Quantenphysik: Wie real ist die Wirklichkeit?
Es stimmt etwas nicht mit unserem Weltbild - das ist so ziemlich die einzige sichere Aussage, die wir momentan machen können. Denn dort, wo sich Quantenphysik und Relativitätstheorie begegnen, stoßen Knopfloch und Reißverschluss aufeinander. Kein Modell bringt beide zusammen - und die menschliche Intuition winkt verwirrt ab.
"Wenn niemand im Wald ist und ein Baum umfällt, gibt das ein Geräusch?" – Vielleicht kennen Sie dieses buddhistische Rätsel und haben womöglich selbst ein wenig über die Lösung nachgegrübelt. Aus wissenschaftlicher Sicht sollte die Antwort ziemlich klar sein: Ein fallender Baum verdrängt Luft, was ein Sausen erzeugt, und bringt beim Aufprall den Boden zum Schwingen, was ein dumpfes Geräusch produziert. Ob sich jemand dieses Schauspiel ansieht und anhört, ist für den Prozess völlig irrelevant. So einfach ist das.
So einfach wäre das, gäbe es nicht die Quantenphysik. Die ist zwar experimentell hervorragend abgesichert – aber buddhistisch rätselhaft. "Wenn niemand nachmisst, hat ein Teilchen dann einen definierten Zustand?" Diesmal ist die Lösung schon schwieriger, denn laut Quantentheorie kann sich ein solches Teilchen in mehreren, zueinander widersprüchlichen Zuständen zugleich befinden. Beispielsweise sollen Elektronen simultan einen Spin nach oben und nach unten haben. Solange niemand hinsieht. Erst mit dem Messvorgang kollabiert diese Überlagerung, und das Elektron muss sich entscheiden.
Eine Seele, zwei Körper
Und Quantenteilchen können so miteinander vermischt und verbandelt werden, dass sie in mancher Hinsicht zu einem System werden. In diesem "verschränkten" Zustand lebt sozusagen eine einzige Teilchenseele in zwei Teilchenkörpern. Bemerkbar macht sich diese Verschmelzung in Experimenten, bei denen zwei verschränkte Teilchen in unterschiedliche Richtungen geschossen werden und in vielen Kilometern Abstand auf getrennte Messapparaturen stoßen. Unterwegs erfreuen sie sich der oben beschriebenen Überlagerung von Zuständen. Sobald jedoch das eine Teilchen gemessen wird, nimmt nicht nur es selbst einen exakten Zustand ein, sondern auch sein verschränktes Gegenstück. Sofort. Egal, wie weit die beiden voneinander entfernt sind.
Und genau das kann eigentlich nicht sein. Denn die Spezielle Relativitätstheorie verbietet, dass Informationen schneller als mit der Geschwindigkeit von Licht im Vakuum reisen. Woher weiß also Teilchen B, was Teilchen A passiert ist und für welchen Zustand es sich entschieden hat? Da müsste ja eine spukhafte Fernwirkung einsetzen, scherzte ein besorgter Albert Einstein. Dennoch: Zahllose Experimente haben gezeigt, dass verschränkte Teilchen augenblicklich auf das Schicksal ihres Partners reagieren.
Spuk oder nicht?
Oder tun sie das nicht? Sieht es vielleicht nur im Versuch so aus, doch in Wahrheit steckt ein anderer Mechanismus dahinter? Zeit seines Lebens suchte Einstein nach so einer Lösung des nach ihm und seinen Kollegen Boris Podolski und Nathan Rosen benannten EPR-Effekts. Er vermutete, die Quantenphysik sei unvollständig und berücksichtige einige versteckte Variablen nicht. Diese Variablen aber würden alle Informationen tragen, welche die Teilchen benötigen, um sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten.
Gefunden hat Einstein diese Variablen nicht und auch kein anderer Wissenschaftler. Immerhin gibt es damit aber zwei konkurrierende Modelle, um die Zauberei der Verschränkung zu erklären: Entweder es gilt die Quantenphysik – mit dem Problem, dass ein Konflikt zur Relativitätstheorie besteht. Oder die Teilchen wissen schon zu Beginn des Versuchs alles – mit der Schwierigkeit, dass niemand ihren Spickzettel finden kann.
Zwischen beiden Ansätzen zu unterscheiden, ist allerdings nicht ganz einfach. Darum war der Jubel in der Fachwelt groß, als der nordirische Physiker John Stewart Bell im Jahr 1964 ein Theorem veröffentlichte, dass einen Ausweg bot. Bell ging davon aus, dass eine nicht-quantenphysikalische Theorie einige Bedingungen erfüllen muss. Beispielsweise sollte gelten: Es gibt eine Realität, die unabhängig von einem Beobachter oder einer Messung ist. Sowie: Eine Messung ist ein lokales Ereignis. Ihr Ergebnis breitet sich nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit aus. Und drittens: Die Messungen an den verschiedenen Orten können unabhängig voneinander frei gewählt werden.
Eine Ungleichung für die Natur
Aus diesen harmlos wirkenden Voraussetzungen entwickelte Bell mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung eine mathematische Ungleichung, die nicht-quantenphysikalische Systeme zwangsläufig einhalten müssen. Quantenphysikalische Systeme würden hingegen Ergebnisse ergeben, die nicht die Bell'sche Ungleichung einhielten. Und siehe da: Seit Ende der 1960er Jahre häufen sich die experimentellen Befunde, dass die Natur sich nicht um die Ungleichung schert. Sie ist offensichtlich quantenphysikalisch.
Oder doch nicht? Vielleicht stimmt ja nur etwas nicht mit den Bedingungen, die Bell aufgestellt hat. Womöglich ist das Konzept einer unabhängigen Realität nicht korrekt. Oder die versteckten Variablen sind nicht ortsgebunden. Vielleicht sind sogar beide Voraussetzungen unzutreffend. Die Verwirrung hat durch Bells Ansatz jedenfalls kaum abgenommen und ebenso zu seriösen Erklärungsversuchen geführt wie zu der Annahme, die Natur würde immer alle möglichen Wege realisieren und das Universum sich darum bei jeder anstehenden Entscheidung aufspalten.
Eine Gruppe, die versucht, ohne gespaltenes Universum mehr über die wahre Natur der Natur der Wahrheit zu erfahren, ist das Team um Anton Zeilinger von der Universität Wien. Seit Jahren führen die Wissenschaftler überaus erfolgreiche Experimente mit verschränkten Systemen durch. Da liegt es nahe, einmal einen Blick auf die Realität und Lokalität der Modelle zu werfen.
Ein kniffliges Experiment
Die Forscher taten dies zunächst auf theoretischem Wege. Sie modifizierten eine Erweiterung der Bell'schen Ungleichung, die der Nobelpreisträger Anthony Leggett von der Universität von Illinois im Jahr 2003 für nicht-lokale realistische Theorien aufgestellt hat. Also solche Modelle, in denen die Einschränkung mit dem lichtschnellen Informationsfluss erstmal nicht gilt, die aber ansonsten unserer Intuition entsprechen. Zeilinger und sein Team errechneten, unter welchen Umständen es in einem Experiment trotzdem Abweichungen zu einem quantenphysikalischen System geben würde. Sie kamen zu dem Schluss, dass elliptisch polarisierte Photonen den entscheidenden Hinweis liefern würden.
Ein kniffliger Versuch, den in dieser Form noch niemand durchgeführt hatte. Bislang war es stets nur auf die lineare Schwingung der Photonen angekommen. Die hinzukommende Dimension der Ellipse stellte hohe Anforderungen an die optische Qualität der Instrumente. Hürden, die die Wissenschaftler mit einem präzisen Laser, speziellen Kristallen, Filtern und kleinen Plättchen, deren Dicke genau an die Wellenlänge des Lichts angepasst waren, schließlich weit übersprangen.
Der Lohn der Mühe ist Sokrates'scher Zweifel. Die Menschheit weiß nun mehr – vor allem, dass sie nicht weiß, was sie wissen kann. Zeilinger und seine Mitarbeiter stellten fest, dass es nicht ausreicht, den lokalen Charakter eines Ereignisses über Bord zu werfen. Auch mit der Realität stimmt anscheinend etwas nicht. An welcher Stelle es hakt, lässt sich aus den Ergebnissen nicht ablesen. Vielleicht ist es nur eine experimentelle Besonderheit der Photonen. Vielleicht passt aber auch unsere Logik nicht zur Natur. Oder Ereignisse wirken zurück in die Vergangenheit. Oder die Naturgesetze gelten nicht so streng, wie wir dachten. Oder ...
Strittiges Ergebnis
Oder die Wiener interpretieren zu viel in ihre Versuche hinein, wie der französische Physiker Alain Aspect in einem Kommentar zur Veröffentlichung andeutet. Seiner Ansicht nach ist die Bedeutung von Lokalität und Realität noch weiterhin offen. Und überhaupt – es gibt ja noch die Möglichkeit, dass die Quantentheorie voll und ganz zutrifft. Die ist zwar auch abstrus und passt nicht mit der Relativitätstheorie zusammen ... aber mit ihren Formeln können wir immerhin vieles in der Welt berechnen. Wenn wir es schon nicht mehr verstehen können.
So einfach wäre das, gäbe es nicht die Quantenphysik. Die ist zwar experimentell hervorragend abgesichert – aber buddhistisch rätselhaft. "Wenn niemand nachmisst, hat ein Teilchen dann einen definierten Zustand?" Diesmal ist die Lösung schon schwieriger, denn laut Quantentheorie kann sich ein solches Teilchen in mehreren, zueinander widersprüchlichen Zuständen zugleich befinden. Beispielsweise sollen Elektronen simultan einen Spin nach oben und nach unten haben. Solange niemand hinsieht. Erst mit dem Messvorgang kollabiert diese Überlagerung, und das Elektron muss sich entscheiden.
Eine Seele, zwei Körper
Und Quantenteilchen können so miteinander vermischt und verbandelt werden, dass sie in mancher Hinsicht zu einem System werden. In diesem "verschränkten" Zustand lebt sozusagen eine einzige Teilchenseele in zwei Teilchenkörpern. Bemerkbar macht sich diese Verschmelzung in Experimenten, bei denen zwei verschränkte Teilchen in unterschiedliche Richtungen geschossen werden und in vielen Kilometern Abstand auf getrennte Messapparaturen stoßen. Unterwegs erfreuen sie sich der oben beschriebenen Überlagerung von Zuständen. Sobald jedoch das eine Teilchen gemessen wird, nimmt nicht nur es selbst einen exakten Zustand ein, sondern auch sein verschränktes Gegenstück. Sofort. Egal, wie weit die beiden voneinander entfernt sind.
Und genau das kann eigentlich nicht sein. Denn die Spezielle Relativitätstheorie verbietet, dass Informationen schneller als mit der Geschwindigkeit von Licht im Vakuum reisen. Woher weiß also Teilchen B, was Teilchen A passiert ist und für welchen Zustand es sich entschieden hat? Da müsste ja eine spukhafte Fernwirkung einsetzen, scherzte ein besorgter Albert Einstein. Dennoch: Zahllose Experimente haben gezeigt, dass verschränkte Teilchen augenblicklich auf das Schicksal ihres Partners reagieren.
Spuk oder nicht?
Oder tun sie das nicht? Sieht es vielleicht nur im Versuch so aus, doch in Wahrheit steckt ein anderer Mechanismus dahinter? Zeit seines Lebens suchte Einstein nach so einer Lösung des nach ihm und seinen Kollegen Boris Podolski und Nathan Rosen benannten EPR-Effekts. Er vermutete, die Quantenphysik sei unvollständig und berücksichtige einige versteckte Variablen nicht. Diese Variablen aber würden alle Informationen tragen, welche die Teilchen benötigen, um sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten.
Gefunden hat Einstein diese Variablen nicht und auch kein anderer Wissenschaftler. Immerhin gibt es damit aber zwei konkurrierende Modelle, um die Zauberei der Verschränkung zu erklären: Entweder es gilt die Quantenphysik – mit dem Problem, dass ein Konflikt zur Relativitätstheorie besteht. Oder die Teilchen wissen schon zu Beginn des Versuchs alles – mit der Schwierigkeit, dass niemand ihren Spickzettel finden kann.
Zwischen beiden Ansätzen zu unterscheiden, ist allerdings nicht ganz einfach. Darum war der Jubel in der Fachwelt groß, als der nordirische Physiker John Stewart Bell im Jahr 1964 ein Theorem veröffentlichte, dass einen Ausweg bot. Bell ging davon aus, dass eine nicht-quantenphysikalische Theorie einige Bedingungen erfüllen muss. Beispielsweise sollte gelten: Es gibt eine Realität, die unabhängig von einem Beobachter oder einer Messung ist. Sowie: Eine Messung ist ein lokales Ereignis. Ihr Ergebnis breitet sich nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit aus. Und drittens: Die Messungen an den verschiedenen Orten können unabhängig voneinander frei gewählt werden.
Eine Ungleichung für die Natur
Aus diesen harmlos wirkenden Voraussetzungen entwickelte Bell mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung eine mathematische Ungleichung, die nicht-quantenphysikalische Systeme zwangsläufig einhalten müssen. Quantenphysikalische Systeme würden hingegen Ergebnisse ergeben, die nicht die Bell'sche Ungleichung einhielten. Und siehe da: Seit Ende der 1960er Jahre häufen sich die experimentellen Befunde, dass die Natur sich nicht um die Ungleichung schert. Sie ist offensichtlich quantenphysikalisch.
Oder doch nicht? Vielleicht stimmt ja nur etwas nicht mit den Bedingungen, die Bell aufgestellt hat. Womöglich ist das Konzept einer unabhängigen Realität nicht korrekt. Oder die versteckten Variablen sind nicht ortsgebunden. Vielleicht sind sogar beide Voraussetzungen unzutreffend. Die Verwirrung hat durch Bells Ansatz jedenfalls kaum abgenommen und ebenso zu seriösen Erklärungsversuchen geführt wie zu der Annahme, die Natur würde immer alle möglichen Wege realisieren und das Universum sich darum bei jeder anstehenden Entscheidung aufspalten.
Eine Gruppe, die versucht, ohne gespaltenes Universum mehr über die wahre Natur der Natur der Wahrheit zu erfahren, ist das Team um Anton Zeilinger von der Universität Wien. Seit Jahren führen die Wissenschaftler überaus erfolgreiche Experimente mit verschränkten Systemen durch. Da liegt es nahe, einmal einen Blick auf die Realität und Lokalität der Modelle zu werfen.
Ein kniffliges Experiment
Die Forscher taten dies zunächst auf theoretischem Wege. Sie modifizierten eine Erweiterung der Bell'schen Ungleichung, die der Nobelpreisträger Anthony Leggett von der Universität von Illinois im Jahr 2003 für nicht-lokale realistische Theorien aufgestellt hat. Also solche Modelle, in denen die Einschränkung mit dem lichtschnellen Informationsfluss erstmal nicht gilt, die aber ansonsten unserer Intuition entsprechen. Zeilinger und sein Team errechneten, unter welchen Umständen es in einem Experiment trotzdem Abweichungen zu einem quantenphysikalischen System geben würde. Sie kamen zu dem Schluss, dass elliptisch polarisierte Photonen den entscheidenden Hinweis liefern würden.
Ein kniffliger Versuch, den in dieser Form noch niemand durchgeführt hatte. Bislang war es stets nur auf die lineare Schwingung der Photonen angekommen. Die hinzukommende Dimension der Ellipse stellte hohe Anforderungen an die optische Qualität der Instrumente. Hürden, die die Wissenschaftler mit einem präzisen Laser, speziellen Kristallen, Filtern und kleinen Plättchen, deren Dicke genau an die Wellenlänge des Lichts angepasst waren, schließlich weit übersprangen.
Der Lohn der Mühe ist Sokrates'scher Zweifel. Die Menschheit weiß nun mehr – vor allem, dass sie nicht weiß, was sie wissen kann. Zeilinger und seine Mitarbeiter stellten fest, dass es nicht ausreicht, den lokalen Charakter eines Ereignisses über Bord zu werfen. Auch mit der Realität stimmt anscheinend etwas nicht. An welcher Stelle es hakt, lässt sich aus den Ergebnissen nicht ablesen. Vielleicht ist es nur eine experimentelle Besonderheit der Photonen. Vielleicht passt aber auch unsere Logik nicht zur Natur. Oder Ereignisse wirken zurück in die Vergangenheit. Oder die Naturgesetze gelten nicht so streng, wie wir dachten. Oder ...
Strittiges Ergebnis
Oder die Wiener interpretieren zu viel in ihre Versuche hinein, wie der französische Physiker Alain Aspect in einem Kommentar zur Veröffentlichung andeutet. Seiner Ansicht nach ist die Bedeutung von Lokalität und Realität noch weiterhin offen. Und überhaupt – es gibt ja noch die Möglichkeit, dass die Quantentheorie voll und ganz zutrifft. Die ist zwar auch abstrus und passt nicht mit der Relativitätstheorie zusammen ... aber mit ihren Formeln können wir immerhin vieles in der Welt berechnen. Wenn wir es schon nicht mehr verstehen können.
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