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Trommelsprache: Wie man mit Hilfe von Trommeln spricht

Der Ton macht die Musik, aber der Rhythmus macht die Sprache. Das gilt zumindest bei den Bora, einer indigenen Gruppe aus dem Amazonas-Regenwald, die eine der ältesten Trommelsprachen Lateinamerikas verwenden.
Die im Amazonasgebiet lebenden Bora ahmen den Rhythmus ihrer Sprache mit Trommeln nach.

Mit so genannten Manguarétrommeln können sich die Bora über Kilometer hinweg mit ihren Nachbarn unterhalten – um Neuigkeiten auszutauschen, einen Besuch anzukündigen oder jemanden zum Essen einzuladen. Oft geht es auch um ganz banale Dinge: Bei einem seiner Besuche trommelte jemand die Bitte, noch schnell die Turnschuhe ins Trockene zu stellen, erzählt Frank Seifart, der die Sprache der indigenen Gruppe im peruanisch-kolumbianischen Grenzgebiet untersucht hat.

Möglich wird dieser Ausdrucksreichtum, weil die Bora weder festgelegte Signale noch eine Art Morsekode verwenden, sondern ihre normale gesprochene Alltagssprache durch Trommelschläge nachahmen. Wie sie dabei vorgehen, beschreibt das Team um den Linguisten von der Universität Amsterdam jetzt in der Zeitschrift »Royal Society Open Science«: Für die Verständlichkeit der getrommelten Nachricht spielt deren Rhythmus offenbar eine weitaus größere Rolle, als bisher angenommen wurde.

Die Wissenschaftler verglichen dazu Tonaufnahmen getrommelter Nachrichten mit ihren lautsprachlichen Übersetzungen und fanden heraus, dass die Pause zwischen den Trommelschlägen umso länger ist, je größer der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Vokalen in der mündlichen Version des Satzes ist. Am längsten ist die Pause beispielsweise dann, wenn der erste Vokal lang gesprochen wird und ihm noch mehrere Konsonanten folgen. Bei einem kurzen Vokal würde sich die Pause entsprechend reduzieren.

Im Rhythmus steckt die Botschaft

»Die Bora-Trommelkommunikation zeigt, dass Sprache praktisch ganz auf ihre rhythmische Struktur reduziert werden kann und trotzdem – unter bestimmten Umständen – verständlich bleibt«, sagt Seifart. Wo Missverständnisse drohen, greifen die Bora auf alternative Formulierungen zurück, die, zum Beispiel weil sie länger sind, einen eindeutigeren Trommelrhythmus erzeugen. Manche dieser Umformulierungen sind regelrecht standardisierte Umschreibungen, die in der gesprochenen Sprache nicht verwendet werden. Andere Elemente sind ihrer ursprünglichen Bedeutung sogar komplett beraubt und dienen nur als gut verständliche Kennzeichnungselemente. Substantive erhalten beispielsweise fast alle eine getrommelte Endung, die im gesprochenen Bora so viel wie »gestorben« bedeuten würde – egal, ob sich das getrommelte Wort auf einen Toten, einen Gegenstand oder eine quicklebendige Person bezieht.

Die untersuchten Trommelnachrichten folgen außerdem einem strengen Aufbau, vergleichbar mit einem Telegramm. So folgen nach einem kurzen Betreff die Anrede des Adressaten, danach die eigentliche Nachricht und schließlich eine Schlussfloskel. In der Regel handelt es sich um nicht mehr als 15 Wörter, was ungefähr 60 Trommelschlägen entspricht. Die Kernbotschaft wird dabei in der Regel auch nochmals wiederholt. Alles zusammen stellt den Sprachwissenschaftlern zufolge sicher, dass die Kurznachrichten unmissverständlich sind.

Getrommelte Botschaft

»Ich beende gerade die Cahuana.« Der Trommler verkündet, dass er den Cahuana-Wettstreit – einen Trinkwettbewerb – gewonnen hat. Cahuana ist ein alkoholfreies Getränk aus Maniok-Stärke.

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Gesprochene Botschaft

Dieselbe Botschaft gesprochen: »káɁgúnúkòúβú ò áɁʦàkúnè«

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Während man mit der Stimme maximal eine Hörweite von 200 Metern erreicht, können Manguarétrommeln noch in bis zu 20 Kilometer Distanz vernommen werden. Sie bestehen aus zwei unterschiedlich großen, ausgehöhlten Baumstämmen, zwischen denen der Trommler steht. Mit der kleineren kann er hohe Töne und mit der größeren tiefere Töne produzieren. Insgesamt lassen sich vier Tonhöhen erzeugen, von denen die Bora für die Nachrichtenübermittlung allerdings nur zwei gebrauchen.

Diese beiden Tonhöhen entsprechen den beiden so genannten Tönen, in denen Bora-Vokale auftreten: Mit Hilfe hoch oder tief gesprochener Vokale unterscheiden die Bora in ihrer normalen mündlichen Kommunikation grammatische Strukturen. In der getrommelten Variante helfen sie dem Hörer dabei, den Satzbau der Botschaft zu analysieren. Für den Inhalt der Nachricht spiele die Tonhöhe hingegen nur eine untergeordnete Rolle, erläutern die Forscher.

Anders ist dies bei afrikanischen Sprachen, die ebenfalls getrommelt werden und schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingehend untersucht wurden. Bei diesen Sprachen tauchen die Vokale in vier oder mehr Tonhöhen auf. Ändert sich bei einem Wort der Ton eines Vokals, ändert sich mitunter auch komplett seine Bedeutung. Das macht man sich beim Trommeln zu Nutze. Geübte Hörer können schon allein an der Abfolge von Schlägen unterschiedlicher Tonhöhe erkennen, um welches Wort es sich vermutlich handelt. Auch Pfeifsprachen, die in vielen Ländern gebraucht werden, verwenden Tonhöhenunterschiede und -verläufe, um gesprochene Sprache zu imitieren.

Bei den Bora kommen die vier Töne ihrer Manguarétrommeln nur dann zum Tragen, wenn sie ganz klassisch als Musikinstrumente eingesetzt werden. Solche Musiksequenzen würden den Sprachnachrichten teils auch vorausgeschickt und dienten als eine Art Klingelton, wie die Forscher beobachten konnten.

Die Manguarésprache gehört zu den ältesten Trommelsprachen Lateinamerikas. Mittlerweile besteht die indigene Gruppe der Bora aber nur noch aus zirka 1500 Mitgliedern, die in kleinen Gemeinschaften im Amazonas-Regenwald Kolumbiens und Perus leben. Da das gesprochene Bora immer mehr vom Spanischen verdrängt wird, befürchten die Forscher, die gesprochene und getrommelte Sprache könne bald ganz in Vergessenheit geraten – von den Manguarétrommeln existieren nur noch rund 20 Stück, die immer seltener verwendet werden.

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