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Pflanzenzucht: Wie Gerste den Giftstoff Gramin produziert

Mit einer toxischen Substanz schützen sich manche Gerstensorten vor Pflanzenfressern. Dadurch taugen sie aber weniger gut als Futtermittel. Fachleute haben jetzt den Stoffwechselweg aufgeklärt, der das Gift hervorbringt.
Gerstenfeld in Schleswig-Holstein
Einige Sorten der Gerste produzieren ein giftiges Alkaloid, das Pflanzen fressende Tiere auf Abstand hält. Für die Pflanzen ist das von Vorteil, doch es schränkt ihre Verwertbarkeit als Futtermittel ein.

Aus Gerste(Hordeum vulgare) stellt man Bier, Grütze, Brot und andere Nahrung her – und außerdem dient sie als Futtermittel für Tiere. Das macht sie zu einer der wichtigsten Getreidearten. Manche Gerstensorten produzieren allerdings einen giftigen Stoff namens Gramin, was ihre Nutzbarkeit einschränkt. Lange Zeit war unbekannt, wie die Pflanze den Stoff synthetisiert. Fachleute von der Leibniz Universität Hannover sowie vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) haben jetzt vollständig aufgeklärt, welche Pflanzengene an der Gramin-Produktion mitwirken. Ihre Erkenntnisse lassen sich möglicherweise nutzen, um edlere Sorten zu züchten. Die Studie ist in der Fachzeitschrift »Science« erschienen.

Pflanzen haben verständlicherweise wenig »Interesse« daran, gefressen zu werden. Sie bilden häufig Abwehrstoffe aus, die Pflanzenfresser auf Distanz halten. Auch viele Sorten der Gerste tun das: Sie produzieren das giftige Alkaloid Gramin. Es schützt sie vor Insekten und Weidetieren. Obendrein hemmt es das Wachstum anderer Pflanzen in der Nähe; die Gerste hält sich damit also Konkurrenten vom Leib.

»Für den Menschen ist das Gramin in den Gerstenkörnern kein Problem«, sagt Jakob Franke von der Leibniz Universität Hannover im Gespräch mit »Spektrum«. Er war an der neuen Studie beteiligt. Das giftige Alkaloid sei vor allem in frischen, grünen Pflanzenteilen wie Blättern und in Keimlingen zu finden – kaum hingegen in den Körnern, die zur Lebensmittelherstellung dienen. Bei den relativ kleinen Mengen, die ein Mensch üblicherweise verzehre, seien keine Vergiftungserscheinungen zu befürchten.

Anders sieht es aus, wenn Gerste als Futtermittel eingesetzt wird. »Nutztiere fressen sehr viel davon und verschlingen Ähren, Halme und Blätter«, erklärt John D’Auria vom IPK. Er hat ebenfalls an der Studie mitgewirkt. Wiederkäuer vertilgen typischerweise große Mengen an Pflanzenmaterial – und damit laut D’Auria potenziell auch viel Gramin, was toxisch sein könne. Gerstensorten, die viel von dem Alkaloid bilden, lassen sich daher nur eingeschränkt als Futtermittel verwenden.

Außergewöhnliche biochemische Reaktion

Trotz langjähriger Forschung war das Schlüsselgen der Gramin-Synthese bisher nicht bekannt. Mit der neuen Studie ändert sich das. Die Fachleute vom IPK und der Leibniz Universität Hannover haben jetzt den kompletten Stoffwechselweg aufgeklärt, der das giftige Alkaloid hervorbringt. Er beruht auf zwei Genen: HvNMT mit der Bauanleitung für das Enzym N-Methyltransferase sowie HvAMIS, das den Bauplan eines Enzyms namens AMI-Synthase trägt. HvNMT war bereits in den frühen 2000er Jahren gefunden worden; neu ist die Entdeckung von HvAMIS als beteiligter Erbanlage, die auf demselben Chromosom liegt wie HvNMT.

Bei seiner Untersuchung profitierte das Forschungsteam davon, dass seit einigen Jahren so genannte Pangenom-Daten der Gerste vorliegen: genetische Daten von verschiedenen Sorten, die sortenübergreifende Vergleiche erlauben. Die beiden Enzyme AMI-Synthase und N-Methyltransferase ermöglichen demnach drei aufeinander folgende Reaktionsschritte, welche die Aminosäure Tryptophan in Gramin umwandeln. Der erste dieser Schritte, eine so genannte kryptische oxidative Umlagerung von Tryptophan, ist außergewöhnlich, weshalb es relativ lange gedauert hat, ihn zu entschlüsseln. »Der Enzymmechanismus, über den Gramin gebildet wird, hat uns sehr überrascht«, sagt Franke.

Die neuen Erkenntnisse ermöglichen es, die Gramin-Synthese in Gerstepflanzen gezielt zu beeinflussen, sie zum Beispiel mittels Genomeditierung zu unterbinden. Das könnte helfen, verbesserte Sorten zu entwickeln. »Züchter wünschen sich beispielsweise Gewächse, die Gramin nur in Keimlingen und Wurzeln ausprägen – so etwas könnte sich nun möglicherweise umsetzen lassen«, erläutert D’Auria. Indem man das Alkaloid aus Pflanzen oder Pflanzenteilen eliminiere, ließe sich die Giftigkeit für Wiederkäuer verringern.

Auch der umgekehrte Weg kann von Interesse sein, nämlich Organismen zur Gramin-Herstellung zu befähigen, die vorher dazu nicht im Stande waren. »Den Syntheseapparat in einen Zielorganismus einzubringen, ist relativ leicht, weil lediglich zwei Gene daran beteiligt sind«, sagt Franke. Damit ließen sich eventuell neue Kulturpflanzen züchten, die den Abwehrstoff produzieren und es damit ein Stück weit verzichtbar machen, Insekten- und Unkrautvernichtungsmittel in der Landwirtschaft einzusetzen. Mit Tabakpflanzen und Ackerschmalwand-Gewächsen ist das im Experiment bereits gelungen.

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