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Hochwasser: Wie häufiger Starkregen heimische Vögel bedroht

Vögel können bei Überschwemmungen einfach wegfliegen, sollte man meinen. Doch so einfach ist es nicht. Tatsächlich werden häufigere Hochwasser für manche Arten zum echten Problem.
Ein brütendes Bekassinenpaar am Ufer
Bekassinen (Gallinago gallinago) brüten gern in den Wiesen in Ufernähe. Doch häufigere Überschwemmungen und veränderte Landnutzung machen den Bruterfolg immer schwieriger.

Normalerweise sollten im Donautal bei Regensburg in den vergangenen Tagen die jungen Brachvögel im Gras unterwegs sein und lernen, wie man Insekten, Schnecken und Würmer pickt. Sie müssen schnell genug heranwachsen, um rechtzeitig stark genug für den ersten Flug in die Überwinterungsgebiete in Südeuropa zu sein. Doch auf die massiven Überschwemmungen, die Süddeutschland Ende Mai heimsuchten, waren die Bodenbrüter nicht eingestellt.

»Im Donautal bei Regensburg ist eines unserer Projektgebiete leider erheblich durch das Hochwasser betroffen«, sagt die Biologin Verena Rupprecht. Sie ist beim Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) für den Schutz von Wiesenbrütern zuständig, vor allem des Großen Brachvogels (Numenius arquata). Diese große, grazile Art ist für ihr weithin hörbares Flöten und ihren langen, gebogenen Schnabel bekannt – sie gilt als Charaktervogel intakter Flusslandschaften.

Schon ab März fangen Brachvögel mit Balz und Brut an. Als Nest dient eine flache Bodenmulde, in die die Vögel meist zwei bis fünf Eier legen. Nach knapp vier Wochen Brutzeit schlüpfen die Jungen und machen sich, sobald die Daunenfedern getrocknet sind, umgehend auf Futtersuche. Die Eltern füttern die Jungen nicht, der Nachwuchs ist weitgehend auf sich selbst gestellt. Nur wenn es nochmal kalt wird, dürfen die Küken unter das warme Federkleid ihrer Mütter schlüpfen. »Hudern« heißt dieser besondere Schutz.

Die Überflutungen waren verheerend für die Brachvögel. Es sei in dem Projektgebiet noch gelungen, drei zu Forschungszwecken mit Peilsendern ausgestattete Küken aufzuspüren, sagt Rupprecht. Man versuche jetzt, sie in einer Vogelauffangstation aufzupäppeln: »Die übrigen Jungvögel sind aber leider inzwischen mit großer Sicherheit den Fluten zum Opfer gefallen.« Auch aus anderen bayerischen Brutgebieten habe die LBV-Zentrale am laufenden Band Meldungen über stark oder komplett überschwemmte Wiesenbrütergebiete.

Starkregen als neue Bedrohung

In ganz Bayern gab es bei der letzten groß angelegten Zählung 2021 nur noch 531 Brutpaare des Großen Brachvogels, in ganz Deutschland weniger als 5000, ein Rückgang um knapp die Hälfte seit 1990. Die Art ist als vom Aussterben bedroht eingestuft. Ziel des Umweltverbands LBV entlang der Donau ist es eigentlich, den Nachwuchs der Vögel vor zwei wiederkehrenden Gefahren zu schützen – dass Landwirte Gelege beim Mähen versehentlich platt walzen und dass Fressfeinde wie Füchse und zunehmend Waschbären sich die Küken schnappen. Um dem entgegenzuwirken, werden die Gelege mit einem Schutzzaun umgeben. Wenn aber nach anhaltendem Starkregen riesige Wassermassen talabwärts drücken, kommt jede Hilfe zu spät.

Der Verlust der Brachvogelküken ist doppelt bitter: Beim Schutz einer derart seltenen Vogelart zählt jedes Tier. Zudem hat ausgerechnet die jahrzehntelang systematisch betriebene Zerstörung von Feuchtwiesen, den angestammten Habitaten der Brachvögel, die Hochwassergefahren überhaupt erst potenziert. Der Rückgang der Wiesenbrüter und die Zunahme von Überschwemmungsgefahren für Mensch und Natur – sie haben gemeinsame Ursachen.

Vogelarten, die in Flusstälern brüten, sind von Natur aus einiges gewohnt. »Hochwasser sind eigentlich ganz natürliche Ereignisse in intakten Flusslandschaften, die über Jahrtausende eine einzigartige Artenvielfalt und widerstandsfähige Ökosysteme hervorgebracht haben«, sagt Sonja Jähnig, Abteilungsleiterin für Aquatische Ökogeographie am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Die Vögel der Flusstäler sind in ihrer viele Millionen Jahre währenden Evolutionsgeschichte also schon oft Überschwemmungen und anderen Unbilden ausgesetzt gewesen. Neben Brachvögeln gehören auch die für ihre wilden Flugmanöver bekannten Kiebitze, die Bekassinen mit ihrem nach Ziegen klingenden Balzruf und der nachtaktive Wachtelkönig zu dieser Gruppe.

Gegen die Härten und Zufälle der Natur haben diese Arten Strategien entwickelt, um Rückschläge auszugleichen. Auf den Verlust eines Geleges reagieren Brachvögel bis etwa Mitte Mai mit einer zweiten Brut, solange neuerlicher Nachwuchs noch eine Chance hat, rechtzeitig vor Zugzeit und Winter ausreichend groß und stark zu sein. Erst bei späteren Verlusten ist das Brutjahr verloren.

Zu viele Faktoren belasten die Vögel

Dass für Wiesenbrüter anhaltender Regen zum Problem werden kann, vor allem, wenn er mit einer Kälteperiode einhergeht, ist schon länger bekannt. »Bei niedriger Temperatur muss mehr gehudert werden und entsprechend können die Wiesenvogelküken weniger oder nicht fressen und im Extremfall verhungern«, sagt Philip Hunke, Leiter des vom Umweltverband NABU getragenen Michael-Otto-Instituts in Bergenhusen. Zumindest in Niedersachsen hat der NABU-Experte noch nicht beobachtet, dass Starkregen so dramatische Effekte haben kann wie nun im Donautal.

»Bei niedriger Temperatur muss mehr gehudert werden«Philip Hunke, Leiter des Michael-Otto-Instituts

Die Ornithologin Miriam Liedvogel, Leiterin der Vogelwarte Wilhelmshaven, sieht hingegen ein durch Starkregen steigendes Risiko für Brutausfälle und Sterblichkeit von Jungvögeln, das noch besser untersucht werden müsse. Starkregen könne Eier auskühlen lassen und wegschwemmen und Jungvögel so stark schwächen, dass sie sterben. Bei Kiebitzen habe eine Studie gezeigt, wie gefährlich neben extremer Trockenheit auch Starkregen für einen Bruterfolg sei.

Starkregen allein würde aber den Beständen der Wiesenbrüter wohl kaum ernsthaften Schaden zufügen. Entscheidend ist, dass in den Flusstälern von heute schlichtweg zu viele Stressfaktoren zusammenwirken. Der wichtigste davon ist die systematische Zerstörung von Feuchtwiesen, die zugleich wie ein Schwamm Wasser aufnehmen können.

Gedeihen können Wiesenbrüter nur, wenn sie ausgedehnte Lebensräume zur Verfügung haben, die sie in großer Zahl bewohnen können. Davon kann bei 500 Brachvogelpaaren im Flächenstaat Bayern schon lange nicht mehr die Rede sein. Die Zahl der Kiebitze, Bekassinen und Wachtelkönige ist ebenfalls nur noch ein Schatten früherer Bestände. Die Zeiten, in denen Bekassinen ganz selbstverständlich nach einem Rezept aus dem »Regensburger Kochbuch« auf Mittagstischen landeten, sind lange vorbei. Vor der Ankunft des Menschen haben Wiesenbrüter straucharme Moore bewohnt, später in den von Landwirten geschaffenen Wiesenlandschaften eine neue Heimat gefunden. Doch diese sind weitgehend verschwunden.

Die Landschaft hat sich verändert

Bis ins 20. Jahrhundert hinein wechselten sich in Bach- und Flusstälern Auwälder und offene Feuchtgebiete ab. Auf Weiden grasten Rinder. Die gelb, rot und blau gepunkteten Blumenwiesen wurden erst im Juni, also nach der Brutzeit, gemäht und als Futterheu für den Winter getrocknet. Diese »extensiv« genannten Agrarlandschaften waren sehr artenreich. Laut einem Bericht von Wissenschaftlern für das Bundeslandwirtschaftsministerium kommt mehr als die Hälfte der rund 3600 in Deutschland heimischen Farn- und Blütenpflanzenarten und ein erheblicher Teil der Tierarten in Grünlandbiotopen vor. »Unter den gehölzfreien Vegetationstypen sticht Grünland durch seinen Artenreichtum hervor«, urteilten die Experten.

In diesen ausgedehnten Grünlandflächen konnten sich die Wiesenbrüter früher gut fortpflanzen – und anschwellendes Wasser konnte sich auf riesigen Flächen ausbreiten und versickern. Zwar gab es auch historisch dramatische Überschwemmungen. Die traten aber auf, nachdem die enormen Speicherkräfte der Landschaft erschöpft waren und weil es noch keine technischen Schutzvorrichtungen für Ortschaften gegeben hat. Heutige Überschwemmungen passieren, weil Starkregen zunehmen, der Landschaft ihre schwammartigen Speicherkräfte genommen wurden – und trotz einer Vielzahl von Bauwerken wie etwa Deichen.

Über Jahrzehnte hinweg hat der Mensch deutsche Flussauen systematisch so umgestaltet, dass Wasser sofort abfließt. Durch Begradigungen und zu eng geführte Deiche seien »Flüsse geschaffen worden, in denen Hochwasserwellen schneller und höher anschwellen«, warnt Gewässerforscherin Jähnig. Ziel dabei war es, Grünland früher und häufiger mähen zu können oder es gleich in lukrativere Ackerflächen zu verwandeln. In den weitläufigen Monokulturen für Mais und Getreide, die dabei entstanden sind, können Landwirte Futter für Tiere gewinnen, die das ganze Jahr im Stall stehen. Das Restgrünland wird immer früher und häufiger schon während der Brut- und Aufzuchtzeit der Wiesenvögel im April und Mai gemäht – wodurch Gelege kaputtgehen und Küken überrollt werden können.

Für den Siegeszug von Intensivgrünland und Äckern in den Auen haben Landwirte und Behörden Bäche und Flüsse begradigt, zigtausende Kilometer Gräben und Deiche gezogen und Drainagerohre verlegt – alles mit dem Ziel, Überschwemmungen der Auen zu vermeiden. Zudem verdichteten Landwirtschaftsmaschinen auf Ackerflächen den Boden so stark, dass Wasser nur schlecht versickern könne. In einem Bericht stellt das Bundesamt für Naturschutz fest, dass »bundesweit zwei Drittel der ehemaligen rund 15 000 Quadratkilometer Auenfläche von den Flüssen abgetrennt sind und bei Hochwasser nicht mehr als Retentionsraum zur Verfügung stehen.«

Kaum mehr als ein Flecken Aue wurde renaturiert

»Die Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen und Feuchtgebiete, die Beseitigung von Auengebieten, die Abholzung von Wäldern, extensive Monokulturen und großflächige Versiegelungen haben dazu geführt, dass unsere Böden immer weniger Wasser aufnehmen können und das Speichervermögen der Landschaft gesunken ist«, sagt Dörthe Tetzlaff, Abteilungsleiterin Ökohydrologie und Biogeochemie am IGB.

Christian Albert, Professor für Landschaftsplanung und Ökosystemleistungen an der Leibniz-Universität Hannover, fordert deshalb als eines von fünf Prinzipien eines modernen Hochwasserschutzes, die »Schwammfähigkeit von Landschaften« wieder zu steigern. Auch das Bundesamt für Naturschutz verlangt schon seit Jahren, den natürlichen Hochwasserschutz zu stärken und Flussauen stärker zu renaturieren. Das würde der Biodiversität und dem Schutz vor Überschwemmungen dienen.

Doch der so genannte natürliche Hochwasserschutz kommt nur schleppend voran. Das bayerische Umweltministerium erklärt, seit 1999 seien im Freistaat 1300 Kilometer Gewässerstrecke und rund 2700 Hektar Auenfläche renaturiert worden. Das ist aber nur ein Bruchteil der rund 100 000 Kilometer Fließgewässer in Bayern und entspricht nur einer 5,2 mal 5,2 Kilometer großen neuen Auenfläche. Bundesweit, kritisiert Gewässerforscher Martin Pusch vom IGB, werde bei Hochwasserschutz zu zwei Dritteln auf technische Maßnahmen gesetzt statt auf die Revitalisierung der Natur. Von 168 Vorhaben aus dem Jahr 2013 seien bisher auch nur 26 in der Umsetzung.

Nach dem Hochwasser in Süddeutschland stehen Bund und Länder nun vor der großen Frage, was sie daraus lernen werden. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder muss sich entscheiden: Bei seinem Auftritt im Überschwemmungsgebiet mit Bundeskanzler Olaf Scholz versprach er »mehr natürlichen Klimaschutz«. Das würde bedeuten, mit Landwirten und Naturschützern Allianzen aufzubauen, um von flächendeckender Trockenlegung wegzukommen und den Feuchtwiesen eine neue Zukunft zu geben. Zugleich profiliert sich Söder wie die ganze konservative EVP im Europaparlament als Gegner des EU-Renaturierungsgesetzes, das genau dies leisten soll. Das Gesetz hängt derzeit am seidenen Faden, Mitte Juni entscheiden die Mitgliedsstaaten über sein Schicksal.

Daran hängt auch das Schicksal der Wiesenbrüter. Denn es gibt durchaus Stimmen – etwa den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger – die Renaturierung verteufeln. Hochwasser soll demnach mit immer neuen und höheren Dämmen und mit noch mehr Trockenlegung bekämpft werden. Ob sich der natürliche Hochwasserschutz dagegen durchsetzt, wird man sowohl an den Pegelständen ablesen können als auch daran, ob sich die Bestände von Großem Brachvogel, Kiebitzen, Bekassinen und Wachtelkönigen so entwickeln, dass Naturschützer nicht mehr um jedes einzelne Küken bangen.

Ganz verloren hat Verena Rupprecht vom LBV die Hoffnung noch nicht. »Wir haben einzelne erwachsene Brachvögel, die in den stark überschwemmten Gebieten noch warnend rufen«, sagt sie. Die Tiere verhalten sich so, als ob ihre Küken noch am Leben wären.

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