Teilchenphysik: Neutrinos sind größer als ein Atomkern

Physiker jagen seit Jahrzehnten den Geheimnissen der Neutrinos nach. Unter anderem könnten diese mysteriösen, extrem leichten Geisterteilchen erklären, warum es so viel mehr Materie als Antimaterie in unserer Welt gibt. Sie haben allerdings keine elektrische Ladung und wechselwirken daher kaum mit ihrer Umgebung. Das macht es so schwer, die Elementarteilchen durch Detektoren einzufangen und zu untersuchen. Nun ist es einer Forschungsgruppe um Joseph Smolsky von der Colorado School of Mine erstmals gelungen, die Größe eines Neutrinos direkt zu bestimmen. Wie sie in ihrer bei »Nature« erschienenen Arbeit berichtet, ist das geisterhafte Teilchen deutlich größer als erwartet.
Anders als klassische Objekte wie ein Fußball haben Quantenteilchen keine festgelegte Form. Stattdessen wird ihre Größe durch die Wellenfunktion bestimmt. Zurückliegende Forschungsarbeiten aus den Jahren 2017 und 2021 konnten die Ausdehnung des Neutrinos nur indirekt ermitteln und damit nur sehr ungenaue Ergebnisse liefern. Wie die Fachgruppen herausfanden, könnte die Wellenfunktion deutlich kleiner sein als ein Atomkern oder gar mehrere Meter betragen – was einer Spanne von 13 Größenordnungen entspricht.
Smolsky und seine Kolleginnen und Kollegen haben nun einen Weg gefunden, die Größe des Neutrinos direkt zu untersuchen. Dafür haben sie den radioaktiven Zerfall von Beryllium zu Lithium in Teilchenbeschleunigern analysiert. Bei diesem Prozess verbindet sich ein Beryllium-Elektron mit einem Proton im Kern und erzeugt ein Neutron. Durch den Elektroneneinfang erfährt der Kern einen Rückstoß und sendet ein Neutrino in entgegengesetzte Richtung aus. Die Forschenden haben die Energie des Atomkerns mit supraleitenden Detektoren vermessen und konnten daraus direkt auf verschiedene Eigenschaften des Neutrinos schließen.
»Das war überraschend«Joseph Smolsky, Physiker
Wie das Team herausfand, beträgt die Ausdehnung des Neutrinos mindestens 6,2 Pikometer – und damit 100-mal mehr als ein Atomkern. »Das war ein bisschen überraschend«, sagte Smolsky zu »New Scientist«. »Wenn ich an den (radioaktiven) Prozess denke, stelle ich ihn mir innerhalb des Kerns vor, weil sich das Elektron mit dem Kern überlappen muss. Aber die von uns gezeigte Grenze besagt, dass das Neutrino tatsächlich viel größer ist als der Kern selbst, wenn es herauskommt.« Diese neue Erkenntnis hilft Fachleuten dabei, künftige Neutrino-Detektoren zu verbessern, um den geisterhaften Teilchen ihre letzten Geheimnisse zu entlocken.
Erratum: In einer früheren Version des Artikels wurde behauptet, dass die Neutrinos direkt durch Detektoren vermessen wurden, das wurde korrigiert.
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