Ebola: Wie »Patient null« sich angesteckt hat
»Ein Kind als Indexfall: Da muss irgendwie etwas falsch sein.« Fabian Leendertz war verwundert, als er im April 2014 durch die Wälder in Guinea zog und die neuesten Nachrichten mitbekam. Ende März hatte die Regierung des westafrikanischen Landes bekannt gegeben, dass in dem Land ein hämorrhagisches Fieber ausgebrochen ist, genauer gesagt: Ebola. Zehn Tage später war Fabian Leendertz vor Ort. Der Tierarzt leitet am Robert Koch-Institut die Projektgruppe »Epidemiologie hochpathogener Erreger«, was so viel heißt wie: die Entstehung und Verbreitung besonders krank machender Keime – wie eben Ebola.
»Klassischerweise ist ein Großteil der Ebolaausbrüche beim Menschen darauf zurückzuführen, dass es eine Epidemie bei Menschenaffen gibt, vor allem bei Schimpansen und Gorillas«, sagt Leendertz. So, wie es schon im Kongo der Fall war und in Gabun. »Die Tiere liegen dann tot im Wald herum. Die Jäger, die in den Wald gehen, finden die Tiere, fassen sie an und nehmen sie mit nach Hause, wenn sie noch nicht allzu lange tot sind.« Dann gehe die Ebolaepidemie auch beim Menschen los.
Aus diesem Grund war Leendertz gemeinsam mit Ökologen in zwei geschützten Waldgebieten in Guinea unterwegs: auf der Suche nach Menschenaffen und nach Zeichen, die auf eine Ebolaepidemie unter den Tieren hindeuten. Doch die Forscher stolperten nicht gerade über Kadaver von Menschenaffen. Stattdessen kam die Nachricht: Ein zweijähriger Junge war wohl der allererste Mensch, der in Westafrika an Ebola erkrankt und auch daran gestorben ist. Als »Patient null« wird er bezeichnet oder auch als Indexfall. »Der Indexfall müsste eigentlich ein Mann sein und ein Jäger«, begründet Leendertz seine Verwunderung. Aber der Vater des Kleinkindes war kein Jäger, ja, er wohnte nicht einmal bei seiner Familie. Doch es gab keine Zweifel: Die Infektionsketten führten zu diesem Kleinkind.
Der Ursprung der Epidemie schien somit klar. Ungewiss war aber nach wie vor der Übersprung: Von welchem Tier ist das Ebolavirus auf den Menschen, auf ein Kleinkind, übertragen worden?
Spurensuche in Meliandou
Leendertz' Team teilte sich auf: Ein paar Ökologen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie durchkämmten weiter die zwei Waldschutzgebiete, um nach Spuren von Menschenaffen zu suchen. Und Leendertz selbst reiste mit drei Tierärzten vom Robert Koch-Institut und einer Anthropologin weiter nach Meliandou: In diesem Dorf nahe Guéckédou in Guinea hatte der Junge gelebt. Die Anthropologin sprach ausführlich mit den Einwohnern – und befragte auch Kinder.
Dabei stellte sich heraus, dass die Kinder im Dorf »die größten Jäger« waren, so Leendertz. »Sie gehen mit ihren Stöcken los, stochern unter den Strohdächern und hauen Fledermäuse auf den Boden. Diese werden dann aufgespießt und gegessen, als zusätzliche Proteinquelle.« Das ist an sich nicht ungewöhnlich, weiß Fabian Leendertz. Der Tierarzt ist seit Jahren immer wieder in Afrika unterwegs, um mysteriöse Tierseuchen aufzuklären oder zu untersuchen, wie Krankheitserreger vom Tier auf den Menschen oder umgekehrt überspringen.
Doch in Meliandou, diesem kleinen Dorf im Drei-Länder-Eck von Guinea, Liberia und Sierra Leone, gab es etwas Besonderes: einen großen, hohlen Baum, gut 50 Meter von der Hütte entfernt, wo Patient null mit seiner Familie gelebt hatte, etwa auf halber Strecke zu einer Wasserstelle, wo sich die Frauen waschen. Die Frauen gingen mit ihren Kindern ständig an diesem Baum vorbei, erfuhren Leendertz und seine Kollegen. Und für die Kinder war dieser hohle Baum ein typisch »afrikanischer Spielplatz«.
In dem Baum lebte wohl eine riesige Fledermauskolonie. Die Beschreibungen der Dorfbewohner passten gut zur Art Mops condylurus. Die Tiere sind nur wenige Zentimeter groß, weit verbreitet in Subsahara-Afrika – und wurden schon einmal verdächtigt, eine Ebolaepidemie ausgelöst zu haben: Als 1976 in Nzara im Sudan (heute Südsudan) das Ebolafieber bei Mitarbeitern einer Baumwollfabrik ausbrach, fand man vor Ort ebenfalls Fledermäuse der Art Mops condylurus – und Tiere dort hatten auch Antikörper gegen das Ebolavirus gebildet, waren also schon einmal mit diesem Erreger in Kontakt gekommen. Tierversuche haben mittlerweile gezeigt: Den Fledermäusen selbst macht Ebola nicht allzu viel aus. Die Tiere überleben normalerweise – können aber während der Infektion die Viren übertragen.
Von der Fledermaus auf den Menschen
In dem Baum in Meliandou sollen tausende Fledermäuse gelebt haben. Tiere einfangen und untersuchen konnte Fabian Leendertz aber nicht: Ein paar Tage, bevor das Forscherteam in dem Dorf angekommen ist, ging der Baum in Flammen auf. Warum, das ließ sich nicht eindeutig rekonstruieren, sagt der Forscher: »Die Leute aus dem Dorf haben verschiedene Geschichten erzählt.« Den einen zufolge hätten Kinder beim Spielen aus Versehen den Baum angezündet; andere sagten, der Baum sei abgebrannt worden, um an Honig zu kommen; wieder andere waren der Meinung, der Baum sei absichtlich in Brand gesteckt worden, weil zu jenem Zeitpunkt verboten wurde, Fledermäuse und Flughunde zu jagen und zu verzehren. Auf jeden Fall »regnete es Fledermäuse«, erzählten die Einheimischen. Die Tiere wurden in Reissäcke gepackt, und anhand der Anzahl und der Größe der vollgestopften Fledermaussäcke konnten die Forscher hochrechnen, dass es tausende Tiere gewesen sein müssen. Aber als Leendertz mit seinem Team ankam, waren die Fledermäuse bereits verbrannt oder von Hunden und Ratten aufgefressen worden. »Das heißt, wir konnten diese Kolonie leider nicht beproben. Das ist sehr ärgerlich.«
Die Notlösung: Proben von der Erde und der Asche im und um den Baumstumpf herum. Später, zurück in den Laboren in Deutschland, stellte sich heraus: Ja, in den Proben war tatsächlich Erbmaterial von der Fledermausart Mops condylurus. Damit ist zwar nicht zweifelsfrei bewiesen, dass die Ebolaepidemie in Westafrika auf diese kleine Fledermausart und diese eine Kolonie in diesem einen Baum zurückgeht – wahrscheinlich ist es aber durchaus.
Dabei waren ursprünglich eigentlich zwei andere Quellen für die Ebolaepidemie in Verdacht geraten: Flughunde und Menschenaffen. Diese können allerdings ausgeschlossen werden, wie weitere Daten von Leendertz' Reise ergeben haben. So fanden die Forscher in den Gesprächen mit der Bevölkerung heraus: Die Erwachsenen vor Ort jagen Flughunde nur, wenn es nötig ist; zumal es in Meliandou ohnehin keine richtige Kolonie gibt, sondern nur ein paar einzelne Tiere.
Und eine Ebolaepidemie unter den Menschenaffen vor oder zu Beginn des Ausbruchs beim Menschen gab es wohl auch nicht, berichten die Forscher nun im Fachjournal »EMBO Molecular Medicine« [1]. Mitarbeiter der Wild Chimpanzee Foundation hatten vor einigen Jahren schon einmal erhoben, wie viele Menschenaffen in der Gegend leben. Im Vergleich zu damals waren es nun sogar mehr Schimpansen. Das ergab sich aus dem Monitoring und einem Modell zur Berechnung der Populationsdichte von Menschenaffen.
Seit die Forscher in Guinea versucht haben, den Übersprung zu rekonstruieren, hat sich der Ausbruch zur bisher schlimmsten Ebolaepidemie ausgeweitet: 19 497 Menschen hatten sich nach Angaben der WHO bis Dezember 2014 mit dem Virus infiziert, 7588 starben – fast alle davon in Guinea und den Nachbarländern Liberia und Sierra Leone. (Anm. d. Red.: Die Ebolaepidemie endet offiziell im November 2015. Bis dahin steckten sich mehr als 28000 Menschen mit dem Virus an, und mehr als 11000 überlebten die Infektion nicht.)
Auch wenn es überraschend ist, dass das Ebolavirus dieses Mal wohl von kleinen Fledermäusen auf den Menschen übergesprungen ist und nicht von größeren Flughunden oder Menschenaffen: Leendertz hofft, dass seine Forschungsergebnisse nicht dazu führen, dass nun überall Fledermäuse ausgerottet werden, um das Ebolarisiko vermeintlich zu verringern. Das wäre eher kontraproduktiv, weil es zu mehr Kontakt zwischen Tier und Mensch führt. Zumal unklar sei, wie weit das Ebolavirus in den Fledermäusen in Westafrika überhaupt verbreitet ist, so der Forscher.
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