Gesundheit: Wie Rauchen das Immunsystem stört
Dringen Krankheitserreger wie Bakterien und Viren in unseren Körper ein, setzen unsere Immunzellen so genannte Zytokine frei, um Abwehrreaktionen zu koordinieren. Als Signalstoffe übermitteln diese Moleküle zahlreichen weiteren Immunzellen die Anweisung, gegen die Erreger vorzugehen. Welche von ihnen ausgeschüttet werden und in welcher Menge, kann von Mensch zu Mensch variieren und hängt von Umwelteinflüssen sowie von den Erbanlagen ab. Ein Forschungsteam um Violaine Saint-André von der Université Paris Cité (Paris) hat jetzt Daten aus der Studie »Milieu Intérieur« ausgewertet, die vom Institut Pasteur in Paris koordiniert wird. Sie startete im Jahr 2012, schließt 1000 gesunde Französinnen und Franzosen ein und zielt unter anderem darauf ab, die individuellen Unterschiede in der Funktion des Immunsystems zu erforschen.
Saint-André & Co. haben systematisch 136 Variablen untersucht, die mit dem Zytokinhaushalt in Zusammenhang stehen und sich von Person zu Person unterscheiden. Dazu gehörten soziodemografische Faktoren, die Ernährung und der Lebensstil. Wie die Auswertung ergab, hängen die individuellen Zytokinreaktionen hier vor allem von drei Variablen ab: Tabakkonsum, latente Infektionen mit Cytomegaloviren und Body-Mass-Index. Diese drei hatten einen vergleichbar großen Einfluss wie die allgemeineren Faktoren Lebensalter, Geschlecht und Erbanlagen.
Um die Immunfunktion quantitativ zu messen, analysierte das Team die körpereigene Produktion von 13 Zytokinsorten, die bei Krankheiten eine Rolle spielen. Die Fachleute setzten Blutproben der Studienteilnehmer im Reagenzglas 12 verschiedenen immunogenen (Immunreaktionen auslösenden) Substanzen aus – beispielsweise Proteinen, die an bakteriellen und viralen Infektionen mitwirken. Das führte zu Reaktionen sowohl der angeborenen als auch der erworbenen Immunantwort. Die angeborene erlaubt schnelle und unspezifische Abwehrmaßnahmen gegen drohende Infektionen; die erworbene geht langsamer, aber zielgenauer gegen Erreger vor und erinnert sich gewissermaßen an zurückliegende Erkrankungen. Durch Messung dieser Reaktionen ermittelten die Fachleute den Immunstatus der jeweiligen Person.
Gesundheitsschädlich für lange Zeit
Von den untersuchten Umwelteinflüssen zeigte Tabak den statistisch deutlichsten Effekt auf alle immunogenen Faktoren. Die Daten belegen, dass Rauchen zumindest vorübergehend Mechanismen der angeborenen Immunantwort beeinflusst. Zudem verändert es erworbene Immunreaktionen – und das überraschenderweise sogar mehrere Jahre über einen Rauchstopp hinaus.
Um herauszufinden, wie Tabakkonsum auf das erworbene Immunsystem wirkt, legten Saint-André & Co. ihren Fokus auf epigenetische Faktoren. Epigenetische Modifikationen sind reversible molekulare Veränderungen an unserem Erbgut, die es den Körperzellen ermöglichen, die Genexpression zu steuern und so spezifische Funktionen im Organismus zu übernehmen. Wie aus den Studienergebnissen hervorgeht, beeinflusst Rauchen die Zytokinreaktion der erworbenen Immunantwort, und zwar mittels DNA-Methylierung. Das ist ein epigenetischer Prozess, bei dem Methylgruppen auf die DNA übertragen werden, was das Erbmolekül modifiziert, ohne seine Grundstruktur zu zerstören. Die Zelle wird so dazu angewiesen, die Sequenz in dem entsprechenden DNA-Abschnitt seltener abzulesen. Es zeigte sich: Tabakkonsum verringert die Methylierung in DNA-Bereichen, die mit der Regulation von Signal- und Stoffwechselprozessen zu tun haben. Mit der Folge, dass der Organismus auf potenzielle Krankheitserreger mit veränderten Zytokinspiegeln reagiert.
Das Forschungsteam fand einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Rauchen und einer gesteigerten Aktivität des Zytokins CXCL5, das bei bakteriellen Infekten freigesetzt wird und entzündliche Prozesse ankurbelt. CXCL5 dient als zelluläres Warnsignal, ist an der Steuerung von Immunreaktionen beteiligt und steht in Verbindung mit einem erhöhten Spiegel des Proteins CEACAM6 im Blut aktiver Raucher. Dieses Protein wiederum wirkt sowohl an Entzündungen als auch an der Immunregulation mit und ist im Gespräch als möglicher klinischer Biomarker für verschiedene Krebserkrankungen. Die überdurchschnittlich hohen Blutkonzentrationen von CEACAM6 bei Rauchern lassen vermuten, dass das Eiweiß zu einer entzündungsfördernden Signalkaskade gehört, die sowohl durch bakterielle Infektionen als auch durch Tabakkonsum angestoßen wird.
Die Studie von Saint-André und ihrem Team liefert weitere wissenschaftliche Argumente dafür, Nichtrauchen zu fördern, und sie zeigt im Hinblick auf künftige Studien zwei wichtige Aspekte auf. Erstens ergeben sich aus ihr neue Hinweise auf molekulare Mechanismen und damit verbundene Biomarker, die beim Wechselspiel zwischen Umweltfaktoren und Krankheiten eine Rolle spielen – insbesondere Erkrankungen, die mit Tabakkonsum einhergehen. Zweitens wirft sie ein Schlaglicht auf den dynamischen Charakter von Gen- und Proteinaktivitäten, und sie macht deutlich, wie wichtig es ist, krankheitsassoziierte Erbanlagen und Eiweiße in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen. Die Studie hat kurz- und langfristige Auswirkungen des Rauchens auf Zytokinreaktionen gesunder Personen belegt. Als Nächstes ist zu klären, ob sich die Ergebnisse im klinischen Umfeld sowie bei höherer genetischer Diversität der Probanden reproduzieren und besser verstehen lassen.
Ebenso macht die Arbeit klar, wie wichtig es ist, nach weiteren Umwelteinflüssen zu suchen, die kurz- oder langfristige Auswirkungen auf das Immunsystem haben könnten. Unsere Immunreaktionen hängen teils von Faktoren ab, an denen wir nichts ändern können – etwa vom Lebensalter und den Erbanlagen. Doch sie werden auch von Aspekten des persönlichen Lebensstils geprägt, beispielsweise vom Tabakkonsum und vom Körpergewicht. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Umweltfaktoren wie Rauchen und Luftverschmutzung zu einem weltweiten Anstieg von Krebs-, Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen beitragen. Wir haben aber bislang nur ein unzureichendes Verständnis davon, welche zellulären und molekularen Prozesse dem zu Grunde liegen. Und: Wenn wir besser verstehen wollen, wie die Außenwelt unser Immunsystem prägt, müssen wir verstärktes Augenmerk auf epigenetische Veränderungen, Genaktivitäten und Proteinfunktionen legen.
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