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Coronavirus: Wie gefährlich ist das neue Coronavirus aus China?

Die Zahl der Infizierten mit dem neuen Coronavirus in China steigt. Doch selbst wenn es weniger gefährlich sein sollte als Sars, wollen Epidemiologen es rasch eindämmen.
Hongkong

Noch am Freitag waren nur 45 Menschen bekannt, die sich mit dem neuen Coronavirus (2019-nCoV) angesteckt haben. Nun sind es bereits rund 300, die an der mysteriösen Lungenentzündung erkrankt sind. Darunter 170 Patienten in der zentralchinesischen 11-Millionen-Einwohner-Metropole Wuhan. Tendenz steigend. Gleichzeitig ist das Virus inzwischen in fünf Ländern aufgetaucht: in China, Thailand, Japan, Südkorea und zuletzt in den USA. Seuchenfachleute aus aller Welt sind alarmiert, denn so beginnen ihre Worst-Case-Szenarien.

Dabei ist es weniger der Erreger selbst, der Gesundheitsbehörden weltweit Sicherheitsmaßnahmen ergreifen und die Weltgesundheitsorganisation ihren Notfallausschuss einberufen lässt. Das Virus ist wohl nur moderat gefährlich. Vielmehr steht es für jene immer präsente Gefahr, die Seuchenfachleute nachts schlecht schlafen lässt: eine Wiederholung der Spanischen Grippe mit diesmal womöglich hunderten Millionen Toten weltweit.

China gilt als wahrscheinlicher Ursprung jener hypothetischen Pandemie, des Größten Anzunehmenden Unfalls der Seuchenkontrolle. Der oft enge Kontakt zwischen Mensch, Wild- und Haustier in Landwirtschaft und auf Märkten ist immer wieder Quelle neuer Erreger. Ständig tauchen neue Influenzaviren in dem Land auf, zuletzt der obskure Erreger Influenza A/H7N9. Gleichzeitig können sich Erreger über die Infrastruktur des Landes schnell sehr weit verbreiten. Deswegen beobachten Fachleute jeden dort neu auftauchenden Erreger mit Sorge.

Größter Anzunehmender Unfall

Und im Jahr 2003 zeigte sich, dass weitere Viren das Potenzial zur Katastrophe haben. Nur mit Mühe stoppten Gesundheitsbehörden die Seuche Sars, die hunderte Menschen tötete und sich von Hongkong aus weltweit zu verbreiten begann – aber auf einen ganz anderen Virustyp zurückging: ein Coronavirus.

Coronaviren sind weltweit verbreitet und verursachen beim Menschen normalerweise milde bis mittelschwere Atemwegserkrankungen – die ebenso lästigen wie harmlosen grippalen Infekte. Gefährlich sind diese Viren jedoch, weil sie sich genetisch recht schnell verändern, in vielen Arten von Säugetieren vorkommen und vergleichsweise leicht zwischen Arten umherspringen. Sars stammt ursprünglich aus Fledermäusen, sprang auf Zibetkatzen über und schließlich auf Menschen. Mehr als 750 Infizierte starben.

Auch der neue Erreger 2019-nCoV gehört zur Gruppe der Sars-ähnlichen Coronaviren. Doch die Krankheit ist kein neues Sars – die genetische Analyse verbannt den Erreger auf einen Seitenast der Gruppe, gemeinsam mit zwei Fledermausviren. Nach den bisherigen, allerdings mageren, Daten ist er bisher auch weniger tödlich. Doch seit dem Schock von 2003 stehen Coronaviren unter strenger Beobachtung.

Zu Recht: Um das Jahr 2012 sprang ein weiterer dieser Erreger von Kamelen und Dromedaren auf Menschen über und verursachte die schwere Atemwegserkrankung Mers. Daran starben seither 850 Menschen von etwa 2500 bekannten Infizierten. Zum Glück ist das Mers-Coronavirus von Mensch zu Mensch nur schlecht übertragbar – sollte der Erreger jemals so ansteckend werden wie Grippe, stünde die Welt am Rand einer globalen Katastrophe.

Kein Sars, kein Mers, aber keine Entwarnung

2019-nCoV ist aber wohl auch kein neues Mers. Unter den fast 300 bekannten Infizierten gab es nach Angaben der Behörden bisher lediglich fünf Todesfälle bei Menschen mit schweren Vorerkrankungen. Gegen ein hohes Ansteckungspotenzial spricht die geringe Zahl Infizierter, die Fachleute unter den Kontaktpersonen Erkrankter finden. Auch wenn noch unklar ist, wie viele Menschen wirklich infiziert sind, scheint der Erreger nicht sehr ansteckend zu sein. Inzwischen wurde allerdings bekannt, dass sich auch medizinisches Personal angesteckt hat.

»Es gibt noch viele Unbekannte bei diesem Ausbruch, und das führt zu großer Ungewissheit« sagt Josep Jansa, Gruppenleiter der Abteilung für Krisenreaktion und Notfalloperationen beim Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC). Man brauche dringend mehr Informationen, um das volle Ausmaß der Übertragung zu bewerten.

Viele Länder haben deswegen Vorsichtsmaßnahmen eingeführt. Mehrere Nachbarstaaten führen Gesundheitskontrollen an Chinas Grenzen durch, und an einigen Flughäfen in den USA werden Reisende aus Wuhan medizinisch untersucht. Auch das ECDC empfiehlt den EU-Mitgliedsstaaten, Verdachtsfälle gezielt auf den Erreger zu testen und positive Resultate ans Europäische Frühwarnsystem zu melden.

Gemessen an der bislang erkennbaren Gefahr durch 2019-nCoV scheint das auf den ersten Blick eine Überreaktion zu sein. Es gibt allerdings gute Gründe, einen neu auftauchenden Krankheitserreger so früh wie möglich mit allen Mitteln einzudämmen. Es ist keineswegs ganz klar, ob das Virus wirklich weniger gefährlich als die Erreger von Sars oder Mers ist – noch fehlen Daten und Erfahrung. »Wir erwarten, dass sowohl die Fallzahlen als auch die Anzahl der Toten in den nächsten Tagen weiter ansteigen«, sagt Jansa.

Kontrollverlust

Nicht zuletzt kann man nicht sicher sein, ob die Zahlen aus China stimmen; Sars war 2003 unter anderem deswegen so gefährlich, weil die chinesischen Behörden damals monatelang das Problem vertuschten. Das hat sich nach Ansicht von Fachleuten geändert, aber wie offen China derartige Probleme heute wirklich kommuniziert, ist unklar. Die noch am Freitag sehr geringe Zahl an offiziell bestätigten Fällen ging steil nach oben, nachdem Seuchenfachleute aus Großbritannien anhand der Ausbreitung in Nachbarländer weit über 1000 Erkrankte vermuteten.

Coronaviren sind außerdem immer für Überraschungen gut. Nur weil nCoV bisher nicht besonders ansteckend und tödlich ist, muss das nicht so bleiben – womöglich reicht eine Mutation, um aus einer Last einen Killer zu machen. Nicht zuletzt aber läuft den Seuchenfachleuten die Zeit davon: Je früher man den auf Menschen übergesprungenen Erreger entdeckt, identifiziert und bekämpft, desto größer ist die Chance, ihn wieder auszurotten, bevor er sein Potenzial entfaltet. Doch je länger ein Virus kursiert, umso höher ist die Chance, dass es mit modernen Verkehrsmitteln in alle Himmelsrichtungen weitergetragen wird und nicht mehr auszurotten ist.

Und genau diesen Kontrollverlust befürchten Fachleute nun. Am 25. Januar wird das chinesische Neujahrsfest stattfinden, bei dem in ganz Südostasien Familien zusammenkommen und samt ihren Krankheitserregern dafür lange Strecken zurücklegen: ideal, um eine neue, noch unbekannte Infektionskrankheit quer über den Kontinent zu tragen und tausende Menschen anzustecken.

Dass das neue Coronavirus aus Wuhan allerdings die nächste Super-Pandemie auslöst, glaubt kaum jemand. Das Risiko für den europäischen Raum sei gering, sagt zum Beispiel das ECDC. 2019-nCoV macht Seuchenfachleute nervös, aber die echten Killer, die sich während der Reisewelle zehntausendfach mit oft tödlichen Folgen verbreiten, werden wohl auch dieses Jahr andere sein. Ganz vorne dabei: das Influenza-Virus, das die Grippe verursacht.

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