Mpox: Wie gefährlich die neue Affenpocken-Variante wirklich ist
Die Affenpocken sind zurück – in Form einer deutlich ansteckenderen und vor allem tödlicheren Variante. Zwei Jahre nach dem überraschenden weltweiten Ausbruch, auf dessen Höhepunkt im Jahr 2022 täglich tausende Menschen überall auf der Welt erkrankten, wächst die Gefahr einer zweiten Welle. Die Zahl der Infizierten steige exponentiell an, schreibt das Gesundheitsministerium der Demokratischen Republik Kongo, wo sich der neue Erreger derzeit ausbreitet, in einem aktuellen Bericht. Und schon im Juni warnten Fachleute bei einem Briefing der Weltgesundheitsorganisation, dass sich das inzwischen als Mpox bezeichnete Virus nun ausgehend von Zentralafrika erneut international verbreiten könnte.
Eigentlich sind die Affenpocken eine Zoonose – eine Tierkrankheit, die nur selten auf den Menschen überspringt. Welches Tier der ursprüngliche Wirt ist, ist nicht genau bekannt. Das Virus kommt in zwei sehr unterschiedlichen Versionen vor, die man als Kladen oder auch Abstammungslinien bezeichnet. Ursache der erneuten Bedrohung ist jetzt eine neue Variante des Erregers, Klade Ib genannt, die ihren Ursprung in Zentralafrika hat. Jener Erreger, der den internationalen Ausbruch von 2022 verursachte, gehörte dagegen zur Klade II. Die ist in Westafrika entstanden und verursacht eine nur selten gefährlich verlaufende Krankheit. Von den rund 90 000 Infizierten des Jahres 2022 starben lediglich 162.
Fachleute erschreckt nun vor allem der hohe Anteil der Todesfälle beim aktuellen Infektionsgeschehen. Fünf Prozent der erkrankten Erwachsenen und sogar zehn Prozent der erkrankten Kinder sterben am Virus, sagte im Juni Jean Claude Udahemuka von der University of Rwanda, der den Ausbruch erforscht. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass sich dieser Erreger auch in Bevölkerungsgruppen verbreitet, die 2022 von Mpox nicht betroffen waren. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stecken sich offenbar vor allem Kinder in Schulen gegenseitig an, rund 70 Prozent der laborbestätigten Infizierten sind Kinder unter 15 Jahren.
Noch vor Kurzem galt Klade I als eine reine Tierseuche, die nur selten Menschen befällt. Das jedoch hat sich mit Klade Ib geändert, wie genetische Daten belegen. »Es lässt sich ablesen, dass sich dieses Virus neuerdings von Mensch zu Mensch ausbreitet«, erklärt Sébastien Calvignac-Spencer, Leiter der Abteilung Evolution von Krankheitserregern des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) in Greifswald. »Wir sehen in seinem Genom APOBEC-Mutationen, die von einem speziellen menschlichen Protein verursacht werden, das die Viren an der Fortpflanzung hindern soll.« Diese Mutationen sind so etwas wie Narben, die vom menschlichen Immunsystem verursacht werden und sich ansammeln, wenn sich das Virus erfolgreich unter Menschen ausbreitet.
Der erste internationale Ausbruch der Affenpocken, der kurzzeitig die Sorge aufkommen ließ, es könnte sich noch während des Corona-Geschehens eine zweite Pandemie auf den Weg machen, war ganz ähnlich gestartet. Zunächst unbemerkt hatten sich bereits seit 2014 zahlreiche Menschen in Westafrika mit einer Variante des Mpox-Virus infiziert, Klade IIb genannt. Dabei sammelte das Virus ebenfalls die charakteristischen APOBEC-Mutationen ein. 2017 entwickelte sich die Krankheit in Nigeria zu einer regionalen Epidemie mit mehr als 100 Infizierten, wodurch die Behörden überhaupt erst auf die Situation aufmerksam wurden. Schließlich gelangte das Virus nach Europa und verbreitete sich von dort weltweit. Beim neuen Ausbruch, so fürchten Fachleute, könnte sich die Geschichte wiederholen, nur eben mit einem deutlich gefährlicheren Virus.
Ein solcher Doppelschlag ist bemerkenswert. Normalerweise schaffen Viren den Sprung vom Tier zu einer sich von Mensch zu Mensch ausbreitenden Seuche nur einmal, denn die Hürden für einen Wirtswechsel sind sehr hoch. So gab es zwar im Zeitverlauf viele Varianten vom Coronavirus Sars-CoV-2, doch sie alle stammen von einer einzigen Viruslinie ab. Das Mpox-Virus dagegen hat das Kunststück binnen weniger Jahre gleich zweimal geschafft.
Was hinter den Ausbrüchen steckt
Virenexperte Calvignac-Spencer sieht mehrere mögliche Gründe für diese Besonderheit. Einer davon sei, dass der bevölkerungsweite Schutz durch die Pockenimpfung, die auch Mpox-Viren abwehrt, nach und nach verschwinde. »Vor 40 Jahren, als nahezu alle gegen Pocken geimpft waren, gab es nur wenige Fälle im Jahr. Doch dieser Schutz verschwindet langsam und die Gefahr steigt, dass sich Menschen anstecken und das Virus weitergeben«, sagt er. Außerdem sei die Bevölkerungsdichte auf dem afrikanischen Kontinent, dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet der Viren, deutlich gestiegen, wodurch auch mehr Menschen in Kontakt mit den Wirtstieren kommen. »Eine weitere Möglichkeit ist, dass das Wirtstier selbst eine Rolle spielt. Wenn dessen Population stark steigt, steigt auch die Zahl der Übertragungen auf Menschen.«
»Wie bei allen Infektionskrankheiten ist auch das hier ein Spiel mit großen Zahlen«Sébastien Calvignac-Spencer, Helmholtz-Institut für One Health
Das sei vergleichbar mit der Entwicklung des Hantavirus in Deutschland. In Jahren mit günstigem Wetter und viel Futter vermehren sich die verschiedenen Maus- und Rattenarten, die dieses Virus in sich tragen, sehr stark und verursachen mehr Ansteckungen bei Menschen. »Leider wissen wir bei Mpox nur wenig über die Wirtsspezies, deswegen können wir nicht sicher sagen, ob das eine Rolle spielt.« Wenn jedoch die Immunität in der Bevölkerung ab- und die Kontakte zwischen Tier und Mensch zunehmen, erhöht das die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass eine zwischen Menschen übertragbare Variante auftaucht.
»Wie bei allen Infektionskrankheiten ist auch das hier ein Spiel mit großen Zahlen«, sagt Calvignac-Spencer. »Je mehr Gelegenheiten das Virus bekommt, desto höher ist die Chance, dass alle Bedingungen für die Ausbreitung unter Menschen zusammenkommen.« Pockenviren haben außerdem einen Startvorteil. Sie nutzen zum Eindringen in die Zelle einen Rezeptor, der bei allen Säugetieren sehr ähnlich ist. Diese Virusklasse hat damit eine Art Generalschlüssel. Es reicht aber nicht, nur eine Zelle zu infizieren – die Maschinerie der Zelle muss anspringen und die Vervielfältigung der viralen Informationen übernehmen. Hier können Unterschiede zwischen verschiedenen Arten dem Virus erhebliche Probleme bereiten.
Vermutlich ist das neue Virus ansteckender
Dass das Virus der Klade IIb nicht gut an Menschen angepasst war, führte dazu, dass sich der erste Mpox-Ausbruch von 2022 relativ leicht kontrollieren ließ. Schnell stellte sich heraus, dass das Virus fast ausschließlich unter Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), zirkulierte, und auch hier nur in einer eng vernetzten Untergruppe. Offenbar kann sich das IIb-Virus nur durch sexuelle Übertragung innerhalb bestimmter, enger Kontaktnetzwerke verbreiten; in der Allgemeinbevölkerung reißen die Ansteckungsketten schnell ab. Als innerhalb der betroffenen Gemeinschaft Vorsichtsmaßnahmen und Impfkampagnen griffen, ging die Zahl der Ansteckungen drastisch zurück.
Klade Ib dagegen ist vermutlich etwas ansteckender als der Vorgänger von 2022, es ist eine viel größere Bandbreite von Personen betroffen. Zwar scheint die sexuelle Übertragung hier ebenfalls eine Rolle zu spielen, doch es dominieren Infektionen zwischen heterosexuellen Paaren – viele Betroffene sind laut Daten der kongolesischen Gesundheitsbehörden Sexarbeiterinnen. Zusätzlich scheinen andere Übertragungswege eine Rolle zu spielen, zum Beispiel Ansteckungen im Haushalt und sogar zwischen Schulkindern.
Für ein ansteckenderes Virus spricht auch, dass sich Klade Ib vermutlich bereits stärker verbreitet hat als Klade IIb zum gleichen Zeitpunkt der Entwicklung. Letztere entstand zwar nach derzeitigem Kenntnisstand bereits um das Jahr 2014 in Westafrika, aber es dauerte bis 2017, bis die Epidemie Aufmerksamkeit erregte. Selbst wenn die Daten über die frühe Ausbreitung sehr unsicher sind, zeigen Zahlen aus Nigeria, wie klein der Ausbruch war. Ein Team um die Epidemiologin Adesola Yinka-Ogunleye verzeichnete zwischen September 2017 und September 2018 exakt 122 Mpox-Infektionen mit insgesamt sieben Toten.
Dagegen vermeldete die DR Kongo für den Zeitraum zwischen Januar 2023 und April 2024 beinahe 20 000 Verdachtsfälle auf Klade-I-Affenpocken, viele davon in Regionen, in denen die Krankheit bisher nicht vorkam. Zuletzt entdeckte man die Krankheit in Sammellagern für Vertriebene. Mehr als 1000 Menschen sind mutmaßlich bereits an der Krankheit gestorben. Drei Viertel der Opfer waren jünger als 15 Jahre. Besonders gefährdet sind kleine Kinder: Im Alter von unter einem Jahr sterben sie viermal so oft wie 15-Jährige.
Regional ist der Ausbruch ein großes Problem
Allerdings sind solche Angaben sehr unsicher, denn die Daten sind wegen der schlechten Gesundheitsinfrastruktur in der DR Kongo lückenhaft. Deswegen können selbst Fachleute nur sehr schwer einschätzen, wie groß die Gefahr durch Klade Ib wirklich ist. »»Es gibt vermutlich viel mehr Infizierte als wir wissen. Und die Situation ist sogar noch komplizierter, denn die Region um die großen Seen ist enorm dicht besiedelt und die Bevölkerung sehr mobil auch über Landesgrenzen hinweg«, sagt Calvignac-Spencer.
Die Situation ist jedenfalls kritisch genug, dass die WHO am 25. Juni 2024 vor der neuen Virusvariante warnte und dazu aufrief, ihre Ausbreitung in der Region zu bekämpfen. Es bestehe die Gefahr, dass sie in andere Länder überspringe. Das wäre eine weitere Parallele zum globalen Ausbruch von Klade IIb. Die Epidemie in Nigeria von 2017 wurde international so lange ignoriert, bis die ersten Fälle außerhalb Afrikas auftraten. Da jedoch war es bereits zu spät. Bis heute verbreitet sich Klade IIb weltweit, zuletzt starben in Südafrika drei Menschen an dem Virus.
»Ärztinnen und Ärzte wissen, wie Mpox aussieht, und die Gesundheitssysteme haben ihre Überwachung der Krankheit verbessert«Sébastien Calvignac-Spencer, Helmholtz-Institut für One Health
Aus Sicht von Calvignac-Spencer ist es aber unwahrscheinlich, dass sich Klade Ib bei einem internationalen Ausbruch ebenso rasant verbreiten wird wie Klade IIb im Jahr 2022. »Der internationale Ausbruch ist gerade mal zwei Jahre her, so dass man ähnliche Ausbrüche schnell identifizieren sollte. Ärztinnen und Ärzte wissen, wie Mpox aussieht, und die Gesundheitssysteme haben ihre Überwachung der Krankheit verbessert«, erklärt er. »Ein Problem ist, dass Klade Ib mutmaßlich gefährlicher ist.« Es sei nicht klar, wie sich das in Regionen mit besseren Gesundheitssystemen auspräge, sagt er. »Aber wir sollten international besser vorbereitet sein als beim letzten Mal.«
Ganz anders sieht das in der bereits betroffenen Region in der Demokratischen Republik Kongo aus. Mehr als 400 Menschen starben in der ersten Jahreshälfte 2024. »Lokal und regional ist das nur sehr schwer in den Griff zu kriegen«, sagt Calvignac-Spencer. Die Gesundheitssysteme in der Region um die Großen Seen sind teilweise lückenhaft und finanziell schlecht ausgestattet. Immer wieder gibt es bewaffnete Kämpfe. Außerdem haben Länder wie die DR Kongo praktisch keinen Zugang zu den verhältnismäßig teuren Impfstoffen, die in den Industrieländern verfügbar sind. »Ich mache mir im Moment am meisten Sorgen um die laufenden Ausbrüche in der DR Kongo und in Nigeria«, erklärt der Forscher. »Die Kolleginnen und Kollegen dort machen gute Arbeit bei der Überwachung der Krankheit, aber sie brauchen dringend internationale Unterstützung.«
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