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News: Wie groß sind Neutronensterne?

Mit Hilfe von Röntgenpulsen kann demnächst der Durchmesser von Neutronensternen bestimmt werden.
Neutronensterne nehmen in der Hitliste der merkwürdigsten Himmelskörper einen der vorderen Plätze ein. Im wesentlichen handelt es sich bei ihnen um überdimensionierte Atomkerne, von deren Material der sprichwörtliche Löffel voll soviel wiegt wie ein ganzer Berg. Seit Jahrzehnten versuchen Forscher herauszufinden, wie groß – oder besser gesagt: wie klein – Neutronensterne sind. Dank eines Satelliten und etwas Glück scheinen sie nun einen Weg gefunden zu haben. Der Durchbruch ist dem Rossi X-Ray Timing Explorer zu verdanken, der die Ankunft eines Photons mit einer Genauigkeit von einer Millisekunde messen kann.

Seit Ende 1996 berichten Beobachter der Universität Amsterdam und des NASA Goddard Space Center von seltsamen Röntgenstrahlungsmustern, die von einigen Neutronensternen herrühren. Gemessen wurden regelmäßige Takte von etwa tausend eintreffenden Photonen pro Sekunde. Die Forscher erwarteten eine Vielzahl von Frequenzen, „als ob man seinen Arm auf die Tasten eines Klaviers legt”, erklärt Frederick Lamb von der University of Illinois. „Was wir messen, ist aber wie das Spielen eines Akkordes: nur zwei oder drei Noten."

Um diesen Akkord aus Röntgenstrahlen erklären zu können, ist es notwendig, Materie in die Überlegungen miteinzubeziehen, die der Neutronenstern von einem Begleiter absaugt. Umkreist eine Gasansammlung den Neutronenstern, strömt etwas von der Materie direkt auf die Oberfläche des Sterns und entsendet von der Aufschlagstelle Röntgenstrahlung. Der Strahlungsfleck folgt der Rotation der Gasmassen um den Stern. Wandert der helle Fleck hinter den Neutronenstern, ist er versteckt, und „Rossi” sieht keine Röntgenstrahlung, ist er vorne, dann erscheint der Röntgenblitz.

Falls dieses Modell stimmt, umrundet die Gasmenge den Neutronenstern unvorstellbare 1000mal pro Sekunde. So eine hohe Frequenz legt einen engen Bereich für die Höhe der Umlaufbahn fest. Für die schnellste bisher beobachtete Oszillation von 1200 Hertz sagen Gravitationstheoretiker einen Bahnradius von gerade mal 17 Kilometern voraus – der Stern selbst muß noch kleiner sein. (Im September entdeckte das Hubble Weltraum-Teleskop einen einzelnen Neutronenstern, der weniger als 14 Kilometer Radius hat)

Die Theoretiker streiten noch immer über die exakten Zahlenwerte. Unklar ist, wo genau sich diese Gasansammlungen befinden. Unabhängig voneinander haben William Zhang vom NASA Goddard Center und Philip Kaaret von der Columbia University berechnet, daß die Materie sich auf einer Grenzumlaufbahn befinden muß, die von der allgemeinen Relativitätstheorie postuliert wird: Nichts kann den Stern in einem geringeren Abstand umkreisen, es würde stattdessen auf ihn herabfallen. Weiterhin folgern die Wissenschaftler, daß Neutronensterne die doppelte Masse unserer Sonne besitzen.

Im Gegensatz dazu meint Lamb, daß die Grenzumlaufbahn lediglich den kleinsten Abstand darstellt, auf dem Materie den Stern umkreisen kann. Seiner Ansicht nach befindet sie sich in Wirklichkeit weiter entfernt an einem sogenannten sonic point (Schallpunkt). Außerhalb dieses Radius verschwinden die Teilchen schnell, innerhalb können sie den Neutronenstern einige hundert Male umkreisen. Er glaubt, daß es eine obere Grenze von 2,2 Sonnenmassen für Neutronensterne gibt. „Die wirkliche Masse kann viel kleiner sein”, sagt er.

„Wenn diese Annahmen bestätigt werden, können wir zum ersten Mal genaue Wertebereiche für den Radius und die Masse von Neutronensternen bestimmen”, erklärt Lamb. „Damit lassen sich auch die möglichen Eigenschaften ihrer dichten Materie eingrenzen.” Woraus genau ein Neutronenstern aufgebaut ist, war nie besonders klar. Es ist allgemein anerkannt, daß Neutronen vorkommen, aber wie die Neutronen bei so großen Dichten miteinander wechselwirken, ist ein Rätsel. Außerdem wird postuliert, daß freie Quarks, sogenannte seltsame Teilchen wie Kaonen und alle möglichen sonderbaren Objekte in massiven Neutronensternen auftauchen. „Niemand hat ein völlig umfassendes Modell”, grübelt Robert Wiringa vom Argonne National Laboratory, der sich zur Urheberschaft von zwei oder mehr der „vorsichtigeren aber vertrauenswürdigeren” Modellen bekennt.

Es ist noch nicht klar, welche dieser Überlegungen durch die neuen Beobachtungen gefährdet werden, aber einige werden es mit Sicherheit. „Die Entdeckung einer größeren Blinkfrequenz könnte jeden Moment die meisten Modelle über den Haufen werfen”, erklärt Lamb. Er favorisiert „weiche” Modelle, in denen die Kernsubstanz hoch komprimierbar ist. Solch ein Material könnte der Gravitation nicht viel entgegensetzen, so daß der Neutronenstern leicht zu einem schwarzen Loch kollabieren würde, wenn genug zusätzliche Masse von einem Begleitstern auf ihn stürzen würde.

Zhang dagegen meint, daß die große Masse, die er für einen Neutronenstern berechnet, auf „harte” Kernmaterie hindeutet: Sie könnten ihrer eigenen Schwerkraft viel länger widerstehen. Seine Berechnungen schließen zum Beispiel aus, daß Kaonen ein wichtiger Bestandteil der Neutronensterne sind: Sie halten nicht mehr als die anderthalbfache Sonnenmasse aus. (Implodierende Kaonensterne würden leichte schwarze Löcher mit weniger als zwei Sonnenmassen produzieren. Diese sind aber noch nie gefunden worden – vielleicht deswegen, weil Beobachter nur nach Objekten mit wenigstens der fünffachen Sonnenmasse suchen, um sicher zu sein, nicht versehentlich Neutronensterne zu erforschen.)

Während die Wissenschaftler ihre Modelle verfeinern, fährt „Rossi” mit der Suche fort. Und in Kürze könnte die dünne Linie zwischen Neutronensternen und schwarzen Löchern endgültig gezogen werden.

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