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ARCoV: Welche Chancen bietet Chinas erster mRNA-Impfstoff?

Eine neue, hochwirksame Impfung soll in China schwere Covid-Krankheitsfälle verhindern. Die Null-Covid-Strategie des Landes wird der mRNA-Impfstoff ARCoV aber wohl nicht beenden.
Besucher betreten das Shanghai Disneyland, das am 30. Juni 2022 wieder geöffnet hat.
Nach monatelanger Schließung wegen der strikten Corona-Maßnahmen hat das Shanghai Disneyland am 30. Juni 2022 mit begrenzter Tageskapazität und verbesserten Gesundheits- und Sicherheitsprotokollen wieder geöffnet.

China steht kurz vor der Zulassung seines ersten mRNA-Impfstoffs, der Menschen gegen Covid-19 schützen soll. In einer kleinen klinischen Studie löste der chinesische Wirkstoff bei geimpften Erwachsenen nach einer Auffrischungsimpfung eine stärkere Antikörperreaktion aus als eine Impfung mit inaktiviertem Sars-CoV-2, jener Art Impfstoff, auf die sich das Land bisher hauptsächlich verlassen hat.

Der experimentelle Impfstoff mit der Bezeichnung ARCoV ist ein aussichtsreicher Kandidat dafür, der erste zugelassene mRNA-Impfstoff Chinas zu werden. Was das jedoch für den Umgang der Regierung mit der Pandemie bedeutet, sei schwer abzuschätzen, sagen Forschende. Ein hochwirksamer mRNA-Impfstoff würde das Risiko der Verbreitung schwerer Infektionen verringern, welche die Krankenhäuser überfordern könnten. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er ein Ende der strengen Null-Covid-Strategie des Landes herbeiführen wird. Das Ziel: mit Massentests und Abriegelung Infektionen vollständig verhindern.

Bislang hat die chinesische Arzneimittelbehörde sieben Covid-19-Impfstoffe zugelassen. Die meisten Einwohner Chinas werden mit einem von zwei Impfstoffen auf Basis von inaktivierten Viren geimpft, entweder mit CoronaVac, hergestellt von dem in Peking ansässigen Unternehmen Sinovac, oder mit BBIBP-CorV, hergestellt von dem staatlich unterstützten Unternehmen Sinopharm in Peking. Diese Totimpfstoffe sind wirksam, um das Risiko von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen zu verringern. Sie bieten jedoch weniger Schutz als die beiden mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna, die außerhalb Chinas weit verbreitet sind. »Aus den Daten aller weltweit verfügbaren Covid-19-Impfstoffe geht hervor, dass die mRNA-Technologie im Vergleich zu anderen Technologien besser zu sein scheint«, sagt Feng Gao, Virologe an der Jinan-Universität in Guangzhou, China.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Importierter Impfstoff

Chinesische Unternehmen hatten bereits geplant, den von Biontech und Pfizer hergestellten mRNA-Impfstoff zu importieren. Im März 2020 schloss das in Schanghai ansässige Pharmaunternehmen Fosun Pharma einen Vertrag mit Biontech ab, um den Impfstoff in China und in Hongkong zu verkaufen, sobald die Aufsichtsbehörden die Produkte erlauben. Die Zulassung des hochwirksamen Impfstoffs auf dem chinesischen Festland steht jedoch noch aus, obwohl die Daten einer Phase-II-Studie in China zeigen, dass das Mittel eine robuste Immunreaktion auslöst und in der Anwendung bei Erwachsenen sicher ist.

Die Gründe für die Verzögerung sind unklar, aber wahrscheinlich seien es politische, sagt Yanzhong Huang, ein Spezialist für chinesische Gesundheitspolitik beim Council on Foreign Relations in New York City.

Die chinesische Regierung akzeptiert seit 2017 ausländische Daten aus klinischen Studien, um die Zulassungsprozesse für Medikamente zu beschleunigen. Außerdem können Mittel, die dringend benötigt werden – ebenso Impfstoffe während einer Pandemie – im Schnellverfahren geprüft werden. »Es gibt keinen anderen Grund für die Verzögerung außer technologischem Nationalismus«, sagt Huang. Er fügt hinzu, dass die chinesische Regierung es wahrscheinlich vorziehe, dass gerade ihr erster mRNA-Impfstoff ein eigener Impfstoff wie ARCoV ist.

Einheimische Impfstoffe

Mindestens sechs einheimische mRNA-Impfstoffe werden derzeit klinisch erprobt. ARCoV, ein Produkt des in Suzhou ansässigen Biotechnologieunternehmens Abogen Biosciences, ist in der Entwicklung am weitesten fortgeschritten und wird derzeit in einer multizentrischen Phase-III-Studie in Mexiko und Indonesien untersucht.

An der kleinen ARCoV-Studie, die am 31. Mai als Vorabdruck veröffentlicht und entsprechend keiner Peer Review unterzogen wurde, nahmen 300 Erwachsene in China teil, die sechs Monate vor der Auffrischungsimpfung zwei Dosen eines Impfstoffs mit inaktivierten Viren erhalten hatten. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass nach einer ARCoV-Impfung die Konzentration an neutralisierenden Antikörpern, die gegen die Omikron-Variante des Coronavirus gerichtet sind, viermal höher war als nach einer Auffrischung mit CoronaVac. Neutralisierende Antikörper können das Virus daran hindern, eine Zelle zu infizieren, und man geht davon aus, dass ihre Konzentration mit der Stärke des Impfschutzes korreliert.

»Die Ergebnisse zeigen, dass der mRNA-Impfstoff im Vergleich zu einem inaktivierten Impfstoff bei der dritten Dosis eine bessere Antikörperverstärkung bewirkt«, erklärt Ben Cowling, Epidemiologe an der Universität von Hongkong.

Obwohl frühere Forschungen gezeigt haben, dass die Kombination verschiedener Impfstofftypen eine stärkere Immunreaktion hervorrufen kann, »ist es schwer zu sagen, welcher Impfstoff besser ist, wenn man nicht die verschiedenen Strategien zur Auffrischung miteinander vergleicht«, so Gao.

Ob der ARCoV-Impfstoff »offiziell zugelassen wird, hängt von den Ergebnissen der Phase-III-Studie ab. Nicht jeder mRNA-Impfstoffkandidat wird erfolgreich sein«, sagt Gao. Im Fall einer Zulassung könne ARCoV sowohl im Rahmen des Covid-19-Standardimpfprogramms des Landes als auch als Auffrischungsimpfung eingesetzt werden, fügt er hinzu.

Das chinesische Pandemie-Dilemma

Studien haben gezeigt, dass Auffrischungsimpfungen entscheidend sind, um insbesondere ältere Menschen bei einer Omikron-Infektion vor schweren Krankheitsverläufen und dem Tod zu bewahren. Auf dem chinesischen Festland haben jedoch nur 60 Prozent der Menschen über 60 Jahren eine Auffrischungsimpfung erhalten, was bedeutet, dass 100 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe nicht geimpft sind. Bei den über 80-Jährigen ist die Durchimpfungsrate noch viel geringer – weniger als 20 Prozent von ihnen hatten bis März, als die Omikron-Welle kam, eine Auffrischungsimpfung erhalten.

Gao sagt, es sei schwer zu sagen, ob ungeimpfte Menschen einen zugelassenen mRNA-Impfstoff annehmen würden, da die Technologie neu sei. »Aus wissenschaftlicher Sicht sollten sie es aber tun, da mRNA-Impfstoffe in der Regel eine stärkere Immunreaktion hervorrufen, insbesondere bei den gefährdetsten Personen«, fügt er hinzu.

Während der Rest der Welt inzwischen versucht, mit dem Virus zu leben, verfolgt das bevölkerungsreichste Land der Welt weiterhin eine äußerst strenge Corona-Politik. Gelockert hat die Regierung dort aber Ende Juni 2022 die Einreiseregeln: Ab sofort müssen ankommende Passagiere nur noch sieben Tage in Hotel-Quarantäne verbringen plus drei Tage zu Hause. Zuvor waren es 21 Tage.

Doch selbst mit einem hochwirksamen mRNA-Impfstoff ist es unwahrscheinlich, dass die chinesischen Behörden von ihrem Null-Covid-Ansatz abrücken. Während eines Großteils der Pandemie konnten die Ausbrüche so zwar eingedämmt werden, gegen die hochübertragbare Omikron-Variante aber war er weniger erfolgreich.

»Die Situation wird sich nicht ändern, solange die Beamten nicht ihre Einstellung ändern und Infektionen bis zu einem gewissen Grad zulassen«Yanzhong Huang, Spezialist für chinesische Gesundheitspolitik

Die Behörden haben sich bisher kaum zu einer Öffnung geäußert. Doch im April erklärte Wannian Liang, der Leiter des Expertengremiums der Nationalen Gesundheitskommission, dass China die Pandemie »besiegen« könne. Voraussetzung sei, dass die Städte über ausreichende medizinische Ressourcen und eine hohe Durchimpfungsrate verfügten, insbesondere bei älteren Menschen und anderen gefährdeten Gruppen. Er sagte auch, die Regierung werde bei der Entscheidung über die Öffnung des Landes berücksichtigen, ob künftige Varianten eine geringere Sterblichkeitsrate aufweisen als die derzeit kursierenden. Viele Virologen bezweifeln jedoch, dass die Varianten mit der Zeit schwächer werden.

Huang sagt, dass die mangelnde Bereitschaft der Regierung, auch nur eine geringe Zahl von Covid-19-Fällen zu tolerieren, zu einem Dilemma geführt hat: Die lokalen Beamten haben nur begrenzte Anreize, die Impf- und Auffrischungsraten zu erhöhen, und weisen stattdessen ihr Gesundheitspersonal an, Maßnahmen wie Massentests durchzuführen. »Die Situation wird sich nicht ändern, solange die Beamten ihre Einstellung nicht ändern und Infektionen bis zu einem gewissen Grad zulassen«, stellt er fest.

Ein wirksamerer Impfstoff könnte die Ängste der Regierung vor Lockerungen mindern. »Mit besseren Impfstoffen und einem leichteren Zugang zu Covid-19-Medikamenten sollte China sich weniger Sorgen machen, dass Covid-19 sein Gesundheitssystem überfordert. Vielleicht wird die Regierung dann ihre Meinung ändern«, sagt Huang.

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