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News: Wie Perlen aus dem Reagenzglas

Eine Forschergruppe aus Mainz konnte winzige Kügelchen aus Calcit rund um einen synthetischen Kern erzeugen. Zum ersten Mal gelang es, anorganische Materialien dazu zu bringen, sich in spezifischer dreidimensionaler Gestalt aufzubauen, nur ausgehend von einfachen Molekülen. Damit ist ein großer Schritt vorwärts getan, auf dem Weg künstliche Knochen und Zähne nur aus Materialien herzustellen, wie sie auch in der Natur vorkommen.
Jörg Küther und Dr. Ram Seshadri, aus der Arbeitsgruppe von Prof. Wolfgang Tremel an der Universität Mainz erläutern in Angewandte Chemie, Nummer 18, September 1998, wie sie Calcit (Kalkspat), eine Form von Calciumcarbonat, dazu brachten, auf einer submikroskopischem Oberfläche aus Gold, das in Wasser suspendiert war, zu kristallisieren. Die magische Zutat war das organische Parasulfanylphenol. Sobald dieses die Goldpartikel bedeckt, fällt Calcit aus der Lösung aus, so daß Kristalle zu wachsen beginnen. Das Ergebnis sind mikroskopische Calcitkügelchen, die wie kleine Perlen aussehen.

Das Forschungsgebiet der Wissenschaftler ist die Biomineralisation. Ein interdisziplinäres Gebiet, das sich von anorganischer Chemie, über Biochemie, Biologie, Medizin bis zur Geologie erstreckt. Bei der Biomineralisation üben organische Substanzen eine beträchtliche Kontrolle über die Kristallisation von Mineralien aus und veranlassen sie, Formen zu bilden, die sie von allein nicht annehmen würden. Überläßt man beispielsweise das Wachstum von Calciumcarbonat und Calciumphosphat sich selbst, bilden sie recht gewöhnliche Kristalle. Kommen aber organische Materialien mit ins Spiel, ergeben sich Strukturen wie Muschelschalen, Perlen, Knochen oder Zähne.

Die Kristallisation wirkt sich aber auch auf thermodynamischer Ebene aus. So können Muschelschalen Aragonit enthalten – ebenfalls eine Form von Calciumcarbonat – von dem nicht erwartet würde, daß es sich bildet, da Calcit die stabilere Form wäre. Oder Knochen: Sie bestehen außer aus Hydroxyapatit – einer Form von Calciumphosphat – auch aus Proteinen wie Collagen und anderen Substanzen. Warum? Das Geheimnis liegt in der Zusammensezung der organischen Substanzen. Collagen beispielsweise bildet eine Art Baugerüst, auf der die Matrialien dann in einer vorbestimmten Art kristallisieren können.

Vieles über Biomineralisation konnte am tierischen Beispiel erforscht werden. Bekannt sind besonders Perlen, die sich bilden, wenn Fremdsubstanzen zwischen Schale und Mantel von Weichtieren eingebracht werden. Die Arbeitsgruppe von Prof. Tremel beschritt andere Wege. Ihr geht es nicht darum, das Wachstum einer Perle exakt nachzubilden, sondern darum, die Mechanismen zu verstehen, die zum Wachstum einer Perle führen. Sie erhoffen sich daraus Anregungen, wie man Kristalle formt. Dazu untersuchen sie ausschließlich künstliche Systeme. Zu Beginn waren es noch zweidimensionale Systeme, aber bald gingen die Forscher zu dreidimensionaler Kristallbildung über. Ihr Ziel war es, so nahe wie möglich an der Natur zu bleiben und biomimetisch vorzugehen – denn Muschelschalen, Knochen und Zähne sind schließlich dreidimensional.

Durch die mit Thiol bedeckten Goldpartikel wird die Kristallisation des Calcits in eine andere Richtung gelenkt als sie ohne die Goldpartikel stattfinden würde. Das Lösungsgemisch aus Calciumcarbonat und Gold-Thiol liefert eine tiefrosa Färbung, die aber während des Kristallisationsprozesses immer mehr verblaßt. Die entstandenen Kügelchen sinken auf den Boden. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sie sich als eine komplexe kugelförmige Anordnung von Calcit, die bisher weder bei natürlichem Calcit noch in Experimenten, bei denen sich Calcit auf flachen Gold-Thiol-Oberflächen formt, gesehen wurde. Dieser Aufbau ist von einer Komplexität, die nicht mit flachen 2-dimensionalen Bauschablonen erreicht werden kann.

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