Quantensensoren: »Es lassen sich Dinge sichtbar machen, die uns bislang verborgen sind«
Herr Bongs, Quantencomputer sind in der Öffentlichkeit sehr präsent, über Quantensensoren spricht dagegen kaum jemand. Wie erklären Sie sich das?
Ich denke, es hat damit zu tun, dass sich fast jeder intuitiv etwas unter einem Computer vorstellen kann. Man horcht interessiert auf, wenn die Rede davon ist, dass ein Quantencomputer eines Tages schneller und leistungsfähiger sein könnte als die Rechner, die wir heute haben. Sensoren dagegen arbeiten stets im Hintergrund. Sie liefern wichtige Daten, sind aber sonst unsichtbar. Das ist bei Quantensensoren nicht anders. Entsprechend erschließt sich ihr Nutzen den meisten Menschen nicht sofort.
Wie muss man sich denn so einen Quantensensor vorstellen?
Also zunächst einmal nimmt ein Quantensensor, so wie jeder andere Sensor auch, Informationen aus seiner unmittelbaren Umgebung auf. Das ist vergleichbar mit unseren Augen und Ohren, die ja letztlich ebenfalls Sensoren sind. Allerdings ist die Qualität der Daten, die ich mit einem Quantensensor erhalte, unvergleichlich höher. Denn er nutzt quantenmechanische Phänomene aus wie die Verschränkung und Überlagerung von Quantenzuständen. So lassen sich Dinge sichtbar machen, die uns bislang verborgen waren.
Was denn zum Beispiel?
Vor allem in der Medizintechnik sind viele neue Anwendungen denkbar. Quantensensoren können möglicherweise Prothesen steuern, Hirnströme sichtbar machen und überhaupt winzigste Signale an der Grenze des theoretisch Möglichen messen. Die Magnetfelder des Gehirns beispielsweise sind sehr schwach, sie liegen im Bereich von 10 bis 100 Femtotesla. Zum Vergleich: Das Erdmagnetfeld ist rund eine Milliarde Mal stärker. Das ist so, als wollte man ein Virus im Heuhaufen suchen. Quantensensoren sind womöglich die einzigen Messgeräte, die diese Felder überhaupt detektieren können. Und um auch ein Beispiel abseits der Medizin zu nennen: Mit Quantensensoren, die feinste Gravitationsunterschiede hochpräzise messen können, lässt sich tief unter die Erdoberfläche gucken. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten, um den Untergrund zu kartieren. Damit kann man beispielsweise Tunnelsysteme sichtbar machen oder leckende Wasserrohre lokalisieren.
Gibt es dafür nicht bereits die Wünschelrutengänger?
(lacht) Sie scherzen, aber tatsächlich habe ich während meiner Zeit als Direktor des Quantum Technology Hub Sensors and Timing in England mal einen Anruf von einer Frau aus Australien erhalten, die Hilfe haben wollte bei der Suche nach Opalen. Ihr Vater habe den Boden bislang mit einer Drahtschlaufe, also einer Art Wünschelrute, danach abgesucht, doch der werde langsam alt und falle immer häufiger aus. Sie sei deshalb auf der Suche nach einer neuen Technologie.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich bin natürlich freundlich geblieben und habe gesagt, dass Quantensensoren sehr empfindlich sind, aber sich hier möglicherweise zu viele verschiedene Signale und Einflüsse überlagern, um einen einzelnen Opal zu finden. Mir ist es auch nach einem Vortrag über die Funktionsweise von Quantensensoren schon passiert, dass Zuhörer zu mir kamen und sagten, es würde also doch alles mit allem über Schwingungen zusammenhängen. Da kann ich nur sagen, dass es in der Quantenphysik zwar noch viele offene Fragen gibt, aber Quantenheilungskräfte und bewusstseinsverändernde Energiefelder lassen sich einigermaßen sicher ausschließen.
»Mit Quantensensoren lassen sich Rückschlüsse auf Magnetfelder, Gravitation, Beschleunigung, Rotation und den Verlauf der Zeit ziehen«
Dann lassen Sie uns doch wieder in den Bereich des physikalisch Möglichen zurückkehren. Welche konkreten Größen dieser Welt kann man mit Quantensensoren messen?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns erst mal anschauen, wie so ein Quantensensor aufgebaut ist. Er besteht meist aus einem quantenmechanischen Zwei-Zustands-System – also beispielsweise aus einem Atom, einem Photon oder einer Stickstofffehlstelle in einem Diamanten. Letztlich lässt sich jedes System nutzen, mit dem man auch ein Qubit für einen Quantencomputer realisieren kann.
Das Messprinzip beruht dann darauf, dass eine Überlagerung zwischen den beiden ausgewählten Energieniveaus typischerweise zu einer Schwingung der quantenmechanischen Wellenfunktion führt. Die Schwingungsfrequenz hängt vom Abstand der Energieniveaus ab, und ihre Änderung lässt sich hochpräzise messen. Indem ich Energieniveaus mit bestimmten Abhängigkeiten von verschiedenen Umgebungsbedingungen wähle, kann ich Rückschlüsse auf Magnetfelder, Gravitation, Beschleunigung, Rotation und den Verlauf der Zeit ziehen. Indirekt kann man auch Größen wie die Temperatur bestimmen.
In welchen Bereichen werden bereits Quantensensoren genutzt?
Letztlich ist jede Atomuhr ein Quantensensor – und die nutzen wir seit den 1960er Jahren für eine hochpräzise Zeitmessung. Dabei wird die Frequenz eines atomaren Energieübergangs gemessen und daraus ein Zeitnormal abgeleitet. Eine Cäsiumatomuhr schwingt beispielsweise rund neun Milliarden Mal in der Sekunde. Unsere gesamten Satelliten-Navigationssysteme basieren auf solchen Atomuhren. Da Atomuhren aber schon so alt sind, können sie nicht wirklich als neue Quantentechnologie gelten.
Was wären denn Beispiele für neue Quantensensoren?
Am ausgereiftesten sind sicherlich die optisch gepumpten Magnetometer, die mit gasförmigen Atomen arbeiten. Für die Mineraliensuche sind solche Sensoren bereits seit einigen Jahren kommerziell erhältlich. Auch werden bereits Magnetenzephalografie-Systeme in Forschungskliniken installiert, die völlig berührungslos und deutlich komfortabler als bislang Hirnströme messen können. Den Probanden müssen keine Elektroden mehr auf den Kopf geklebt werden, sie tragen nur noch eine Art Mütze. Außerdem konnte mit einem Quantensensor auf Diamantbasis im Labor bereits das Herzsignal einer Ratte gemessen werden. Darüber hinaus sind künftig verträglichere Prothesen als bisher denkbar, die über magnetische Impulse gesteuert werden, statt die elektrischen Signale der Nervenenden abzugreifen. Zudem gibt es sehr viel Forschung im Bereich der Mikrofluidik, also der Analyse von Stoffen in Körperflüssigkeiten wie Blut oder Schweiß.
Was sind die Vorteile von Quantensensoren gegenüber klassischen Sensoren?
Jetzt kommt leider eine Wissenschaftlerantwort: Es kommt darauf an. Also in Bezug auf Atomuhren muss man sagen, dass es die genaueste Art und Weise ist, die Zeit zu messen, die wir kennen. Da kommt keine klassische Methode heran. Will man dagegen Magnetfelder messen, sind Quantensensoren zwar ebenfalls die genaueste Methode, aber aktuell noch nicht die günstigste. Bei der Bestimmung der Gravitation verspricht man sich von Quantensensoren eine höhere Präzision und eine bessere Ortsauflösung, bislang hat es jedoch niemand geschafft, mit einem praktischen Instrument ein klassisches Feder-Masse-Gravimeter in der Empfindlichkeit zu schlagen.
Allerdings erlauben Quanten-Gravimeter absolute Messungen, das heißt, sie kommen ohne Kalibration aus. Wegen ihres besonderen Messprinzips können sie außerdem zu einem so genannten Gravitationsgradienten-Sensor erweitert werden. Bisher erscheint jede Vibration als Rauschen in den Daten. Bildet man jedoch die Differenz zwischen zwei räumlich getrennten Gravimetern, lassen sich solche Störungen unterdrücken. Damit wäre es künftig sogar möglich, diese hochsensiblen Messgeräte auf rüttelnden Fahrzeugen zu installieren und trotzdem großräumige Kartierungen durchzuführen.
Die Universität Stuttgart schreibt in einem Artikel zum Thema: »Der Quantencomputer braucht rund eine Million physikalische Qubits, um klassische Rechner zu schlagen, während Quantensensoren mit nur einem Qubit allen klassischen Sensoren überlegen sein können.« Was sagen Sie dazu?
Ja, das ist der große Vorteil der Quantensensoren. Während ich die Qubits beim Quantencomputer möglichst gut von ihrer Umgebung abschirmen muss, damit sie lange kohärent sind, nutze ich in der Quantensensorik genau diese Empfindlichkeit. Letztlich befruchten sich aber beide Bereiche gegenseitig. Wenn ich besser verstehe, was die Sensoren so empfindlich macht, kann ich die Qubits im Quantencomputer besser vor den störenden Umwelteinflüssen schützen.
Wie weit sind die Miniaturisierung und die Kommerzialisierung von Quantensensoren?
Das variiert sehr stark zwischen den verschiedenen Technologien. Am weitesten sind wie gesagt die optisch gepumpten Magnetometer. Da gibt es bereits kommerziell erhältliche Sensoren. Aber auch die Diamant-NV-Zentren lassen sich bereits auf einem fingernagelgroßen Chip unterbringen. Dazu kommt dann zwar immer noch die Steuerungs- und Ausleseelektronik, aber in einen Schuhkarton passen die Systeme schon locker.
Diamant-NV-Zentren werden auch als mögliche Qubit-Plattform für Quantencomputer gehandelt – allerdings ist man da bislang noch nicht über vier Qubits hinausgekommen. Andere Systeme sind schon deutlich weiter. Könnte man nicht sagen, dass Diamanten eigentlich die besseren Sensoren sind, und die Forschung eher darauf fokussieren?
Es ist noch ein bisschen früh, um eine so klare Aussage zu treffen. Aber in der Tat zeigt sich, dass die ersten paar Qubits auf Diamantbasis schnell gebaut sind, sich die weitere Skalierung jedoch bislang als schwierig darstellt. Es bräuchte schon einen echten technischen Durchbruch, um gravierend weiterzukommen. Dagegen ist sicher, dass sich mit Diamanten sehr gute Quantensensoren bauen lassen – die sind sehr empfindlich auf allerkleinsten Skalen. Allerdings bleibt die Frage offen, ob sich eine Branche formt, die großindustriell so hochreine Diamanten herstellt, wie sie für die Quantensensorik benötigt werden.
»Es fehlt noch die eine Schlüsselanwendung, die die Tür zum Massenmarkt aufstößt und die Forschung daran auch kommerziell attraktiv macht«
Ist die deutsche Industrie schon bereit für Quantensensoren?
Teils, teils. Wir haben im April 2024 von der baden-württembergischen Initiative »Quantum BW« aus eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wer weltweit auf dem Gebiet aktiv ist. Wir konnten etwa 50 Start-ups identifizieren, sechs davon in Deutschland. Mittlerweile sind es bestimmt schon mehr geworden. Doch obwohl alle in den Startlöchern stehen und überzeugt davon sind, dass Quantensensoren disruptiv sind: Es fehlt noch die eine Schlüsselanwendung, die die Tür zum Massenmarkt aufstößt und die Forschung daran auch kommerziell attraktiv macht.
Aber das war ja anfangs beim Laser nicht anders.
Ja, genau. Als der Physiker Theodore Maiman in den 1960er Jahren den ersten Laser entwickelte, hatte auch noch niemand eine Ahnung davon, wofür er eingesetzt werden könnte. Das Einzige, was den Leuten in den Sinn kam, war, mit Hilfe eines Lasers einen blauen Luftballon innerhalb eines roten Luftballons platzen zu lassen. Der Laser war damals eine Lösung für ein noch nicht vorhandenes Problem. Heutzutage sind Laser überall – sogar an der Supermarktkasse. Ganz ähnlich könnte es in der Quantensensorik laufen. Es braucht das eine massentaugliche Produkt, das alles verändert. Wenn etwa die Gaming-Industrie plötzlich feststellt, dass die Leute es toll finden, Computerspiele mit Hilfe ihrer Gedanken zu steuern, könnte das auf Grund der Marktmacht die Preise für Quantenmagnetsensoren von bislang 5000 Euro auf dann vielleicht 10 Euro drücken.
»Albert Einstein wäre mit Sicherheit fasziniert von Quantensensoren«
Das klingt doch genial, oder nicht?
Na ja, offenbar noch nicht genial genug. Wenn ich die perfekte Anwendung für Quantensensoren kennen würde, säße ich wahrscheinlich nicht hier (lacht). Dass es in der Medizintechnik viele sinnvolle Einsatzbereiche für Quantensensoren gibt, darauf können sich alle schnell einigen. Da braucht es auch nicht unbedingt einen Massenmarkt – schließlich schleppt auch niemand ein Röntgengerät in seinem Smartphone herum. Aber dadurch sinken die Herstellungskosten nicht. In den angelsächsischen Ländern agieren viele der Start-ups im Bereich »Position, Navigation, Timing«. Die Anwendungen sind sehr vielseitig: von vernetzter, autonomer Mobilität bis hin zur Erdbeobachtung.
Sie lehren mittlerweile in Ulm, der Geburtsstadt von Albert Einstein, der zeitlebens nicht glauben wollte, dass sich Teilchen über große Distanzen hinweg beeinflussen können. Überhaupt hatte das Jahrhundertgenie ein ambivalentes Verhältnis zur Quantenmechanik. Was würde er heute zu den Quantentechnologien sagen?
Oh, er wäre mit Sicherheit fasziniert. Er hat die Quantentheorie ja bei aller Skepsis auch maßgeblich mitentwickelt. Er konnte sich nur mit den Konsequenzen nicht so recht anfreunden. Aber gut, auch wenn sich zunehmend herausstellt, dass Einstein danebenlag mit seinen Zweifeln, können Theorien sich immer wieder als falsch oder zumindest unvollständig erweisen. Vielleicht lachen die Menschen in 100 Jahren über unsere Naivität – so wie wir heute die Leute belächeln, die vor 150 Jahren an die Äther-Hypothese geglaubt haben, um die Ausbreitung von Licht zu erklären. Doch vielleicht sind Quantensensoren ja auch in einigen Jahren überhaupt nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Lassen wir uns überraschen.
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