Planetenentwicklung: Wie Merkur seinen Drehsinn bekam
Wie die meisten Planeten unseres Sonnensystems – Venus und Uranus bilden die Ausnahme – ist auch die Eigenrotation des Merkurs prograd. Dies bedeutet, dass die Rotation um die eigene Achse den gleichen Drehsinn hat, mit dem alle Planeten um die Sonne kreisen: vom Nordpol aus gesehen gegen den Uhrzeigersinn. Allerdings ist Merkurs Drehung im Vergleich zur Erde so langsam, dass in zwei Merkurjahren von je 88 Erdtagen nur drei Merkurtage von je 59 Erdtagen Dauer vergehen. Der sonnennächste Planet hat also eine Umlaufresonanz von drei zu zwei. Allerdings störten sich Wissenschaftler um Mark Wieczorec von der Universität Paris-Diderot daran, dass es nur mäßig wahrscheinlich ist, dass Merkur direkt diese 3:2-Resonanz einnahm.
Diese Wahrscheinlichkeit kalkulierten sie nämlich zu 26 Prozent. Die Forscher schreiben daher, es sei zwar denkbar, dass Merkur schon bald nach seiner Entstehung in diesen Rotationszustand geriet. Doch sie gaben sich damit nicht zufrieden und berechneten die Wahrscheinlichkeit weiterer Szenarien per Computersimulation.
Ihr Ausgangspunkt war, dass es für die Planeten zu Beginn gleich wahrscheinlich ist, eine pro- oder retrograde Rotation einzunehmen; sich also gegen den oder im Uhrzeigersinn zu drehen. Die Wissenschaftler betrachteten für ihre Simulationen eine retrograde Ausgangssituation. Aus dieser Startposition errechneten sie 1000 Entwicklungsfälle über einen Zeitraum von 100 Millionen Jahren. In ihre Simulationen gingen die solaren Gezeiten, gravitative Störungen durch die Nachbarplaneten und die Reibung zwischen Merkurkern und -mantel ein.
68 Prozent dieser Simulationsläufe endeten für den Merkur in einer synchronen Rotation. In dieser 1:1-Resonanz rotiert ein Himmelskörper pro Umlauf genau ein Mal um sich selbst; beispielsweise wendet der Mond uns auf diese Weise immer die gleiche Seite zu. Die synchrone Rotation ist ein sehr stabiler Zustand, den sehr viele Monde in unserem Sonnensystem einnehmen.
Um in die heutige 3:2-Resonanz zu gelangen, so die Wissenschaftler weiter, müsste ein Asteroideinschlag dem Merkur zusätzlichen Schwung gegeben haben. Die dafür nötige Energie berechneten Wieczorec und Koautoren in eine Kratergröße um. Demnach müsste ein solcher Asteroid mindestens einen Einschlagkrater zwischen 650 und 1100 Kilometern Durchmesser hinterlassen haben. Als jüngster Kandidat kommt hierfür das Caloris-Becken mit einem Durchmesser von 1450 Kilometern infrage, das vor 3,73 Milliarden Jahren entstand.
Tatsächlich unterstützt die allgemeine Lage von Einschlagkratern dieses Entwicklungsszenario. Denn während einer synchronen Rotationsphase müssten Asteroiden ein ungleichmäßiges Muster auf der Merkuroberfläche hinterlassen haben. Die Flugbahnen der meisten Asteroiden und Kometen treffen dann in großem Winkel auf die Umlaufbahn des Merkurs. Daher sollten die meisten Einschläge auf der sonnenzu- und -abgewandten Seite entstehen. Die Bestätigung fanden die Forscher in den fotografischen Daten der Mariner-10 und Messenger-Sonden: In der westlichen Hemisphäre des Planeten entdeckten sie kaum große und ältere Krater, in der Mitte der östlichen ebenso.
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