Aktuelles Stichwort: Wie sprengt man ein Hochhaus?
Es dauert nur wenige Sekunden, wenn ein Hochhaus, wie am Sonntag das Frankfurter AfE-Gebäude, bei einer kontrollierten Sprengung schließlich in einer Staubwolke zusammensackt. Tatsächlich aber ist das Zerstörungswerk nur spektakulärer Höhepunkt eines komplizierten Prozesses, der sich über viele Monate, wenn nicht Jahre hinzieht. Im Gegensatz zum klassischen Abriss allerdings merken die Nachbarn den größten Teil der Zeit davon nur wenig.
Das ist auch der Grund, weshalb man in Frankfurt vom ursprünglichen Plan abgerückt ist, das 116 Meter hohe Unigebäude einfach nach und nach abzutragen: Schon während der ersten Abrissphase, dem Entkernen des Gebäudes, beschwerten sich reihenweise Anwohner über Lärm und Dreck – um den dicht besiedelten Stadtteil nicht monatelang zu plagen, entschied sich die Stadt für das Ende mit Schrecken.
Wenn sich der Auftraggeber für eine Sprengung entschieden hat, erstellt er ein Abbruchkonzept, erklärt der Sprengmeister André Michael Schewcow von der Wuppertaler Fachfirma Roller Sprengtechnik: "Im Prinzip hat man also eine Anleitung, wie die Sprengung auszusehen hat. Es wäre dann meine Aufgabe als Sprengmeister zu kalkulieren, wie man das macht und wie viel Material und Personal man braucht."
Ein Hochhaus kann auf verschiedene Arten zusammenstürzen. Für welche Sprengstrategie man sich entscheidet, hängt dabei entscheidend von den lokalen Gegebenheiten ab. Die bequemste Variante wäre, so Schewcow, die so genannte Fallrichtungssprengung: Dabei sprengt man quasi einen keilförmigen Spalt in die unteren Etagen des Gebäudes, so dass es wie ein gefällter Baum in eine Richtung umkippt. Der Aufprall aus großer Höhe zertrümmert das Gebäude stark. "Für den Abbruchunternehmer ist das sehr günstig, weil sich kleinere Trümmer leichter zerlegen und abtransportieren lassen."
Sprengung in zwei Phasen
Diese Variante kommt in Frankfurt jedoch nicht in Frage: Es fehlt einfach der Platz dafür. Die Umgebung des Turms ist dicht bebaut, und die Nachbargebäude sollen die Sprengung unbeschadet überstehen. Stattdessen hat sich der zuständige Sprengmeister für eine zweistufige Sprengung entschieden, die zwei andere, weniger platzintensive Verfahren kombiniert.
Das AfE-Hochhaus besteht aus zwei Komponenten, die jeweils unterschiedliche Sprengtechniken erfordern, erklärt Schewcow. "Man hat in der Mitte des AfE-Gebäudes den Kern mit dem Treppenhaus und drum herum eine Skelettkonstruktion mit Stützen aus Stahlbeton – und diese wird zuerst zum Kollabieren gebracht." Bei dem hier angewendeten Vertikalkollaps sprengt das Abrissteam entscheidende tragende Elemente auf mehreren Stockwerken über die gesamte Gebäudehöhe, so dass dieser Teil fast wie ein Kartenhaus senkrecht in sich zusammensackt.
Erst etwa drei bis dreieinhalb Sekunden nach dieser ersten Sprengung geht es dann dem stabilen Treppenhausturm an den Kragen. "Das ist wirklich der entscheidende Punkt bei diesem Gebäude: Was macht der Treppenhausturm?", betont Schewcow. Den nämlich kann man nicht so einfach in sich zusammenbrechen lassen. Deswegen verwendet man hier eine so genannte Kipp-Kollaps-Sprengung: Der Sprengmeister sprengt auf zwei Ebenen Keile in entgegengesetzter Richtung, so dass der Kern des Gebäudes wie ein Zollstock zusammenklappt und sich auf den schon vorhandenen Schutthaufen legt. "So nutzt der Turm den Fallbereich aus, der dem Kollegen Reisch in Frankfurt zur Verfügung steht."
Die genauen Berechnungen, welche Teile des Gebäudes zu welchem Zeitpunkt gesprengt werden müssen, damit die Struktur in der gewünschten Weise zusammenbricht, führt man nach wie vor per Hand durch. Daran ändern auch diverse Veröffentlichungen nichts, die sich in den letzten Jahren mit digitalen Methoden befassen, Sprengungen zu berechnen und darzustellen."Die computergestützte Darstellung ist insgesamt hilfreich, um den Behörden oder anderen Beteiligten zu verdeutlichen, wie die Sprengung abläuft", so Schewcow, "die eigentlichen Berechnungen jedoch erfolgen auf der Basis der Daten und Erfahrungen, die man in den letzten Jahrzehnten gesammelt hat."
Umfangreiche Vorarbeiten
Vor dem großen Knall muss das Sprengteam umfangreiche Vorarbeiten leisten. Je nach Zustand des Gebäudes werden tragende Wände geschwächt und durchlöchert, damit sie den abschließenden Zusammenbruch nicht behindern. Anschließend verteilen die Spezialisten den Sprengstoff im Gebäude – knapp eine Tonne davon verbraucht die Sprengung des AfE-Turms in Frankfurt.
Die einzelnen Ladungen sehen aus wie ein Stück Teewurst und bestehen nicht etwa aus einem teuren Spezialsprengstoff, sondern aus einem Gel auf Ammoniumnitratbasis – im Grunde kaum mehr als Kunstdünger. Nur wenn man massive Stahlträger durchtrennen will, benötigt man so genannte Schneidladungen. Das allerdings ist in Frankfurt nicht der Fall, dort müssen "nur" weit über 1000 Sprenglöcher an den vorausberechneten Stellen gebohrt werden, in die der Sprengstoff hineingeschoben wird. "Das ist auch der Teil, der am meisten Zeit kostet", sagt Schewcow. "Es kann durchaus sein, dass wir in so einem Gebäude zwei bis drei Monate nur am Bohren sind."
Gleichzeitig koordiniert das Sprengteam die Sicherheitsvorkehrungen, besonders die Größe der Sperrzone um das Gebäude, mit Polizei und Feuerwehr. "Da geht man dann tatsächlich in kleinste Details und dreht quasi jede Münze um, damit man nichts vergisst." Ein Altenheim erfordere ganz andere Vorkehrungen und Vorlaufzeiten bei der Evakuierung als zum Beispiel ein Bürogebäude.
Im todgeweihten Gebäude trifft man ebenfalls Vorkehrungen, damit keine Trümmer durch die Gegend fliegen. Im Prinzip werde alles schön eingepackt, beschreibt Schewcow den Vorgang. Überall, wo Sprengladungen sitzen, kommt Schutzmaterial drüber, zum Beispiel Sprengmatten oder Maschendrahtzaun, der Betonbrocken abfängt. Schwieriger allerdings ist es mit dem Staub, einer der lästigsten und potenziell gesundheitsschädlichsten Aspekte jedes Abrisses. "Die Staubentwicklung ist tatsächlich ein leidiges Thema. Der lässt sich nur schwer binden." Man könne zum Beispiel Wasserkanonen einsetzen, um das Material zu befeuchten, allerdings sei die Staubmenge im Moment der Sprengung so hoch, dass solche Maßnahmen nur bedingt wirken.
"Andererseits hat man das Problem dann ja nur in diesem einen Moment, anders als bei einem konventionellen Abbruch, bei dem man den Staub über Wochen oder gar Monate ertragen muss", schließt Schewcow. Und außerdem ein Ereignis, das sich viele Frankfurter nicht entgehen lassen werden.
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