später, noch leuchten würde. Und das heißt, dass die möglichen ursprünglichen Planeten eines solchen Sterns, die einen Ozean beherbergen, noch da draußen sein könnten und darauf warten, dass wir sie finden und untersuchen.

Das soll nicht heißen, dass das Leben auf solchen Welten unbedingt einen leichten Start hätte. Alles zerstörende Zusammenstöße mit Protoplaneten, Asteroiden und Kometen sind während der Entstehung eines Planeten und in den nächsten 10 bis 100 Millionen Jahren danach wahrscheinlich üblich. Wenn auf einer dieser Welten jemals Leben entstanden wäre, hätte es diese Bombardierung überstehen müssen – oder das Ende dieser Bombarbierungen abwarten.

Wenn man von der Erdgeschichte ausgeht, in der das Leben möglicherweise erst einige hundert Millionen Jahre nach der Entstehung unseres Planeten begonnen hat, ergibt sich eine ungefähre kosmische Chronologie: 100 Millionen Jahre, bis die ersten Sterne geboren werden, 10 Millionen, bis diese Sterne leben, sterben und schwerere Elemente verbreiten, weitere 100 Millionen, bis die zweite Generation von Sternen mit geringerer Masse entsteht, und weitere 100 Millionen, bis felsige Welten stabile, für Leben geeignete Oberflächenbedingungen erreichen. Dieser Zeitplan bedeutet, dass das Leben knapp 300 Millionen Jahre nach dem Urknall begonnen haben könnte, vielleicht sogar, bevor sich die ersten erkennbaren Galaxien bildeten.

Ein Rätsel, das Whalen immer noch beschäftigt, ist die Herkunft des Wassers in den Ozeanen der Erde. »Jemand hat mich gefragt, ob es möglich ist, dass etwas von diesem Urwasser heute hier ist. Ehrlich gesagt: Wir können es nicht ausschließen«, sagt er. »Ein Teil des Wassers auf der Erde ist älter als das Sonnensystem selbst, aber wie alt dieses Wasser ist, wissen wir nicht genau. Es ist möglich, dass ein Teil davon urzeitlich ist.«

Das ist etwas, worüber man nachdenken sollte, wenn man das nächste Mal ein Glas erhebt: Einige der durstlöschenden Moleküle in Ihrem Becher könnten vor mehr als 13 Milliarden Jahren in der sich ausdehnenden Stoßwelle eines der ersten Sterne des Universums entstanden sein.

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